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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Heda, wer ist hier? Kann ich hier Jemandem helfen?“

Ich trat rasch ein paar Schritte vor. In demselben Momente bewegte sich Etwas in meiner Nähe. Ein Gebüsch rauschte, als wenn Jemand hindurchdringen wolle; es war kaum zehn Schritte von mir.

„Wer da?“ rief ich in die Finsterniß hinein.

Ich erhielt keine Antwort; um desto lauter aber wurde das Rauschen.

Ich hatte mich völlig wieder gefaßt und eilte jetzt der Stelle zu, wo ich das Geräusch gehört. Ich stolperte aber dabei über ein paar Gräber. Auf einmal flog Etwas an mir vorüber. Es war wie der Schatten eines langen, hageren Menschen. Er flog mit leichten geflügelten Schritten dahin. Als ich mich nach ihm umsah, gewahrte ich nichts mehr; auch mein Ohr vernahm keinen Laut weiter.

Was war denn das wieder? Hatte ich einen Todtenschatten erblickt? War ein Lebender in meiner Nähe gewesen? Was hatte er in der Mitternacht auf dem alten Kirchhofe gemacht? Warum hatte er sich verborgen gehalten, bis ich rief? Warum war er bei meinem Rufe davongeeilt? War er einem Grabe entstiegen? Rührte gar von ihm jenes unterirdische Klagen und Jammern her?

Ich hatte auf alle meine Fragen keine Antwort. Ich stand sinnend und wieder horchend; aber diesmal nicht lange, da kam es mir vor, als hörte ich Schritte. Sie kamen mir zur Seite, rechts, etwa funfzehn bis zwanzig Schritte von mir, Sie kamen näher. Das Alles dem Gehöre nach; denn die Wolken hatten sich dunkler zusammengezogen und ich sah nichts. Es war mir doch unheimlich. Ich faßte meinen Reisestock schlagfertig; es war ein tüchtiger, bewährter Ziegenhainer. Aber was ich beinahe in dem nämlichen Augenblicke sah, dagegen half der beste Ziegenhainer nichts. Zwei glühend rothe Punkte leuchteten auf einmal vor mir, starrten mich an, unbeweglich, gleich zwei dunkel glühenden Kohlen. Ein Schauder überlief mich. Dann wollte ich dreinschlagen. Da schoß, unmittelbar über den beiden unheimlichen, unbeweglichen, leuchtenden Punkten, eine ganze helle Feuermasse auf mich los. Ich stand geblendet.

Ich hatte nur eins erkannt in der Helle des Feuers, daß ich mich dicht neben einer hohen, alten Mauer befand. Das war die Mauer des Klosters, an dem ich vorbeikommen mußte.

Hatte mich im Augenblick vorher ein Schauder überlaufen, jetzt ergriff mich Entsetzen. Alle Geschichten, die ich jemals von lebendig und auf Lebenszeit eingemauerten Mönchen und besonders Nonnen gehört und gelesen hatte, fielen mir wieder ein. Waren das Stöhnen und Klagen, das ich vernommen hatte, Schmerzenstöne einer eingemauerten Nonne aus ihrem fürchterlichen unterirdischen Grabe? Oder hatte – da sie mir mehr einer männlichen Stimme anzugehören schienen, worin ich mich allerdings täuschen konnte – hatte ein unglücklicher, vielleicht wegen seiner freien Ansichten eingemauerter Mönch sie ausgerufen?

Ich wußte nur, daß ich an einem Kloster vorbeikommen mußte; ob es ein Mannes- oder Frauenkloster sei, davon war mir nichts bekannt.

Aber ich wußte auch nicht, ob es noch als Kloster bestand oder ob es nicht schon längst aufgehoben war. Das Letztere war sogar das Wahrscheinlichere, da schon seit hundert Jahren Klöster in unserem Lande aufgehoben waren. Hatte ich dann nicht den klagenden, jammernden Geist eines oder einer vor Hunderten von Jahren, vielleicht schon im grauen Mittelalter, eingemauerten Unglücklichen vernommen, verdammt zum Stöhnen und Wehklagen bis zur Stunde seiner Erlösung, des letzten Gerichts?

Mein Auge erholte sich von der plötzlichen Einwirkung der blendenden Lichtmasse. Ich unterschied.

Ein langer, baumstarker Mann stand vor mir, in der einen Hand eine Blendlaterne haltend, die er plötzlich geöffnet hatte, in der andern einen ungeheueren Knotenstock. Vor ihm stand mit dunkelglühenden Augen ein riesiger Hund.

Der Mann war schon alt, er hatte graue Haare; aber er stand kräftig da, in seinem langen, weiten Kamisol und seiner alten Pelzmütze auf dem Kopfe. Sein verwittertes Gesicht war finster, ingrimmig, drohend.

„Was macht Er hier?“ rief er mir drohend zu.

Aber es war kein Bild aus dem Mittelalter. Im Mittelalter hatte man den Begriff, den reinen, geläuterten Begriff der Obrigkeit noch nicht erfunden, und der Mann sah so durch und durch obrigkeitlich aus, hatte so vollständig das Aussehen eines Handlangers der Obrigkeit.

Die Entdeckung machte mich sicher, ruhig. War ich doch selbst ein Stück der Obrigkeit.

„Guter Freund,“ sagte ich, „bin ich auf dem rechten Wege nach Z.?“

Aber da wurde sein Gesicht finsterer, drohender. Er musterte mich von unten bis oben.

„Hat Er vorhin gerufen?“ rief er.

„Ich habe hier gerufen.“

„Folge Er mir.“

„Wohin?“

„Das wird Er sehen.“

„Hört, guter Freund –“

„Ich bin Sein guter Freund nicht,“

„Zum Teufel, Freund, Landsmann, Mann, ich will nach Z. Ich hatte mich hierher verirrt. Wollt Ihr mich wieder in die Stadt bringen oder nicht?“

Er besann sich einen Augenblick.

„Folge Er mir,“ wiederholte er dann.

„Ihr wollt mich also in die Stadt führen?“

„Ja.“

Er setzte sich in Bewegung. Sein großer Hund war immer einen Schritt vor ihm, nicht mehr und nicht minder. Das Thier schien wunderbar dressirt zu sein.

Ich folgte ihm. Er führte mich an der alten, hohen Mauer entlang, die ich vorhin gesehen hatte.

„Wo sind wir hier?“ fragte ich ihn im Gehen.

„Braucht Er das zu wissen?“

Seine Stimme, wie seine Worte waren immer kurz, grob. Ich überzeugte mich mehr und mehr, daß ich es mit einer obrigkeitlichen Person zu thun hatte, zu der ich mithin in einem berufsverwandtschaftlichen Rapport stand. Seine Grobheit machte mich um so sicherer, beinahe kecker,

„Ihr hattet also vorhin meinen Ruf gehört?“

„Ja, und wenn Er sich noch einmal untersteht, mitten in nachtschlafender Zeit so zu schreien, so wird man anders mit Ihm verfahren.“

„Wo wart Ihr denn, als Ihr mich hörtet?“

„Bekümmere Er sich um Seine Sachen.“

„Wißt Ihr, warum ich rief?“

„Es geht mich nichts an.“

„Ich hatte so sonderbare Töne gehört.“

„Auf einem Kirchhofe, in der Nacht, hört jeder Narr etwas Sonderbares.“

„Was ich hörte, konnten auch verständige Menschen hören, zum Beispiel Ihr selbst.“

Auf einmal drehte er sich nach mir um, leuchtete mir hell in das Gesicht und sah mich dabei so unheimlich forschend und überlegend an, daß ich wahrhaftig meinen konnte, er gehe mit sich zu Rathe, nicht, ob er mir den Garaus machen solle, sondern nur noch, ob er dies sofort und in welcher Weise ausführen werde.

Auch sein großer Hund richtete sich wieder höher auf, schüttelte sich und rollte seine glühenden Augen.

Ich erschrak doch unwillkürlich. Ich wußte nicht, wo ich war, und in dem obrigkeitlichen Aussehen des Mannes konnte ich mich irren. Aber er wandte sich still wieder von mir, ging noch einige Schritte weiter, blieb dann stehen und sagte:

„Hier, marschire Er!“

Mit den kurzen Worten schob er die Blende seiner Laterne vor, ich stand in voller Finsterniß und er und sein Hund waren meinen Augen entschwunden. Auch meinem Ohre. Plötzlich, wie sie auf dem Kirchhofe vor mir gestanden hatten, sah und hörte ich nichts mehr von ihnen. Waren sie vorhin aus der Erde emporgeschossen? Hatte die Erde sie jetzt wieder verschlungen? Hatte ich lebendige, körperliche Wesen oder Gespenster gesehen? Hatte ich gar nur geträumt?

Ich schaute und horchte noch eine Weile, doch ich sah und hörte nichts mehr. Aber in weiterer Entfernung, einige hundert Schritte vor mir, entdeckte ich bald einige Lichter und als ich darauf zuschreiten wollte, sah ich, daß ich mich zur Seite einer breiten Straße befand.

Hinter mir erhoben sich hohe, lange, mehrfach gezackte Dächer; darüber ein dicker Thurm. Das war wohl das Kloster, an dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_567.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)