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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die Corvette zeigte sich zu Ehren der seltenen Gäste im vollen Glanz und Schmuck. Die Mannschaften befanden sich in Paradeuniform auf Deck, und präsentirten das Gewehr, die Trommeln wirbelten, das blank geputzte Kupfer der dreißig Karonaden und das Compaßhäuschen blitzten wie Gold im Sonnenlicht. Auf dem Quarterdeck war ein elegantes Zelt mit Festons von rothen schweren Fransen aufgeschlagen und Blumen und Waffentrophäen schmückten die Brustwehr. Die Tafel war mit prächtigem Krystall und Porzellan bedeckt und bot einen Anblick, der ebenso angenehm für das Auge wie für den Magen hoffnungerregend war.

Bis zur Frühstücksstunde führte der Commandant seine Gäste auf dem Schiffe umher, und der Kalifat konnte ganz nach Belieben die einzelnen Theile desselben bewundern. Er ließ sich das Fahrzeug vom Kohlenraume bis zur Cajüte des Commandanten zeigen, und man führte, um ihn vollkommen zu befriedigen, selbst einige kriegerische Evolutionen mit dem Schiffe aus. Bei diesen schnellen, leichten und präcisen Bewegungen konnte er sein Erstaunen nicht mehr verbergen, aber es sollte sich noch steigern, als wir den Maschinenraum betraten. Der Anblick dieses Kunstwerks von polirtem Stahl, dessen einzelne Theile mit ebenso viel Eleganz wie Präcision in einander griffen, trieb seine Verwunderung auf den Gipfel. Sein Auge folgte den Bewegungen der Maschine mit dem Eifer und der Hartnäckigkeit eines Kindes, welches den Mechanismus eines Spielzeuges ergründen will. Er schien durchaus erspähen zu wollen, wo sich die Seele des Werkes versteckte, dessen Thätigkeit und Kraft er sich nicht zu erklären vermochte.

Endlich machte das aufgetragene Frühstück seinen Untersuchungen ein Ende. Die Söhne der Wüste aßen sehr mäßig, bedienten sich dabei ihrer Finger und fanden den Gebrauch, den wir von unsern Gabeln machten, sehr belustigend. Sie tranken nur Wasser und Limonade, während wir den ausgesuchten Weinen des Commandanten alle Ehre erwiesen.

Beim Dessert glaubte der Kalifat, dem die cordiale Gastfreundschaft, mit der er empfangen wurde, zu gefallen schien, sich nicht besser revanchiren zu können, als durch eine Einladung nach dem Dschebel-Ammur. Wir waren in einer Stimmung, die uns eine achtzig Lieues weite Vergnügungsreise, die durch wüste Ebenen und zerklüftetes Hochland führte, wie eine ganz natürliche Sache erscheinen ließ. Die Einladung wurde also angenommen und wir schieden sehr entzückt von unsern neuen Bekannten, die nach zwei Tagen die Stadt verließen, nachdem sie uns nochmals das Versprechen unseres baldigen Kommens abgenommen hatten.

An dem Tage, als wir die liebenswürdige Einladung des Kalifats annahmen, hatten sich wenigstens ein Dutzend Theilnehmer an der Reise gefunden und während einer ganzen Woche blieben auch Alle bei ihrem Entschlusse; als aber der 15. October, der letzte Termin der Abreise, herangekommen war, den wir nicht versäumen durften, wenn wir noch die schöne Jahreszeit benutzen wollten, da fanden fast Alle gute Gründe, sich von der Ausführung des Projectes zurückzuziehen. Es blieben von den Eingeladenen außer mir nur drei, welche fest entschlossen waren, ihr dem Kalifat gegebenes Wort zu halten.

Zwei von meinen drei Gefährten waren eben angekommene Pariser, die nach Abenteuern dürsteten, das Land noch nicht kannten und selbst von Frankreich noch nichts gesehen hatten, als die Bannmeile von Paris und die Straße, welche nach Marseille, dem Orte ihrer Einschiffung, führt. Mein dritter Gefährte, Henri G., ein lustiger Kumpan, der seit Jahren ein vagabondirendes Leben theilte, und Ali, mein arabischer Diener, vervollständigten die Karawane. Ali war ohne Zweifel die eigenthümlichste Personage der Gesellschaft. Er war sechzehn Jahre alt, listig und behend, wie ein Affe, treu und anhänglich wie ein Mann, muthig wie ein Löwe, flink wie eine Gazelle, faul wie eine Schildkröte, und lügnerisch wie fünfundzwanzig Beduinen zusammen, was gewiß nicht wenig sagen will. Zwei Maulthiere, die durch einen Araber geführt wurden, trugen unsere Zelte und Provisionen und zwei Mekalliahs, welche das arabische Bureau zu unserer Verfügung hatte, sollten uns als Führer und Bedeckung dienen.

Wir traten unsern Weg in früher Morgenstunde an, passirten die Stadt Blidah, durchschwammen die reißenden Wasser der Chiffa und kamen am folgenden Abende in Medeah, der alten Hauptstadt der Provinz Titterih, an.

Erst von hier aus gewann unsere Reise einen eigenthümlichen Charakter. Bis hierher hatten wir noch immer Wirthshäuser, ein Obdach und Spuren europäischer Civilisation gefunden, von da ab gab es aber weder Straßen, noch Städte, noch Gasthäuser. Wir trafen nur hier und da noch einen Militairposten, stießen hin und wieder auf die Duars (Zeltdörfer) arabischer Hirten und das von tiefen Schluchten durchschnittene Land wurde immer wilder und einsamer.

Zuweilen genossen wir, Dank unserem Schutz- und Empfehlungsbriefe, die Gastfreundschaft der Kaïeds (Häuptlinge der Nomadenstämme), auf deren Horden wir stießen, nicht selten aber waren wir auch genöthigt, unser Nachtlager an einer Quelle im Schutze eines Palmenwäldchens aufzuschlagen. Wir Beide, Henri und ich, fanden uns ziemlich gut in diese Lebensweise, aber unsere Pariser zeigten sich, obgleich sie sich Mühe gaben, zufrieden auszusehen, wenig empfänglich für die Schönheiten dieser Bivouacs. Sie fanden die riesenhaften Flöhe, die zu Millionen im heißen Sande der Wüste nisten, außerordentlich unbequem und konnten sich nicht daran gewöhnen, ihren Schlaf durch das Gebell des Schakals und das klägliche Geheul der Hyäne unterbrochen zu sehen, welche sich nur durch die angezündeten Feuer in respectvoller Entfernung halten ließen.

Auch die culinarischen Bestrebungen Ali’s, welcher unter unserer Aufsicht und oft sogar mit unserer Mithülfe die Mahlzeiten bereitete, ließen viel zu wünschen übrig. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich freilich gestehen, daß er sein Möglichstes that und selbst nie versäumte, die Gärten zu plündern, an denen wir vorüberkamen. Henri bestärkte ihn durch Lobsprüche in diesen verderblichen Neigungen und die gestohlenen Wassermelonen, Orangen und Datteln, sowie einige Rebhühner, die wir schossen, und zwei oder drei Hasen, welche so unvorsichtig gewesen waren, unseren Hunden zu Gesicht zu kommen, bildeten die Hauptbestandtheile unserer Nahrung, deren Zubereitung eine sehr summarische war. An den an Schildkröten reichen Ufern des Ouëd-Mydroë machte ich den Versuch zu einer Schildkrötensuppe, aber ich fand dabei nur neue Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß Eifersucht der Grundzug des französischen Charakters ist. Meine Reisegefährten fanden die Suppe abscheulich, während sie hingegen den Arabern, die nicht von jenem Gefühl beherrscht waren, ausgezeichnet schmeckte. Ich, als Chef der Gesellschaft, erklärte sie ebenfalls für delicat.

Wlr waren seit acht Tagen unterwegs, als wir am Duar des Mustapha-Ben-Saïd, eines Vasallen Ben Jelluls, ankamen. Nachdem der alte Muselmann den Firman des arabischen Bureau’s und das Siegel des General Daumas genau betrachtet hatte, sprach er seine Ergebenheit und seinen Eifer, uns zu dienen, mit echt orientalischer Uebertreibung aus, stellte uns zwei große Erdhütten, die mit der von ihm selbst bewohnten in Verbindung standen, zur Disposition und lud uns endlich zu einem Souper ein, bei welchem er mit großer Liebenswürdigkeit die Honneurs machte.

Wir trafen bei dieser Gelegenheit mit einem der berühmtesten Thalebs (Gelehrter, auch Richter) der Gegend zusammen, welcher die neuesten Commentare zum Koran geliefert hatte, und waren nicht wenig erstaunt, zu bemerken, daß er wirklich in den exacten Wissenschaften ziemlich zu Hause war, ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Collegen, die sich Thalebs nennen, wenn sie fertig lesen und schreiben können.

Dies Dorf war unser letzter Ruhepunkt. Am andern Morgen saßen wir mit Sonnenaufgang zu Pferde. Der Kaïd erbot sich, uns mit einer Ehrenwache von funfzig Reitern zu begleiten, und ich konnte nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die ungewöhnliche Größe seiner Leute und den reinen Typus ihrer Gesichtsbildung zu bewundern, der sich bei den in den Küstengegenden lebenden Stämmen durch die Vermischung der Racen verloren hat. Auch die Pferde waren von seltner Schönheit.

Nach zweistündigem ziemlich schnellem Ritt näherten wir uns den Höhen des Dschebel Ammur. Noch einige Schritte und wir sollten die grenzenlose Sahara vor uns sehen – nur die Bergkette, deren Gipfel wir fast erreicht hatten, verbarg sie noch vor unsern Blicken; da, als wir um die Ecke eines schwärzlichen Felsens bogen, an welchem sich ein arabischer Weg, d. h. eine Art Ziegenpfad hinauf zog, sahen wir plötzlich eine Wolke von Reitern mit wahrhaft erschreckender Schnelligkeit auf uns zukommen. Die Burnusse flatterten im Winde und die lange Reihe der Bewaffneten wand sich wie eine Schlange um den Felsen, an welchem sich der Pfad herabschlängelte. In stolzer Haltung und mit hoch erhobenen Flinten ritt, oder vielmehr flog die Truppe auf uns zu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_571.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)