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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

weise Mendelssohn nur seiner Eigenschaft als Diener seinen Aufenthalt in Berlin zu danken hatte, daß er erst nach wiederholten Bitten und den dringendsten Empfehlungen eines Franzosen und persönlichen Freundes des Königs das[WS 1], aber nur für seine Person und nicht einmal für seine Kinder, erlangen konnte.“

„Das ist nun die gepriesene Toleranz und Aufklärung in Berlin,“ fuhr Lessing auf. „Sie beschränkt sich lediglich darauf, von der Religion so viel Schlimmes als möglich zu sagen, und den Glauben zu verspotten.“

„Wenn man Sie so reden hört,“ entgegnete Nikolai, „weiß man wirklich nicht, woran man mit Ihnen ist. Die Theologen glauben, daß Sie ein Freigeist sind, und die Freigeister, daß Sie ein Theolog geworden.“

„Mögen sie von mir halten, was sie wollen. Mein Glaube ist, daß die Religion nur dazu dienen soll, die Menschen zu erziehen, sie sittlicher und humaner zu machen, Duldung und Liebe zu verbreiten. Ich will kein Freigeist, aber noch weniger so ein intoleranter Pietist sein, der da meint, die Seligkeit allein gepachtet zu haben, und gleich mit Feuer und Schwert dreinschlagen will, wenn ein Mann eine andere Ansicht hat, als er. Nur gegen diese blinden Eiferer gedenk’ ich meine Waffen noch einmal zu erheben. Wie wenig verstehen sie den wahren Geist des Christenthums, wie wenig beherzigen diese das Wort des milden Johannes, des Lieblingsschülers unsers Herrn! Als dieser alt und schwach geworden war, so daß ihn seine Schüler in die Kirche tragen mußten, wo er, anstatt wie sonst zu predigen, nur einige Worte mühsam vorbringen konnte, sprach er nur das einzige und wiederholte es immer wieder: „Kindlein, liebet einander!“ Seine Schüler und die übrigen Zuhörer wurden darüber auf die Länge der Zeit ungeduldig und fragten: „Meister, warum redest Du immer dasselbe?“ – „Weil,“ antwortete der würdige Greis, „die Liebe das Gebot Gottes ist, und allein schon zur Seligkeit hinreicht.““

„Damit kommen Sie schön bei unseren Theologen und Orthodoxen an,“ bemerkte Ramler, der bisher nach seiner Gewohnheit still geschwiegen hatte.

„O!“ entgegnete Lessing, „diesen Herren kann ich noch mit einer andern Geschichte dienen, die ich im Dekameron des Boccaccio gefunden habe, worin mehr Toleranz zu finden ist, als in all’ den Schriften des windbeuteligen Monsieur Voltaire, von dem der König so entzückt ist, daß er ihn allen deutschen Schriftstellern vorzieht.“

„Lassen Sie uns Ihre Geschichte hören, lieber Lessing!“ bat Mendelssohn.

„Ein Jude,“ begann Lessing, „so klug und auch so mild wie unser Moses hier, wurde von dem Sultan gefragt, welche Religion er für die beste halte.“

„Eine schwierige Frage,“ bemerkte Mendelssohn, „und besonders, wenn ein Sultan sie an einen armen Juden richtet, der dadurch in die größte Verlegenheit gerathen mußte.“

„Hören Sie, wie sich unser Jude aus dieser Schlinge gezogen hat. Er erzählte dem Sultan eine Geschichte, die ungefähr folgendermaßen lautete. Vor Jahren lebte ein reicher Mann, der drei Söhne besaß, welche er gleich lieb hatte. Unter den Schätzen, mit denen ihn der Himmel gesegnet hatte, befand sich auch ein kostbarer Ring, der die Eigenschaft hatte, daß er dem Besitzer Macht und Ansehn verlieh und ihn zugleich beliebt vor Gott und Menschen machte. Als der Vater sein Ende nahe fühlte, gerieth er in die größte Verlegenheit, indem er nicht wußte, welchem der drei Söhne er den Ring und mit ihm die ganze Erbschaft, wie es in der Familie bräuchlich war, lassen sollte, weil er alle Drei eben so sehr liebte und Keinen kränken wollte. Außerdem hatte er mit zärtlicher Schwachheit Jedem von ihnen diesen Wunderring schon früher zugesagt. Was nun beginnen? Da gerieth er auf einen Ausweg; er ließ von einem geschickten Meister noch zwei falsche Ringe anfertigen, die dem wahren so ähnlich waren, daß sie kein menschliches Auge und selbst er nicht zu unterscheiden vermochte. Als er nun auf dem Sterbebette lag, ließ er seine Söhne einzeln kommen, segnete sie und gab Jedem heimlich den Ring und somit das Anrecht auf die gesammte Erbschaft. Kaum hatte der Vater die Augen geschlossen, als jeder der Söhne die Erbschaft für sich beanspruchte, weil er sich im Besitz des Ringes wußte und diesen vorzeigte. Natürlich behauptete jeder, den echten Ring allein zu haben, und erklärte die andern beiden Brüder für Betrüger und Fälscher. Der Streit wurde immer heftiger und endlich kamen die Söhne überein, ihre Ansprüche vor dem Richter geltend zu machen. Dieser war ein weiser Mann und hörte sie ruhig an.“

„Ich bin wirklich neugierig auf das Urtheil,“ bemerkte Professor Sulzer.

„Und ich kann es mir denken,“ sagte Satanof; „der weise Richter wird durch das Loos entschieden haben, da es nach meiner Meinung kein anderes Mittel gab.“

„Dann wäre er der weise Richter nicht,“ meinte Mendelssohn mit sanftem Lächeln. „Irre ich nicht, so besaß der wahre Ring die Eigenschaft, den Besitzer beliebt vor Gott und Menschen zu machen. Dies Kennzeichen mußte nach meiner Ansicht den Ausschlag geben. Dem besten der Söhne gebührte die Erbschaft, demjenigen vor Allen, welcher sich durch sein Betragen als der Würdigste im Lauf der Zeit erwiesen.“

„Und konnte der weise Richter nicht auch sagen: Eure Ringe sind alle drei nicht echt. Der echte Ring ging vermuthlich verloren? Und hiermit endet meine Geschichte, die ich dem Boccaccio entlehnt.“

Als Lessing jetzt schwieg, waren alle Anwesende von seinen Worten tief ergriffen; erst nach einer längeren Pause brach der Dichter Ramler das allgemeine Stillschweigen.

„Und die Moral,“ fragte er ernst, „die Moral der Geschichte?“

„Liebet einander,“ entgegnete Mendelssohn, „beweist durch Duldung, Nachsicht und Menschenfreundlichkeit, daß Ihr den wahren Ring besitzt. Das soll von nun an unser einziges Streben sein.“

„Ja!“ rief Lessing mit einem sonst an ihm nicht gekannten Feuer. „Wir wollen insgesammt nach dem echten Ringe suchen, der, wie der weise Richter sagt, verloren gegangen ist. Die Liebe, welche schon Johannes gepredigt hat, soll unsere Führerin auf den richtigen Weg sein; die Toleranz uns zur Seite stehn. Ich verstehe freilich darunter nicht jene schwächliche, weichliche Nachsicht auch mit dem Schlechten und mit den Vorurtheilen der Menge. Gerade gegen diese müssen wir mit aller uns zu Gebote stehenden Kraft ankämpfen. Unsere Bundesgenossin aber soll die Wissenschaft werden, welche in Deutschland aus dem Todesschlaf erwacht, die Fackel schwingt, vor der die Nachteulen und Fledermäuse des Aberglaubens, der Verfolgungssucht und der geistigen Inquisition fliehen müssen. Dann wird die Zeit kommen, die Zeit der Vollendung, der nach meinem festen Glauben die Menschheit trotz aller Hemmungen und Hindernisse unaufhaltsam entgegengeht, die Zeit eines neuen Evangeliums für Alle, zu welcher Religion sie sich auch äußerlich bekennen mögen.“

„Amen!“ rief Mendelssohn mit gefalteten Händen und mit seinen Blicken an den Lippen des Freundes hängend.

„Und der Messias?“ fragte Rabbi Satanof hartnäckig. „Der Messias, wird er dann kommen?“

„Jene Zeit bringt Allen und auch den Juden sicher die Erlösung,“ entgegnete der weise Moses lächelnd. „Der Messias wird nicht ausbleiben, mein lieber Freund!“

„Ich verstehe Euch jetzt,“ antwortete der Jude. „Unser Messias heißt Liebe mit Wissen verbunden und dort Herr Lessing ist sein Verkündiger. Mir ist’s, als hätt’ ich ein Gesicht gehabt, als wäre der Geist des Ewigen hier unter uns.“

Lessing nahm die Hand des Rabbi, die ihm dieser hinreichte, und drückte sie; als er die seinige zurückzog, glänzte sie von einer Thräne, die der Jude darauf fallen ließ.

Einige Jahre später hat Lessing die „Geschichte der drei Ringe“ zu einem Drama benutzt, das seinen Namen unsterblich gemacht hat. Nathan der Weise war sein Freund Mendelssohn, der ihm die Umrisse zu diesem herrlichen Charakter lieferte; Rabbi Isaak Satanof aber wurde von dem Dichter in der Figur des ehrlichen Schach spielenden Derwisch gezeichnet.

Max Ring.




Blätter und Blüthen.

Aus den holsteinischen Marschen. II. Wie das Land, so die Leute. Beide stehen in genauester Wechselbeziehung. Fruchtbar, unerschöpflich an Ergiebigkeit ist der Boden der Marsch und kräftig, gesund, blühend der Menschenschlag, der auf ihr wohnt. Der nationale Charakter ist bei den holsteinischen Marschbewohnern vielleicht mit am reinsten und bestimmtesten unter allen deutschen Stämmen erhalten. Blonde Haare, blaue Augen, breite Schultern, starke Flanken, die Nase in der Regel wohlgeformt, mehr groß, als klein. Stumpfnäschen sieht man selbst beim weiblichen Geschlecht selten. Ich erinnerte mich, als ich diese holsteinischen Gesichter sah, lebhaft der interessanten Beobachtungen, die Arndt in seinen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bürgerrrecht
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_579.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2020)