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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht,
Unter winselnden Feinden gebettet?
Es zuckt der Tod auf dem Angesicht,
Doch die wackern Herzen erzittern nicht;
Das Vaterland ist ja gerettet!
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd.

Die wilde Jagd und die deutsche Jagd
Auf Henkersblut und Tyrannen!
Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt;
Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,
Wenn wir’s auch nur sterbend gewannen!
Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt:
Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd.




Die deutschen Freiheitskriege waren geschlagen, Napoleon besiegt, und die Verbündeten glücklich aus dem unterworfenen Paris zurückgekehrt. Die alte Eiche bei Wöbbelin, unter der der Dichter schlummerte, grünte wieder, denn es war zur schönen Sommerzeit.

Neben Theodor’s Grabe hatte sich ein zweites erhoben; darin ruhte an seiner Seite die treue Schwester, welche ihm schon nach einem Jahre gefolgt war, und neben ihm zu ruhen wünschte. Ein Rasen deckte die zärtlichen Geschwister; an dem gemeinschaftlichen Hügel knieten zwei Frauen in schwarzer Trauer, neben ihnen ein ältlicher Herr von würdigem Aussehen mit zahlreichen Orden geschmückt.

Es waren Körner’s Eltern und seine Braut, welche der Bühne entsagt hatte, und in der Familie ihres Verlobten gleich einer Tochter lebte.

Der Jahrestag von Theodor’s Tode wurde von ihnen hier still gefeiert; sie klagten nicht, obgleich ihr Schmerz ewig blieb. Nach einem stillen Gebete zog Körner’s Vater ein Blatt heraus, und las folgende Stelle den bewegten Frauen aus einer Rede vor, welche der Dichter Immermann zum Fest der Freiwilligen in Köln gehalten hatte: „Ist der alte Blücher,“ so lauteten die Worte, „der erdgeborene Muth, die erfolgbringende Thatkraft, so tritt in einem andern Kreise eine nach außen hin mit solchen Wirkungen nicht vergleichbare, innerlich aber eben so bedeutende Potenz jenes Kampfes besonders hervor. Die Jugend und Frische des deutschen Gesammtlebens war in seinen zartesten Nerven von der fremden Ueberziehung angetastet worden, deutsches Denken, Sinnen und Dichten stand in Gefahr, mit der heimischen Sprache den fremden Lauten und dargeliehenen, oft aufgedrungenen Geistesformen weichen zu müssen. Deshalb kämpfte die Blüthe der Jugend aus dem Hörsaal, der Kirche, dem Lehrstuhl, der Gerichtshalle so begeistert mit; diese Jugend fühlte, daß das ganze Erbe unserer großen geistigen Ahnen und die Zukunft des Geistes, welche ihr anheim fallen sollte, auf dem Spiele stehe. Der Athem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer; überall hin waren ihre Sprossen gepflanzt, nirgends aber stand der junge grüne Hain so dicht, als in der Lützow’schen Freischaar. Hier war der Student der Nebenmann des Professors; Aerzte, Künstler, Lehrer, Geistliche, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Theil schon hochgestellte Staatsbeamte aus allen Gauen Deutschlands waren an die Jagercompagnien und Schwadronen, deren Masse aus tüchtigen Handwerksgesellen und Bauernburschen bestand, vertheilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wieder aufblühen sollten, das farblose Schwarz trugen. – Die Lützow’sche Freischaar war die Poesie des Heeres, und so hat denn auch der Dichter des Kampfes, Theodor Körner, in ihren Reihen gesungen, gefochten und vollendet. Von ihm kann man sagen, was Wallenstein von Max sagt:

 „Sein Leben
Liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.“

„Ein schönes, beneidenswerthes Leben! Indem er den Kriegsrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Anderer geworden. Von Feldwacht zu Feldwacht, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigne, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen stellt, er dichtet sein „Schwertlied“, einen der höchsten Laute unserer Sprache; da werben schon die Trompeten. Er wirft den Stift weg, und ergreift die Eisenbraut, welche er eben besungen; in der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glückes tritt ihn der Tod an rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den letzten Gruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt im Siegesheimzuge, aber er ruht, wie er gehofft, in freier Erde und lebt, wie er es verdient, im deutschen Volke fort von Geschlecht zu Geschlecht:

„Denn was berauscht die Leyer einst gesungen,
Das hat des Schwertes freie That errungen.“

Die Eiche über den Gräbern rauschte im Abendwind, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf den grünen Hügel wie eine milde Glorie. Getröstet und gestärkt erhoben sich die Drei, nur in dem Auge der Mutter schimmerte eine Thräne, die bald wieder verschwand.

„Er lebt,“ flüsterte sie mit bewegter Stimme, und ihre Blicke richteten sich zum Himmel, an dem der Abendstern schon tröstend glänzte.




Auf einer zerbrochenen Hängebrücke.
(Mit Abbildung.)

Nirgends in der Welt gibt es so viele und so schauerliche Reise-Abenteuer, d. h. Unfälle auf der Reise, als in den Vereinigten Staaten und den englischen Colonien in Amerika, weil man nirgends so leichtsinnig baut und so leichtsinnig fährt, als dort. Bauschwierigkeiten erkennt man nicht an und die Hauptsache bei allen Bauten dort ist „schnell fertig“, wie bei allen Fahrten der Postwagen, der Eisenbahnzüge und der Dampfschiffe, „nur vorwärts!“ Das Leben der Menschen, die bei einer Fahrt etwa verunglücken, hat in jenen jugendlichen Ländern wenig Werth, wie das Holz billig ist, von dem man einen Bau, der zusammenbrach, rasch wieder aufführt. Das Volk in jenen Gegenden befindet sich in einem fortwährenden Wettrennen, um „vorwärts zu kommen“, in dem eigentlichen, wie in dem bildlichen Sinne dieses Ausdruckes. Niemand kümmert sich viel um die, welche bei dem allgemeinen Treiben und Drängen fallen; unaufhaltsam geht es über die Leichen hinweg, die man kaum zu zählen sich die Mühe nimmt; die Zeitungen melden wohl solche Unfälle, aber man vergißt sie sofort und Niemand läßt sich dieselben zur Warnung dienen.

Auf unserem Bilde sieht man die Hängebrücke, die man einige Meilen oberhalb der Stadt St. John in der englischen Colonie Neu-Braunschweig über den sehr breiten und wilden St. John-Fluß mit echt amerikanischer Kühnheit gebaut hat. Der Fluß zwängt dort seine ungeheuere Wassermasse mit Ungestüm zwischen zerrissenen Felsenufern hindurch. Er gewährt einen großartigen Anblick, aber schwerlich hätte man in Europa jemals daran gedacht, an dieser Stelle über den Fluß, wo seine Ufer mehrere hundert Fuß hoch sind, eine Brücke zu bauen. Man hat eine leichte Hängebrücke darüber gespannt und derselben nicht etwa einen Stützpunkt in der Mitte gegeben. Sie zieht sich vielmehr ununterbrochen in schwindeliger Höhe von einem Ufer zum andern. Kein Wunder ist’s, daß sie immer schwankte, ein Wunder aber wohl, daß sie einen lebhaften Verkehr getragen hatte, bis ein Sturm ihr ein Ende machte.

Am 24. März d. J. wüthete fast in ganz Neu-Braunschweig ein furchtbarer Orkan. Trotz dieses Sturmes mußte der Postwagen von Frederiktown, der Hauptstadt, abgehen. Der Abend kam heran, ehe er sein Ziel erreichte, und die Finsterniß war fast greifbar geworden, ehe der Wagen jene Hängebrücke erreichte, über die er zu fahren hatte. Der Himmel war mit schweren Wolken überzogen, aus denen bisweilen Blitze zuckten. Der Postillon fuhr keck auf die Brücke, obgleich er kaum die Pferde vor dem Wagen sehen konnte, ja er handhabte sogar eifrig die Peitsche. Noch war er nicht bis zur Mitte des schwankenden Baues gekommen, als seine Pferde plötzlich still standen. Er brauchte die Peitsche noch gewaltiger, als vorher, aber vergebens; die Pferde weigerten sich, weiter zu gehen, wurden überdies sehr unruhig und versuchten zu bäumen und zur Seite zu prallen.

Nachdem der Postillon vergebens geflucht hatte, entschloß er sich abzusteigen und nachzusehen, ob ein und welches Hinderniß in dem Wege liege, oder ob irgend etwas an dem Geschirr in Unordnung gerathen sei. Die Reisenden im Wagen, die das Ziel ihrer Fahrt so bald als möglich zu erreichen wünschten, durch den Sturm, den

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