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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

aufgestellt war, vorgeschlagen und auch angenommen. Die ganze Instruction, die er erhielt, lautete bezeichnend für die damaligen Verhältnisse: „Vous ferez mettre en grands caractères sur la porte: Bibliothèque particulière du Roi.“ Er erhielt sogleich 2000 Franken, die, da man mit ihm zufrieden war, bald auf 3000 erhöht wurden. Nach einiger Zeit kündigte ihm der König selbst eines Morgens an, daß er ihn zum Auditeur au conseil d’Etat ernannt habe, doch sollte er dabei die Bibliothek nach wie vor verwalten. Sein Gehalt wurde noch um 1000 Franken vermehrt, so daß alle Nahrungssorgen schwanden.

Seine neuen Aemter machten ihm wenig Mühe. König Jerome war ein lustiger Herr, der lieber mit jungen Damen als mit alten Büchern zu schaffen hatte; es herrschte ein frohes, ausgelassenes Treiben an dem neuen Hofe, und so behielt Jakob hinlängliche Zeit, sich mit seinen Lieblingsstudien zu beschäftigen. Auch der Staatsrath legte ihm keine andere Verpflichtung auf, als von Zeit zu Zeit in der gestickten Prachtuniform zu erscheinen. Kleine Unannehmlichkeiten blieben allerdings nicht aus. Als der König einst auf Wilhelmshöhe einen Ball geben wollte, mußte die ganze Bibliothek schnell über Hals und Kopf geräumt werden. Da lagen nun die schönen Bücher in der leidigsten Unordnung, bis sie nach Kassel geschleppt wurden, um in dem dortigen Schlosse aufgestellt zu werden. Größer war die Gefahr noch bei dem im Jahre 1811 stattgefundenen Brande. In Rauch und Qualm wurden die Bücher von den Leibgardisten aus den Fächern genommen, in Leinentücher geschüttet, und auf den Schloßplatz geworfen. Jakob eilte um Mitternacht herbei, und ordnete die Rettung des ihm anvertrauten Schatzes an, während rings um ihn Alles knisterte und dampfte. Im Hinuntergehen verirrte er sich auf einer der kleinen Wendeltreppen und mußte ein paar Minuten nach dem rechten Ausgang umhertappen, in Gefahr, von dem eindringenden Rauche erstickt zu werden.

Während Jakob in angemessener Stellung verblieb, reiste Wilhelm nach Halle, wo er wegen seins mit erneuter Gewalt zurückgekehrten Herzübels den berühmten Reil mit Erfolg consultirte. In dem Hause des bekannten Capellmeisters Reichardt fand er die herzlichste Aufnahme. Reichardt selbst war bei manchen Eigenheiten und einem starken Selbstgefühl ein Mann von leicht bewegtem, edlem Herzen, eine echte Künstlernatur; die übrigen Mitglieder der Familie und besonders die heranwachsenen Töchter hochgebildet und liebenswürdig. In einem solchen Kreise fand Wilhelm ungeachtet der trüben Zeit, welche über das Vaterland hereingebrochen war, mannichfache Anregung und Förderung, wozu sich noch die musikalischen Genüsse gesellten, wenn die herrlichen Compositionen des Vaters zu den Liedern Goethe’s in den Abendstunden von den Kindern in unvergeßlicher Weise vorgetragen wurden. Nach einem längeren Aufenthalte stattete er dem Dichter Achim von Arnim einen Besuch in Berlin ab, wo er trotz der allgemeinen Zerstörung in Gesellschaft des gleichgestimmten Freundes genußreiche Tage und fröhliche Stunden verlebte. Auf der Rückkehr wurde ihm das Glück zu Theil, Goethe selbst in Weimar persönlich kennen zu lernen. Der Meister äußerte seine Theilnahme für die Bemühungen, die altdeutsche Literatur wieder zu erwecken, und zeigte sich geneigt, diese Studien der Brüder auf das Beste zu unterstützen.

Mit dem Jahre 1813 war die große Bewegung des deutschen Volkes, die Befreiung von dem fremden Joche herangebrochen. Beide Brüder begrüßten freudig den heiligen Kampf, an dem sie vermöge ihrer Lage nicht mit den Waffen in der Hand Theil nehmen konnten; sie hatten dafür durch ihre Arbeiten bereits an der Hebung des nationalen Sinnes redlich mitgeholfen.

Als Jerome mit den Franzosen abzog und der alte Kurfürst nach Kassel zurückkehrte, da jubelten sie mit den treuen Hessen, und liefen an dem offenen Wagen des alten Herrschers durch die mit Blumen bekränzten Straßen hin. – Jakob wurde als Legationssecretair mit dem hessischen Gesandten in das Hauptlager der Verbündeten geschickt, und kam mit ihnen in das frisch eingenommene Paris. Unterwegs hatte er nicht versäumt, die vorzüglichsten Bibliotheken zu besuchen. In Paris sorgte er im Auftrage seiner Regierung für die Zurückgabe der geraubten litterarischen Schätze, worauf er in seiner Eigenschaft als Legationssecretair dem Congresse in Wien beiwohnte, wo er sich jedoch lieber mit altdeutschen Studien beschäftigte, und einen Kreis berühmter Männer kennen lernte. Auch die slavischen Sprachen wurden hier mit Erfolg von ihm getrieben, wie seine spätere Uebersetzung der serbischen Grammatik von Wuk Stephanowitsch beweist. Bereits war sein Ruf so hoch gestiegen, daß die preußische Regierung ihn von dem Kurfürsten forderte, um die aus allen preußischen Provinzen zusammengeraubten werthvollen Handschriften in Paris zu ermitteln, und zurückzuverlangen; ein Auftrag, dessen sich Jakob mit so großem Eifer unterzog, daß er dadurch den Haß der ihm sonst befreundeten Pariser Bibliothekare auf sich lud, welche ihm nicht mehr gestatten wollten, auf der Bibliothek für seine Privatstudien zu arbeiten. Ein anerkennendes Schreiben des Staatskanzlers, Fürsten Hardenberg, war der einzige Lohn für seine Bemühungen.

Nach seiner Rückkehr erhielt er endlich den gewünschten Posten als zweiter Bibliothekar in Kassel mit dem bescheidenen Gehalt von 600 Thalern; eine Anstellung als Gesandschafts-Secretair beim Bundestage hatte er zuvor entschieden abgelehnt. Um einzig und allein seinen mühevollen Forschungen zu leben, hatte er die Aussicht auf die diplomatische Laufbahn und eine schnellere Beförderung aufgegeben. Statt ewige Protokolle zu schmieden, arbeitete er an seiner deutschen Grammatik, und förderte dadurch mehr die deutsche Einheit und das Nationalgefühl, als dies durch alle Actenstöße des Bundestages geschehen konnte. – Auch Wilhelm fand bei der Bibliothek in Kassel eine höchst bescheidene Anstellung, die er aber mit Freuden annahm, um sich von dem geliebten Bruder nicht zu trennen.

Jetzt erst begann für beide Brüder die schönste Zeit ihrer segensreichen Thätigkeit, eine Reihe bewunderungswürdiger Werke reiften im Stillen, und machten ihren Namen weit und breit berühmt. Gemeinschaftlich gaben sie die Resultate ihrer Forschungen heraus, welche das größte Aufsehen erregten, und ihnen von Akademien und Universitäten Titel und Ehrenbezeigungen aller Art eintrugen. Trotzdem konnten sie von der eigenen Regierung nicht einmal eine für ihre Bedürfnisse nöthige Gehaltszulage erlangen, auch die gehoffte Beförderung blieb aus, als sich nach jahrelangem Harren die Gelegenheit dazu darbot. Sie hatten, wie die meisten deutschen Gelehrten, sich keiner besonderen Fürstengunst zu erfreuen.

Unter diesen Umständen rissen sie sich mit blutendem Herzen von dem hessischen Vaterlande los, um einem ehrenvollen Rufe nach Göttingen zu folgen, wo sie zu Neujahr 1830, Jakob als Professor und Oberbibliothekar, Wilhelm als Unterbibliothekar, einen angemessenen Wirkungskreis fanden. Hier wirkten sie im Stillen Großes durch Schrift und Wort, eine Reihe ausgezeichneter Schüler bildend, welche in ihrem Geiste das begonnene Werk fortsetzten. – Wilhelm hatte bereits im Jahre 1825 sich mit Dorothee Wild verbunden, und genoß im reichsten Maße das Glück der Ehe, während Jakob in dem neuen Verhältnisse des Bruders seine eigene Häuslichkeit fand, da er selber unvermählt blieb; Bücher und Collectaneen gehörten ihnen ohnehin zusammen. Sie hatten erreicht, was der deutsche Gelehrte erreichen kann, ein bescheidenes, aber ehrenvolles Loos.

Da kamen die Tage der Prüfung, aus denen die deutschen Männer wie geläutertes Gold hervorgehen sollten. Das Grundgesetz des Königreichs Hannover, zwischen dem Regenten und den Ständen vereinbart und feierlich beschworen, wurde von dem neuen Herrscher Ernst August beim Antritte seiner Regierung im Jahre 1837 durch seine beiden Patente willkürlich verletzt und umgestoßen. Nur sieben Männer, Professoren der Göttinger Universität, darunter die beiden Brüder, hörten auf die Mahnung des Gewissens, und erhoben ihre Stimmen laut ohne Menschenfurcht. Sie wollten ihren geschworenen Eid nicht brechen. Da geschah das Unerhörte; ohne Untersuchung, ohne Urtheil und Rechtsspruch wurden die getreuen Sieben ihrer Aemter entsetzt, und Drei von ihnen – Dahlmann, Jakob Grumm und Gervinus – des Landes verwiesen.

Sie zogen als Flüchtlinge fort und nahmen nichts mit, als die gerettete Ehre und die unverletzte deutsche Treue. Ihr opferten sie Rang, Stellung und das sichere Brod, um einer ungewissen Zukunft entgegen zu gehen.

Die Krone der Märtyrer schmückte die Stirne der Gelehrten. – Wilhelm folgte seinem Bruder in die Verbannung; sie hatten nicht geschwankt, für ihre Ueberzeugung Alles hinzugeben. Das Studium des Mittelalters und der Vergangenheit hatte sie nicht der Gegenwart entfremdet, sondern eher ihren Heldenmuth geweckt, daß sie, wie einst die Ritter und Edlen der Vorzeit, den Kampf für das Recht der Gewalt gegenüber nicht scheuten. Sie gingen daraus mit blankem Schild und an Ehren reich hervor. Das deutsche Volk lohnte ihnen mit seiner Achtung und Liebe, und ein deutscher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_562.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)