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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Eine seltene Frauenfreundschaft.
Von Ludwig Storch.

Louise Dorothee, Herzogin von Gotha.


Die geschriebene Geschichte ist keineswegs so gerecht und unparteiisch, als sie von phrasenreichen Schriftstellern geschildert wird. Wie könnte sie sonst oft von hervorragenden Persönlichkeiten, die der Fortbildung der Menschheit gerade durch die Pflege des Geistes förderlich gewesen sind, und von seltenen edlen und der Bewunderung würdigen Verhältnissen so wenig Notiz nehmen, daß diese fast im reißenden Strome der Ereignisse verschwinden? Die Aufzeichnungen der Geschichtsbücher sind eben auch ein unvollkommenes Menschenwerk.

Nie drängte sich mir diese Wahrheit schmerzlicher auf, als wenn ich in der allgemeinen Geschichte des vorigen Jahrhunderts die Würdigung einer deutschen Fürstin und ihres merkwürdigen Freundschaftsverhältnisses mit einer adligen Dame vermißte und in der speciellen Geschichte des kleinen Landes, dem sie im eigentlichen Sinne des Wortes als regierende Frau angehörte, nur so obenhin erwähnt fand, die es doch mehr als hundert Kriegs- und Staatsmänner verdiente, ausführlich besprochen und gewürdigt zu werden, weil sie und ihre Freundin hochedle, leuchtende Geistesträger waren, und ihr Freundschaftsverhältniß in der Geschichte hochgestellter Frauen kein Gegenstück hat.

Diese Fürstin war die Gemahlin des Herzogs Friedrich III. von Gotha und Altenburg, welcher von 1732 bis 1772 regierte, ihr Name: Louise Dorothee. Ihre Freundin war ihre Oberhofmeisterin Franziska von Buchwald, geborene Freiin von Neuenstein.

Die großartige Freundschaft dieser beiden Frauen erinnert in Bezug auf äußere Lebensstellung und innere hohe Begabung und Tüchtigkeit ungemein stark an die etwas spätere des Herzogs Karl August von Weimar und Goethe’s; denn man kann die Herzogin Louise Dorothee mit Fug und Recht einen weiblichen Karl August nennen, ebenso Frau von Buchwald einen weiblichen Goethe, wenn sie auch nicht als Schriftstellerin aufgetreten ist. Und merkwürdiger Weise war die Herzogin von Gotha die Pflegemutter und Erzieherin ihres früh verwaisten Cousins, des Erbprinzen Ernst August Constantin von Weimar, des schon im Jünglingsalter verstorbenen Vaters Karl August’s, und übte entscheidenden Einfluß auf die Wahl seiner Gattin, der ihr geistig so sehr ähnlichen Prinzessin Anna Amalia von Braunschweig. Frau von Buchwald aber war die Gönnerin Goethe’s, und er hat als junger Mann in Gesellschaft Herder’s und Wieland’s den Weg von Weimar nach Gotha oft gemacht, um im traulichen Zimmer der von ihm hochverehrten Oberhofmeisterin ihr und einem kleinen auserwählten Kreise, zu welchem der Dichter Gotter gehörte, seine jüngsten Geisteswerke vorzulesen, deren scharfsinnige Bewundererin sie war.

Auch trifft die merkwürdige Parallele auf überraschende Weise bis in die Details zu. Frau von Buchwald war auch um mehrere Jahre älter, als die Herzogin, und auch sie überlebte die fürstliche Freundin eine Reihe von Jahren und erreichte dasselbe Alter wie Goethe. Und ihre gesellschaftliche Stellung am gothaischen Hofe und in der Stadt Gotha in ihrem Greisenalter war ganz dieselbe, wie die des greisen Goethe am weimarischen Hofe und in der Stadt Weimar.

Louise Dorothee war als Tochter des regierenden Herzogs Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen am 10. August 1710 zu Coburg, welche Stadt damals zum Herzogthum Meiningen gehörte und wo ihr Vater mehrere Jahre residirte, geboren, von vier Geschwistern die einzige Prinzessin. Ihre Mutter, die Herzogin Dorothee Maria, eine Tochter des Herzogs Friedrich I. von Sachsen-Gotha und Altenburg und eine Schwester des Nachfolgers desselben, des durch seine Prachtliebe ausgezeichneten Herzogs Friedrich II., verlor sie schon in ihrem vierten Lebensjahre, worauf sich ihr Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_585.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2020)