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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Und Euch habe ich verlassen sollen!“ sagte Theodor ergriffen. „Nein, ich bleibe bei Euch, und würden mir alle Ehren und Schätze der Welt geboten!“

Das Feuer war dem Erlöschen nahe, der Kessel mit dem Punsch bis auf die letzte Neige geleert. Die meisten Cameraden hatten sich müde in ihre Mäntel gehüllt, und überließen sich jetzt dem Schlafe; nur Theodor und Friesen blieben noch wach, und tauschten ihre Gedanken und Gefühle aus.

„Meine Schwester läßt Dich auch grüßen,“ sagte Körner. „Sie schätzt und verehrt Dich. Es ist ein gar liebes Mädchen, das Du kennen lernen wirst.“

„Wenn sie Dir ähnlich ist, so werde ich sie lieben, wie ich Dich liebe.“

„Wenn erst Friede ist, so ziehst Du mit mir. Dann mache ich Hochzeit mit meiner Toni. Du sollst mein Brautführer sein, wir werden in Wien und Dresden herrliche Tage verleben. Meine Eltern wünschen, daß ich sogleich nach beendetem Kriege auf einige Zeit unsere Weinbergsvilla in Loschwitz beziehe, wo Schiller seinen Don Carlos gedichtet hat. Vielleicht ist mir die Muse dort so günstig, wie sie ihm gewesen.“

So ergingen sich die Freunde in anmuthigen Aussichten und Hoffnungen. Die Zukunft lag vor ihnen ausgebreitet, wie ein lachendes Gefilde, und sie vergaßen darüber die Gefahren der Gegenwart und die Nähe des Feindes.

Rings umher herrschte die tiefste Stille, kaum durch das Wiehern eines losgebundenen Pferdes, oder durch den Ruf der Wachtposten aus der Ferne unterbrochen. Der Abendwind säuselte durch die Bäume und sang sein Schlummerlied, am blauen Himmel stand der sanfte Mond, und die goldnen Sterne schauten wie treue Augen auf die Schläfer nieder.

Endlich wurden auch die Freunde von der Müdigkeit überwältigt, und schlossen ihre Augen, vor denen der Gott der Träume seine reizendsten Erscheinungen vorüberschweben ließ.

Als der Morgen graute und das Signalhorn tönte, sprangen die Krieger von ihrem einfachen Lager auf. Ein reges Leben, ein frisches Getümmel begann an allen Ecken und Enden. Hier kroch ein bärtiger Kosak unter dem Bauche seines treuen Pferdes hervor, das ihm zum schirmenden Dach gedient, und rieb sich den Schlaf aus den funkelnden Katzenaugen; dort wischte ein tyroler Scharfschütz den gefallenen Nachtthau von seiner Büchse ab, während ein Engländer sein Theewasser mit der seiner Nation eigenen Ruhe zum Kochen brachte, als ob man mitten im tiefsten Frieden lebte. Adjutanten sprengten heran, und brachten den Befehl zum Aufbruch, Officiere bemühten sich, ihre Abtheilungen zu sammeln und Ordnung in das Chaos zu bringen, was trotz der militairischen Disciplin bei diesen aus den verschiedensten Nationalitäten und Ständen zusammengesetzten Truppen keine leichte Aufgabe war.

Der französische General Davoust, welcher von dänischen Hülfstruppen bedeutend verstärkt worden war, bedrohte von Hamburg aus das nördliche Deutschland. Wallmoden, der ihm gegenüber stand, hatte den Befehl erhalten, nur mit Zurücklassung einer Brigade und der leichten Truppen unter Tettenborn, mit dem übrigen Theile seines Armeecorps ungesäumt nach Brandenburg aufzubrechen. Es kam jetzt Alles darauf an, den Franzosen den Abzug Wallmodens und die Stärke und Zahl der ihnen noch gegenüberstehenden Truppen zu verbergen. Dazu eigneten sich vorzugsweise die Kosaken und das Lützow’sche Freicorps, dessen Aufgabe es war, bald hier. bald da unerwartet hervorzubrechen, den Feind bei Tag und Nacht zu beunruhigen, seine Verbindungen zu unterbrechen, seine Zufuhren und Couriere aufzufangen.

An diesem Morgen hatte der Major Lützow einen Streifzug mit zweihundert Reitern angeordnet, dem sich eine kleine Abtheilung tyroler Schützen und Jäger anschloß. Mit fröhlichem Gesange brach die kriegerische Schaar auf, in Erwartung, sich mit dem Feinde zu messen, Theodor und sein Freund Friesen waren bei der Partie und ritten neben einander, in ihrer Nähe der alte Rittmeister Fischer, der aus seiner kurzen Thonpfeife dampfte, stets bereit, dieselbe mit dem Säbel zu vertauschen. – Es war ein herrlicher Morgen; der Thau funkelte im Grase, und die Waffen der Reiter glänzten, von der Sonne angestrahlt. Die Pferde wieherten vor Lust und die Hörner mischten ihre schmetternden Klänge in das Lied der Sänger. Von der Poesie des Kampfes begeistert, dachte Theodor einem neuen Gedichte nach. Wie die Schwerter klangen, weckte der muthige Ton das Echo in seiner Brust.

„Ich wette,“ sagte Friesen, der den Freund schon kannte, „Du denkst an ein neues Lied.“

„Das Ding,“ entgegnete Körner, „ist noch nicht fertig, aber im Kopfe hab’ ich’s schon zurechtgelegt; auch etwas Melodie dazu summt mir im Kopf herum; sobald wir absitzen und zur Ruhe kommen, will ich es aufschreiben und Dir zeigen.“

In der Nähe eines Gehölzes unweit Rosenhagen, rechts der Straße von Gadebusch nach Schwerin, ließ Lützow seine Leute absitzen. Der Tag verging, ohne daß der Feind sich zeigte. Der Führer traf die nöthigen Anordnungen, und stellte an verschiedenen Stellen Wachtposten aus. Friesen erhielt den Auftrag, eine kleine Anhöhe zu besetzen, weshalb die Freunde von einander Abschied nehmen mußten. Von einer wunderbaren Ahnung ergriffen, zeigte der sonst so ruhige Friesen eine an ihm früher nie bemerkte Wehmuth. Er drückte Theodor wiederholt an seine Brust, und schloß ihn fast krampfhaft fest in seine Arme, als ob dies seine letzte Umarmung sein sollte.

„Was fehlt Dir?“ fragte dieser, über die ungewohnte Aufregung des Freundes erstaunt.

„Ich weiß es selber nicht,“ entgegnete jener, „aber unwillkürlich kommt mir der Gedanke, als sollten wir uns nicht wiedersehen, als müßte Einer von uns Beiden sterben.“

„Sei kein Thor! Was fällt Dir ein? Seit sie mich bei Kitzen gezeichnet haben, wo ich wirklich vermeinte, daß es aus mit mir sei, kommt mir nichts mehr an; seitdem bin ich stich- und kugelfest. Also nichts mehr davon; hab’ guten Muth und laß uns auf dergleichen furchtsame Einbildungen nicht achten. Leb wohl!“

So schieden sie; Körner blieb allein zurück, und begab sich in das Hauptquartier, welches sich in einer nahe gelegenen Mühle befand. Nachdem ihm Lützow, dessen Adjutant er war, noch einige Befehle für den nächsten Tag ertheilt, zog er sich auf sein Lager zurück, wo er sich mit dem Gedichte beschäftigte, das er in seine Brieftasche niederschrieb.

Es war das bekannte Schwertlied, welches er wenige Stunden vor seinem Tode dichtete.

Als der Morgen graute, hatte er es beendet, und leise sang er vor sich hin, während er sein eigenes Schwert anschaute:

„Du Schwert an meiner Linken,
Was soll dein heitres Blinken?
Schaust mich so freundlich an,
Hab’ meine Freude dran.
 Hurrah!“

Er zog die blitzende Klinge blank, und stieß sie wieder in die Scheide, daß sie laut erklang und mit ihrem freudigen Klirren zu antworten schien:

„Mich trägt ein wack’rer Reiter,
Drum blink’ ich auch so heiter,
Bin freien Mannes Wehr;
Das freut dem Schwerte sehr.
 Hurrah!“

In seinem poetischen Ergusse wurde er durch die Meldung des Wachtpostens unterbrochen, der die Ankunft eines feindlichen Wagenzuges unter dem Schutze einer starken Infanterieabtheilung anzeigte.

„Aufsitzen!“ befahl Major Lützow.

Die Kosaken erhielten den Auftrag, durch einen stürmischen Angriff den Transport aufzuhalten, während das Lützow’sche Corps der Bedeckung den Rückzug abschneiden sollte. Mit eingelegten Lanzen brachen die Steppenreiter auf ihren kleinen Pferden unter lautem Hurrahruf hervor, und warfen sich mit wildem Ungestüm auf den Zug. Die Bauern, welche die Wagen führten, hieben bei dem Anblick der gefürchteten Kosaken aus Leibeskräften auf ihre Pferde, um so schnell als möglich aus dem Bereiche des Gefechtes zu kommen. Die zum Schutz des Transportes beigegebenen Infanteristen des Feindes hielten sich meist an den Wagen und Pferden an, um das nahe liegende Gehölz zu erreichen, Andere warfen sich in die Gräben zur Seite der Straße und feuerten auf die Lützow’schen Krieger. Diese setzten zunächst den Wagen nach, die bald eingeholt und genommen wurden; weit ernster war jedoch der Widerstand der französischen Tirailleurs, die, in Büschen und Gräben versteckt, gegen die Reiter ein wirksames Feuer eröffneten und ihnen bedeutenden Schaden zufügten. Dabei gebrauchte der Feind noch die List, daß er scheinbar Pardon annahm und, wenn die Lützower heranritten, um dem Gefangenen das Gewehr abzunehmen, es in unmittelbarer Nähe abfeuerten. – Darüber ergrimmte der Rittmeister

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_554.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)