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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

vorhanden, wo das Menschengeschlecht noch tief im Schlummer des Nichtseins ruhte und noch lange auf den Weckruf zu warten hatte, welcher erst dann allmählich laut und immer lauter werden konnte, als die Bedingungen des Entstehens und des Bestehens des Menschengeschlechts sich immer günstiger gestalteten. Wir befinden uns also bei unserer gedachten Wanderung durch den Steinkohlenwald recht eigentlich in einer Lage, die für menschliches Sein gar nicht angethan ist.

Mit steigendem Interesse betrachten wir die Einzelnheiten. Vor Allem fallen uns schlanke Stämme dicht vor uns in die Augen, denn ihre Rinde zeigt eine Zierlichkeit und Regelmäßigkeit der Bildung, die wir noch an keinem lebenden Gewächse sahen. Die Wissenschaft gab diesen Bäumen auch ganz dieser Rindenbeschaffenheit angemessene Namen. Hier steht eine Gruppe schlanker Schuppenbäume, Lepidodendron, (links im Vordergrunde des Bildes) – deren oben gabelästig getheilte Stämme zierlich beschuppten Schlangenleibern gleichen. Die reiche luftige Krone besteht aus dicht und lang benadelten Zweigen, und gewinnt dadurch eine große Aehnlichkeit mit unsern Kiefern, namentlich mit der aus Nordamerika eingeführten Weimuthskiefer. Die Schuppenbäume haben jedoch mit den Nadelhölzern unserer Tage nichts gemein; sie sind die kräftigen Ahnen eines in der Gegenwart verkommenen Geschlechts, der Bärlappgewächse, Lykopodien, welche jetzt entweder wie die Moose, denen sie auch ähnlich sind, am Boden kriechen, oder höchstens 1 bis 2 Fuß hoch sich über denselben erheben. An den Spitzen der Triebe zeigen die Schuppenbäume, wie manche unserer Bärlapparten, zapfenähnliche Bildungen, zwischen deren Blättchen sie die kleinen Fruchtkapseln tragen.

Durch einen kleinen Canal getrennt, treffen wir – (rechts im Vordergrunde) – eine schlanke Sigillaria, Sigillaria, was wir deutschthümelnd Siegelbaum übersetzen müssen. Die glatte, zarte Rinde derselben ist reihenweise mit zierlichen Eindrücken besetzt, welche wie bei den Schuppenbäumen die bleibenden und sich sogar noch fortbildenden Spuren der abgefallenen Blätter sind. Diese elegante Rindenbildung ist bei dieser Gattung eben so wie bei den Schuppenbäumen beinahe das einzige Mittel, die verschiedenen Arten zu unterscheiden, deren man von ihnen weit über 30 und bei den Schuppenbäumen über 40 unterscheidet.

Doch wir schauen uns den unserm Standpunkte, der durch das Wasser sehr beschränkt ist, weiter um und bemerken – (rechts im Mittelgrunde des Bildes) – mehrere Arten baumartiger Farrenkräuter, einer Pflanzenfamilie angehörend, welche Jeder liebt, der ihre eigenthümliche Organisation und Laubentfaltung und ihre besondere Bedeutung als Glied in der Reihe des Pflanzensystems neben ihrer einfachen Schönheit kennt. Während die gegenwärtige Flora Europa’s nur etwa 50 Arten zählt, welche nur einen kleinen Bruchtheil der etwa 6000 Arten betragenden Flora Europa’s bilden, waren die Farrenkräuter in der Steinkohlenflora die herrschende Pflanzenclasse. In runder Summe kann man etwa 500 Pflanzenarten aus den Schichten der Steinkohlenformation als bekannt annehmen, und von diesen sind 250 Farren, über 100 schuppenbaumartige Bärlapppflanzen und baumartige Schachtelhalme, welche beide den Farrenkräutern sehr nahe verwandt sind. Hier rechts ganz in unserer Nähe bei dem Stamme einer Sigillaria steht ein junger kräftiger Farrenstock, an welchem wir die eigenthümliche spirale Entfaltung der zwei jungen Blätter sehen, welche jedoch auch an den entfernter stehenden baumartigen deutlich erkennbar ist.

Was sind das für sonderbare Gewächse, welche zu den Füßen jener zwei sich kreuzenden Farrenbäumchen dicht am Ufer im Wasser stehen? Wenn bei den andern bisher betrachteten unsere hülfreiche Einbildungskraft in der Hauptsache das Richtige getroffen haben wird, so ist diese Pflanze, von der drei Stöcke vor uns stehen, vielleicht nichts weiter als Phantasiegebilde; wenigstens wird sie von vielen Naturforschern dafür erklärt, indem sie behaupten, daß diese Gebilde, die man namentlich in den englischen Kohlengruben häufig findet, nicht sowohl selbstständige Pflanzenarten, sondern nichts Anderres als Wurzelstöcke der Sigillarien seien, deren Stamm von jenen abgebrochen sei, und die man allerdings fast immer in der unmittelbaren Nachbarschaft der Stigmaria findet, wie man diese räthselhaften oder wenigstens streitigen Gebilde nennt.

Links jenseits des Wassers bemerken wir, den Farrenbäumchen gegenüber, einen dichten Trupp von baumartigen Gewächsen, welche die regelmäßige längsgestreifte quirlartige Zweigstellung der Kiefern zeigen. Es sind Calamiten, deren regelmäßig längsgestreifte Stämme in den Schiefer- und Sandsteinschichten der Steinkohlenformation außerordentlich häufig vorkommen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sie zu der Familie unserer Schachtelhalmgewächse gehören. Wie bei den Schuppenbäumen, so glaubte man auch von den Calamiten bis heute, daß ihre auf uns gekommenen überlebenden Familienverwandten sämmtlich nur schwächliche, kleine, höchstens einige Fuß hohe Pflanzen seien, und man erblickte darin ein Zurückgehen der schaffenden Natur in diesen niedern Pflanzenordnungen, während in den höheren ein Fortschreiten stattfindet. Allerdings waren die bis heute bekannten Schachtelhalme nur schwächliche Gebilde gegenüber den Calamitenbäumen der Steinkohlenflora. Ganz neuerdings hat jedoch Spruce in den Urwäldern von Peru Schachtelhalme von 20 bis 30 Fuß Höhe gefunden, so daß dadurch der Abstand zwischen der ältesten und der heutigen Pflanzenwelt wieder um einen Schritt geringer geworden ist.

Die schlanken Stengel, welche hier vor uns aus dem Wasser emportauchen, sind dagegen schwer zu deuten und haben in der Jetztwelt nicht ihres Gleichen. Es sind Asterophylliten und Annularien, welche durch ihre quirlförmig stehenden Blätter einigermaßen an unsere Labkräuter erinnern.

Den Hintergrund unserer Landschaft bilden die majestätigschen Gestalten von Nadelbäumen, welche sich aber sehr von den heutigen unterscheiden.

Dies ungefähr ist es, was uns die von der Wissenschaft erleuchtete Vorstellungsgabe über die Steinkohlenflora vormalt. Außerordentlich groß muß die Fruchtbarkeit des jugendlichen Bodens gewesen sein in der Hervorbringung so großer Pflanzenmassen, daß aus ihnen die unerschöpflichen Steinkohlenvorräthe sich bilden konnten; und mit Interesse sehen wir unser Bild wieder an, denn wir erblicken auf ihm die geistig wiedererweckten Gründer unserer großartigen Industrie. Wie sie aus dieser wurden, soll uns im nächsten Artikel beschäftigen.




Der Dampf-Pflug.

Von dem Spaten und dem Pfluge, womit seit Jahrtausenden der Getreide- und Fruchtacker bearbeitet ward, bis zu den unzähligen, complicirten und zum Theil genialen Hand- und Dampfmaschinen, welche jetzt in England und Amerika über und durch den Boden fliegen, um in Stunden bessere und mehr Arbeit zu verrichten, als der Bauer mit seinen Ochsen in ganzen Wochen, ist ein großer, weiter Culturschritt, zwischen welchem ungeheuere Massen von angewandter Mathematik und Mechanik aufgespapelt liegen. Und doch findet man noch überall neben dem vollkommensten Ackerbau mit Dampfmaschinen die rohesten Spaten und einfachsten Pflüge, wie sie von einem Jahrhundert zum andern sich von Vater auf Sohn und Enkel forterbten. Die kleinen Farmer und Gärtner in England arbeiten noch mit den rohesten Werkzeugen neben den triumphirendsten Dampfpflügen, und die ermüdende Menschenhand muß noch concurriren mit den nie ermattenden feurigen Drachen oder räder- und hebelreichen Mechanismen, welche für die Menschen dreschen, Getreide von der Spreu und vom Staub sichten, Häcksel schneiden, Getreide säen, mähen und mahlen, Knochen in Düngerstaub zermalmen, Rüben schneiden, buttern, käsen und sonstige Bauerarbeiten verrichten. Ja, man hat schon versucht, mit einer einzigen, irgendwo feststehenden Dampfmaschine alle diese Arbeiten und noch mehr gleichzeitig verrichten zu lassen. Der einzige Kolben, der von der Dampfkraft gedankenlos, aber zuverlässig, sicher und unermüdlich auf- und abgetrieben wird, zieht hier den Pflug, dort drischt er, an einer anderen Stelle schneidet er Häckeling, und auch zum Buttern läßt er sich dabei herab.

Als Bauer und Ackersmann steckt der Dampf-Riese noch in den Kinderschuhen und in allerlei kindischen Versuchen, die aber alle in der einen oder andern Weise Vorzüge vor der Menschenarbeit haben. Im Allgemeinen sind die Apparate, welche als hand- oder dampfbewegte Mechanismen die Menschen-Plackerei beim Ackerbau ersetzen und überwiegen sollen, noch zu complicirt und theuer. Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_574.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2023)