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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Wandlungen und Wanderungen mit dem Freiherrn von Stein“ über die charakteristische Verschiedenheit der deutschen und russischen Physiognomien macht. Die russischen Nasen nennt er breite, unförmliche Fleischklumpen, flach und platt in’s Gesicht geklebt, im schärfsten Gegensatz zu der bestimmten, scharf begrenzten, hervortretenden Nasenbildung der germanischen Race. – Das weibliche Geschlecht in den Marschen steht den Männern an körperlicher Tüchtigkeit nicht nach. Frauen und Mädchen blühen und strotzen von Kraft und Gesundheit und wenn sie im Durchschnitt auch mehr feste, dralle Figuren, als zarte, ätherische Erscheinungen sind, so findet man doch auch nicht unter ihnen jene bleich- und schwindsüchtigen Gestalten, wie sie anderwärts nur zu zahlreich unter der Frauenwelt zu erblicken. Eine allerdings nicht gerade schöne Eigenthümlichkeit der Frauen und Mädchen aus der Marsch ist, daß sie fast durchgängig große Füße haben, eine Specialität, an welcher der fette, schwere Marschboden, in welchem sich, besonders nach dem Regen, der Fuß beim Gehen platt und breit drückt, Schuld sein soll. Diese Eigenthümlichkeit des Bodens mag auch wohl – wie hier gleich bemerkt werden mag – den so häufigen Gebrauch des hohen, schweren Holzpantoffels, wie er auch von dem Bauer in Frankreich und Belgien getragen wird, verursacht haben. Niemals ist mir das abscheuliche Geklapper der Holzpantoffeln häufiger vorgekommen, als in den holsteinischen Marschen, wo sie von Jung und Alt auf dem Lande und auch von den ärmeren Classen in der Stadt durchgängig getragen werden.

Der Hauptgrund dieser kräftigen Gesundheit liegt wohl vor Allem in der reichlichen und nahrhaften Kost, welche die Marschbewohner genießen. Zum Frühstück Grütze und Klöße mit Speck, zu Mittag wieder Speck, wieder Klöße, dann Rindfleisch, Fische in Butter gebraten, Kartoffeln, Grütze und wieder Speck: das ist so die Kost der Bauern in der Marsch, wozu als Modulation vielleicht einmal eine Fruchtsuppe oder Buttermilchsuppe mit Klümpen oder Klößen tritt. Im Durchschnitt werden die Speisen sehr fett zubereitet und zu einem Gericht Bohnen (sogen. Pferdebohnen), welches vielleicht für drei Personen bestimmt ist, kommt sicherlich ein Pfund Speck. Das Brod, das eigentliche Schwarzbrod, ähnelt dem westphälischen Pumpernickel; das Korn wird nur geschroten und dann verbacken. Es sieht schwärzer aus, als das Commißbrod unserer Soldaten, ist zwar etwas schwer zu verdauen – für einen mitteldeutschen Magen nämlich – doch trotzdem wohlschmeckend und man gewöhnt sich auch leicht an den Genuß desselben. Häufig wird dazu, wie überhaupt in Norddeutschland, feines weißes Brod gegessen, so daß die Grundlage ein Stück Schwarzbrod bildet, worauf eine Lage Butter oder ein Stück Speck, auch Schinken kommt, und ein Stück weißes Brod den Schluß macht. Auf eine Entbehrung muß man sich in den Marschen gefaßt machen, auf den Mangel an gutem Trinkwasser, von Bier nicht zu reden, denn das, was man unter diesem Namen braut, kann von einem Menschen, der nur einmal in seinem Leben gutes Bier getrunken, nicht über die Lippen gebracht werden. Aber dieser Trinkwassermangel ist für den, welcher aus einer quellenreichen Gegend kommt, in der That sehr empfindlich. Quellen mit gutem Trinkwasser gibt es in den Marschen sehr wenige, man muß daher zu dem Hülfsmittel seine Zuflucht nehmen, das schon die Patriarchen des alten Testamentes anwendeten und das noch heute im Orient, der Natur der Sache nach, gebräuchlich: zum Cisternenwasser. Wohlhabendere filtriren dieses Wasser durch Tropfsteine, die arbeitenden Classen im engeren Sinne aber trinken es, wie es eben aus der Cisterne kommt. Im Winter mag dies noch hingehen, aber im Sommer, wenn die Juli- und Augustsonne mit einer Gluthhitze von 25–27 Grad R. auf diesem Cisternenwasser gebrütet, ist es ein ganz abscheuliches Getränk. Und selbst dieses Cisternenwasser war in diesem jetzigen, anfangs so heißen und trockenen, regenarmen Sommer so kostbar und selten, daß in Dithmarschen dieses Wasser förmlich unter Aufsicht vertheilt wurde.

Durstige Herzen müssen sich in den Marschen mit dem landesüblichen Thee, mit Milch und Tropfsteinwasser, das sie mit Rothwein, Cognac, Rum etc. vermischen können, begnügen. Die letztgenannten Spirituosen, sowie die französischen Weine sind in den Marschen wohlfeiler, als im Zollvereinsgebiet, da die von der dänischen Regierung davon erhobene Steuer eine bedeutend niedrigere ist, als die zollvereinsländische. – Die eigentliche Industrie ist unbedeutend in den Marschgegenden; Handel, Schiffahrt und Ackerbau nebst Viehzucht sind die vorherrschenden Berufsarten. Wenn man von Ackerbau und Viehzucht spricht, denken wir in Mittel- und Süddeutschland zugleich an Dörfer, große geschlossene ländliche Ortschaften. Diese findet man in den Marschen nicht. Jeder Bauer oder Hofbesitzer hat sein alleinstehendes Haus, um welches dicht herum seine Grundstücke, Aecker und Wiesen liegen, und ihn dadurch von dem vielleicht eine Viertel- oder halbe Stunde weit entfernt wohnenden Nachbar isoliren. Eine vielleicht halb- oder ganzstündige Entfernung der Grundstücke vom eigentlichen Bauerhofe, wie es in vielen unserer ländlichen Districte vorkommt, ist dort schon wegen der Bodenbeschaffenheit, die ein weites Fahren mit schwerbeladenem Wagen ungemein beschwerlich und mühsam macht, nicht üblich. Das Haus, der Hof selbst ist ein Muster von Reinlichkeit, und wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß in manchen Bauerhöfen die Stalldiele, zu deren beiden Seiten die Ställe mit den Futterkästen hinlaufen, und die zugleich als Tenne zum Ausdreschen des Getreides dient, so blank und reinlich aussieht, wie in vielen andern Gegenden die Wohnzimmer der Menschen nicht. Das oft wüste, liederliche Durcheinander so vieler Bauerhöfe kennt man dort nicht, es herrscht eine fast holländische Ordnung und Reinlichkeit, die beim ersten Anblick in’s Auge springt. Unter den Landleuten selbst trifft man sehr viele gebildete Männer mit scharfem, praktischem Verstand, die neben ihrem Platt, das sie im gewöhnlichen Verkehr sprechen, auch das schönste und reinste Hochdeutsch reden, besser, als mancher elegante Spaziergänger der Brühl’schen Terrasse, der das „beste Deitsch“ zu reden glaubt, weil er in „dem scheenen Träsden“ das Licht der Welt erblickt hat. Doch von der Sitte, Bildung und dem innern Wesen des Volks wollen wir in unserm dritten und letzten Bericht erzählen.

K. Wtg.


Ein delphisches Orakel im neunzehnten Jahrhundert. In dem protestantischen Rom, wie die stolzen Genfer ihre Stadt einst nannten, hat in diesem unserm aufgeklärten Jahrhundert jenes allbekannte und wieder verschollene Experiment, Holz mit animalischer Elektricität zu durchdringen, das Tischrücken nämlich, einen so mächtigen Eindruck auf einige ihrer guten Bürger gemacht, daß sie darin einen übernatürlichen Einfluß zu erkennen vermeinen.

Gestützt auf einen Ausspruch des alten Testamentes, wonach eine Zeit kommen solle, in welcher selbst die Hölzer reden würden, glauben sie, daß der Geist Gottes sich auf diese Weise fort und fort offenbare, und haben dem seine Orakel verkündenden Tisch als göttlichem Organ einen bestimmten Cultus gewidmet.

Gering freilich ist die Zahl dieser Gläubigen, die den gebildeten Ständen angehören, aber sie hoffen, daß das neue Licht sich weiter verbreiten werde, und halten sich ihres Glaubens willen für keine schlechteren Christen, als Andere. In ihrem Versammlungssaale steht ein runder Tisch von Mahagoniholz mit einem Psychograph versehen, auf welchen ringsum die Buchstaben des Alphabetes eingeschoben werden. Die Gemeinde beginnt mit einem Gebet, in welchem der göttliche Geist angefleht wird, dann legen sie die Hände auf und sobald der Tisch in Bewegung gesetzt ist, stellt der Vorsteher, Mr. de M., die Frage, ob er gestatte, heute durch ihn den Ausspruch Gottes zu vernehmen? worauf er sich nun entweder bejahend neigt oder sich, falls er die Gemüthsverfassung der Versammlung nicht für geeignet hält, verneinend schüttelt.

In ersterem Falle kann dann jedes Mitglied seine Fragen, überweltliche Interessen berührend, an ihn richten. Selten jedoch erfolgen darauf kurze und bündige Antworten, sondern das Orakel läßt es sich sehr angelegen sein, die Gewissen seiner Gläubigen durch Dictiren langer Strafpredigten zu erschüttern, und der Blässe auf den Gesichtern der sündigen Frager nach zu schließen, verfehlen sie auch ihre Wirkung keineswegs. Mitunter begeistert sich auch der Tisch zum Dictiren frommer Dichtungen, sechs bis acht Verse lang und im besten Rhythmus, in welchen er göttliche Geheimnisse verkündet.

Der oder die von der Versammlung bestimmte Schreiber oder Schreiberin muß allerdings viel Uebung haben, um mit dem Psychographen gleichen Schritt zu halten, denn „der geheiligte Finger“ arbeitet rasch.

Mitunter werden jedoch auch weltliche Angelegenheiten dem Ausspruch des Orakels unterbreitet. Ein junges Mädchen, die Tochter eines der Gründer der Secte, fügte sich ganz gegen ihre Neigung in den also verkündeten Willen des Himmels, ihre Hand einem eifrigen Jünger dieser neuen Lehre zu reichen.

Auch an den im Jahre 1857 verkündeten Untergang der Welt glaubte die Gemeinde so fest, daß ihr reichstes Mitglied bereitwillig seine Börse zum allgemeinen Besten öffnete. Wie sich das Orakel aus der Affaire gezogen, als die Welt doch nicht unterging, ist freilich dem Laien ein Geheimniß geblieben.

Ein polnischer Arzt und Magnetiseur, der eine seiner fremden Patientinnen, eine Dame von Distinction, für diese Sache zu gewinnen hoffte, führte dieselbe in die Versammlung ein, die alsbald erkannte, wie besonders befähigt die Dame sei, in unmittelbaren Verkehr mit den himmlischen Mächten zu treten, und ihr einige Fragen zu thun gestattete. Darauf eingehend, stellte die Neophytin nur die Bedingung, daß ihr der Tisch auf englisch antworte, da es ja dem göttlichen Geist gleich sein müsse, in welcher Sprache er rede. Das Orakel jedoch schien eben so wenig, wie Jemand aus der Versammlung, dieser Sprache mächtig, und da man darauf nicht einging, blieb Jene unerleuchtet und unbekehrt.

Wenn man aber aus dem Umstande, daß eine solche religiöse Verirrung in Genf geduldet wird, schließen wollte, daß sie darum auch gebilligt werde, so wäre dies ein großer Irrthum. Im Gegentheil möchten sich vor jedem Mitglied der Tischrücker-Secte alle Thüren der Genfer Patricierfamilien schließen, so wie vermuthlich die aller vernünftigen Menschen, denen das Christenthum eine Wahrheit geworden ist.



Mit dem 1. Oktober begann ein neues Quartal der bei Ernst Keil in Leipzig erscheinenden Zeitschrift:

„Aus der Fremde.“ Wochenschrift für Natur- und Menschenkunde der außereuropäischen Welt,
redigirt von A. Diezmann,
Wöchentlich ein Bogen mit und ohne Illustrationen. Vierteljährlich 16 Ngr.

Unsere Zeitschrift beschäftigt sich mit Land und Leuten weit und breit, auf dem ganzen Erdenrunde. Sie gibt nicht Erdichtetes, sondern Wahrheit, aber, was sie erzählt, bestätigt gar oft den altbewährten Spruch: „Wirklichkeit ist seltsamer als Dichtung.“ Sie gibt nicht trockne Reiseberichte; sie beschreibt vielmehr Erlebnisse in der pikantesten und kleidet ihre Schilderungen in die eleganteste und anmuthigste Form; denn, was gelesen zu werden verdient, soll auch angenehm zu lesen sein. Ihr Feuilleton ist stets reich und neu. – Die große Verbreitung, welche die „Fremde“ seit ihrem kurzen Bestehen gefunden hat, beweist am besten die Gediegenheit des Blattes.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_580.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)