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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

mit der unschuldigen Schalkhaftigkeit eines Kindes gepaart, die so wunderbar aus diesen Blicken leuchteten. – Seine etwas bleichen und kränklich aussehenden Wangen wurden, von einem schmalen Bartstreifen wie von einem Rahmen eingefaßt. Er war einfach, aber reinlich und sorgfältig gekleidet mit einem zimmetbraunen Frack ohne jede Stickerei, die damals von den besseren Ständen mit Vorliebe getragen wurde. Kurze Hosen von geschorenem Sammet, seidene Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen vollendeten seinen Anzug; ein dreieckiger Hut mit Band eingefaßt bedeckte seinen Kopf; in der Hand trug er das mit Messing beschlagene Gebetbuch und einen kleinen grünen Beutel, der den Gebetmantel enthielt.

Freundlich dankend ging er an den Glaubensgenossen vorüber, die sich meist durch seinen Gruß geehrt fühlten; nur einige finstere Zeloten, denen seine tolerante Gesinnung ein Aergerniß war, wandten ihr Gesicht ab und murmelten eine Verwünschung in den Bart, dem Abtrünnigen fluchend, für den sie ihn hielten.

Dieser Mann war der schon damals bekannte und berühmte jüdische Philosoph Moses Mendelssohn.

An seiner Seite ging ein polnischer Jude, der erst seit Kurzem nach Berlin gekommen war, hauptsächlich, um Moses kennen zu lernen. Rabbi Isaak Satanof konnte seine orientalische Abkunft noch weniger wie Mendelssohn verleugnen. Dafür sprachen die langen, wie Propfenzieher gedrehten, schwarzen Locken, welche unter der hohen Pelzmütze hervorquollen; die gebogene Nase, die dunklen, unstäten Augen und die echt jüdischen Gesten der Hände und des ganzen Körpers, womit er seine Rede zu begleiten pflegte. Trotz seiner schlechten und gebückten Haltung schien er fast noch einmal so groß, wie sein philosophischer Freund zu sein, neben dem er wie ein Riese neben einem Kinde dahinschritt.

Das seltsame Paar mochte die Aufmerksamkeit eines vorübergehenden Officiers auf sich gezogen haben, der sich nicht das Vergnügen versagen konnte, sein Müthchen an den Juden zu kühlen, die zu jener Zeit ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung selbst für die besseren Stände waren.

„Jude! Nischt zu handeln?“ fragte der Lieutenant, den buckligen Mendelssohn anstoßend.

„O ja!“ antwortete dieser schnell gefaßt und mit seinem feinen Lächeln. „Nur fürchte ich, daß der Herr Officier von unserer Waare keinen Gebrauch machen kann.“

„Na, womit handelt denn der Mauschel?“

„Mit Witz und Verstand!“ entgegnete Moses und ließ den verblüfften Officier stehen, der sich, so abgeführt, mit einem lauten Fluch entfernte.

Ohne weitere Abenteuer gelangten die Beiden in Mendelsohns Wohnung, welche in der Spandauerstraße Nummer 68 lag. Das Zimmer, in welches sie traten, war zu Ehren des kommenden Sabbats festlich geschmückt, der Fußboden mit frischem Sand gestreut, der Tisch mit einem reinen, weißen Leinentuch bedeckt, auf welchem die silberne Lampe mit sieben Armen stand, ein Hochzeitsgeschenk des reichen Seidenfabrikanten Bernhard, bei dem Moses, trotz seines hohen Rufes, noch immer als Buchhalter in Diensten stand, zufrieden mit seinem bescheidenen Loose. – Die übrigen Möbel waren überaus einfach, einige Stühle ohne Polster mit hohen Rückenlehnen, ein Bücherschrank, der eine Auswahl der vorzüglichsten deutschen, französischen und englischen Schriftsteller enthielt, dazwischen auch viele seltene hebräische Werke, selbst römische Classiker und griechische Autoren, die letzteren in Uebersetzung. Eine derartige Bibliothek war in dem Hause eines Juden eine unerhörte Seltenheit in damaliger Zeit, wo es fast für ein Verbrechen galt, andere Bücher, als hebräische, zu lesen. Für Moses knüpften sich an diese Bücher noch die schönsten Erinnerungen an die Vergangenheit. Diesen zerlesenen „Cicero“ hatte er für die Ersparnisse gekauft, die er sich an seinem Leibe abgedarbt; er hatte Wochen lang gehungert, um ihn endlich zu erlangen. Heimlich und mit Hülfe eines Lexikons, worin er jedes Wort einzeln nachschlug, hatte er Latein gelernt, oft beim Scheine des Mondes oder im Zwielicht der Morgendämmerung, weil ihm das Geld fehlte, um sich das nöthige Oel für seine Lampe anzuschaffen.

Von heißem Wissensdrange beseelt, war er aus dem kleinen Dessau nach dem großen Berlin gekommen, wo ein neuer Geist unter den Augen des großen Friedrich erwacht war, der Geist allgemeiner Bildung und Aufklärung. Von diesem Geiste wurde auch der arme Judenknabe so mächtig ergriffen, daß ihm kein Opfer, keine Anstrengung, selbst der Ruin seiner Gesundheit, die er durch übermäßigen Fleiß zerstörte, zu groß oder zu schwer schien. Seinen Körper gab er für Geist hin und für Wissen tauschte er Gesundheit ein.

Ein solches Streben konnte nicht unbemerkt bleiben, er fand Freunde und Gönner, die ihn materiell und gelstig unterstützten. Ein junger Arzt gab ihm unentgeltlich Unterricht im Lateinischen, ein College desselben stellte dagegen Mendelssohn selne große und auserlesene Bibliothek zur Verfügung, wodurch er mit der neuesten Literatur, besonders mit den philosophischen Werken eines Leibnitz und Wolf bekannt wurde. Mehrere talentvolle Jünglinge suchten den scheuen Moses auf, der in ihrem Umgange seine bisherige Einseitigkeit verlor und eine neue, weitere Weltanschauung erlangte, als der enge, beschränkte Geist seiner talmudischen Studien gestattete. Er bekam auch später einige Schüler, denen er Unterricht ertheilte, wodurch er den nothdürftigen Lebensunterhalt gewann, der gerade hinreichte, um ihn vor dem Verhungern zu bewahren. Endlich war er Hauslehrer in der Familie des reichen Seidenhändler Bernhard geworden und gegenwärtig Aufseher und Geschäftsführer in dessen Fabrik.

Das Alles erzählte nun Mendelssohn seinem Gaste, den er zu Tische geladen hatte, während die emsige Hausfrau ab- und zuging, um noch allerlei Anordnungen zu treffen. Endlich wurde das Essen von der Köchin aufgetragen und auf den Tisch gesetzt. Der Hausherr erhob sich und sprach den Segen über die geflochtenen und mit Mohn bestreuten Weißbrode, welche am Sabbath in keinem frommen Judenhause fehlen dürfen; ebenso verfuhr er mit dem Weine, den er in den silbernen Becher goß, wobei er ebenfalls einen frommen Spruch hersagte. Der Becher wanderte darauf von Mund zu Mund und Jeder trank daraus nur einen Schluck. Das Mahl war einfach und bestand hauptsächlich aus einem Gericht schmackhaft zubereiteter Fische, welche am Freitag Abend allen anderen Gerichten vorgezogen wurden.

„Laßt es Euch schmecken,“ sagte Mendelssohn zu seinem Gaste, ihn zum Zugreifen einladend.

„Ihr sorgt,“ entgegnete Isaak Satanof im blumigen Styl des Orients, „nicht nur für den Leib, sondern auch für den Geist; Euere Worte sind wie Manna in der Wüste und Euere Lehren wie edler Wein. Ihr seid ein Licht in Israel; um so weniger begreife ich die Vorsehung, daß sie Euch zum Diener eines so rohen und ungebildeten Mannes, wie dieses Herrn Bernhard, gemacht hat, der nichts gelernt hat und in jeder Beziehung weit unter Euch steht. Man möchte sich fast versucht fühlen, an ihrer Weisheit zu zweifeln.“

„Das wäre ein großes Unrecht!“ entgegnete Mendelssohn im milden Tone. „Die Vorsehung weiß, was sie thut, und hat immer Recht, denn wenn ich an der Stelle des Herrn Bernhard wäre und er an der meinigen, so wüßte ich ihn nicht zu gebrauchen; ich könnte ihn nicht anstellen, wie er mich, da er leider nichts gelernt hat.“

„Ja, ja!“ lachte der Gast. „Ihr habt dieses Mal, wie immer, Recht. Die Vorsehung muß für die Dummen sorgen. Dem Einen gibt sie Reichthum, dem Andern Wissen und Gelehrsamkeit. Ihr seid eben so gut, als klug, und darum ertragt Ihr die Ungerechtigkeit des Schicksals mit derselben Sanftmuth, wie die Schmähungen und Verleumdungen der Menschen. Wo mir die Faust zuckt, habt Ihr höchstens ein mitleidiges Lächeln, und wo ich gleich dreinschlagen möchte, da zuckt Ihr nur mit den Achseln. Denkt Ihr, ich habe nicht bemerkt, wie die eifrigen Finsterlinge Euch verwünschten, als wir an ihnen vorüberkamen?“

„Das können sie immerhin thun. Meinetwegen sollen sie mich auch prügeln, wenn ich nur nicht dabei bin,“ scherzte der Philosoph in sokratischer Weise. „Wer die Vorurtheile der Welt bekämpfen will, muß vor allen Dingen Geduld haben. Ihr seid noch immer zu aufbrausend, mein lieber Isaak! Denkt an die Fabel von dem Wanderer mit dem Mantel, den ihm der Sturmwind entreißen wollte. Was that er? Er hüllte sich nur immer fester hinein und gab ihn nicht; als aber die milde Sonne mit ihren erwärmenden Strahlen schien, da legte er ihn von selber ab.“

„Ich an Euerer Stelle hätte schon längst die unfruchtbare Mühe aufgegeben, dies störrige Volk zu bekehren. Was nützen alle Euere guten Lehren, Vorschläge und Arbeiten zur Hebung Israels; hat es nicht ein anderer Moses schon ein hartnäckiges und verstocktes Volk genannt?“

„Und doch hat er es nicht aufgegeben. Wißt Ihr denn nicht, Satanof, daß ein Vater von allen seinen Kindern das schwächste und ungezogenste am meisten liebt, das ihm die größten Sorgen bereitet? Ich werde meine Aufgabe, die mir vorschwebt, nach besten

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