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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

mit der Schnelligkeit des Pfeils auf sie herab. Der eine faßte eins der flüchtigen Thiere, der andere war weniger glücklich.

Damit war die Jagd eigentlich beendigt, denn nach wenigen Minuten waren die von Schmerz und Müdigkeit überwältigten Gazellen eingeholt und zehn Minuten später lagen sie verendend zu unseren Füßen.

Wir kehrten mit Vergnügen, ja sogar mit Ungeduld nach unserem Dorfe zurück, denn es war vier Uhr Nachmittags, und da wir in unserer Sorglosigkelt versäumt hatten, Mundvorräthe mitzunehmen, waren wir fast noch nüchtern. Endlich kamen wir an, und nie ist wohl ein Mittagsessen mit größerem Appetit verzehrt worden, als der Kuskussu des Kalifat. Selbst unsern Parisern schien er vortrefflich.

Der Kaffee wurde auf der Terrasse servirt, und ich betrachtete mehr als zum zehnten Male das prachtvolle Panorama vor mir. Um einige Punkte genauer unterscheiden zu können, zog ich mein Opernglas, das ich vorsorglich mitgenommen hatte, aus dem Etui. Der Kalifat folgte allen meinen Bewegungen mit Aufmerksamkeit und ich sah, daß nur seine rücksichtsvolle Höflichkeit ihn abhielt, mich um den Zweck des Instrumentes zu fragen. Ich reichte ihm also das Glas und forderte ihn auf, durchzusehen – kaum hatte er das aber gethan, als er in Ausrufungen des Erstaunens und der Freude ausbrach. Der Kalifat beschäftigte sich lange mit dem Glase, und als er es mir endlich zurückgab, schien er es nur mit Bedauern zu thun.

„Das muß wohl sehr theuer sein,“ meinte er.

„Nein,“ entgegnete ich, „ich bitte Euch, es als ein Andenken an unsern Besuch zu behalten.“

„Aber es ist jedenfalls ein Werk des Teufels, und Gott verbietet alle Zauberei;“ antwortete er zögernd.

Ich drang weiter in ihn, das Glas zu behalten, und er kämpfte sichtllch zwischen dem Wunsche, es zu besitzen, und der Furcht, eine große Sünde zu begehen, oder auch vielleicht dem Bedenken, mich eines Gegenstandes zu berauben, der mir lieb war. Endlich besiegte ich seine Scrupel, und er übergab das Glas seinem Agha, der sich ohne Zweifel beeilte, ihm einen Platz zwischen den Waffen und dem Kriegsgeräth seines Herrn anzuweisen.

Wie wir am Abend noch hörten, hatten die zu diesem Zwecke ausgesandten Leute die Spuren des Löwen aufgefunden, welcher seit einiger Zeit die Heerden des Stammes decimirte, und kaum war am andern Morgen die Sonne aufgegangen, als wir, zur Jagd gerüstet und mit ausreichendem Mundvorrath versehen, der Oase von Sebaün-Aiun (der Oase der sechzig Brunnen) zuritten. Sie liegt an einem kleinen Gewässer, das sich in den Chelif ergießt, und wird von einem großen Walde begrenzt, der sich am Ufer dieses Flusses hinzieht. Wir hatten fünfzehn Lieues in nördlicher Richtung zurückzulegen, ehe wir unser Ziel erreichten.

Zwei Stunden nach unserem Aufbruche fühlten wir, daß uns der schreckliche Wind der Wüste, der Sirocco, bedrohte. Die Ebene hinter uns glich dem aufgeregten Meere und vor uns trieb der Wind mächtige Sandwolken empor. Trotz der Ungewohntheit ertrugen wir diese Beschwerden und eine Temperatur, welche geeignet schien, Eier in der Schale hart zu kochen, ziemlich gut. Aber die Karawane kam nur langsam vorwärts. Unsere Pferde schienen dem verderblichen Einflusse des glühenden Windes zu erliegen. Wir befanden uns im buchstäblichen Sinne des Wortes wie in einem gut geheizten Backofen.

Unter solchen Umständen war an diesem Tage nicht an die Jagd zu denken. Menschen, Pferde und Hunde waren wie gelähmt, und so beschlossen wir, bei dem Kaïd von Sebaün-Aiun ein Unterkommen zu suchen, und den Kampf mit dem Löwen auf morgen zu verschieben. Nachdem wir diesen Entschluß gefaßt hatten, ritten wir in tiefem Schweigen weiter, und selbst der unermüdliche Schwätzer Henri war stumm, wie eine Sphinx von Granit.

Der Kaïd empfing uns mit großer Gastfreundschaft. Hungrig wie wir waren, aßen wir, obgleich ohne allen Appetit, ein riesenhaftes von zwei Straußeneiern bereitetes Omelette und etwas Kuskussu und streckten uns dann, von Hitze und Anstrengung tief erschöpft, auf eine lange Matte.

Gegen Abend drehte sich der Wind. Er wehte jetzt von Nord-West, und brachte mit einigen Tropfen Thau eine etwas erträglichere Temperatur. Wir verließen unsere Zelte, um die Betäubung, die auf uns lag wie Blei, von uns abzuschütteln, und hörten plötzlich die Tön eines Tambourin und einer Pfeife, die uns ein Marionettentheater in der Nähe vermuthen ließen. Henri wollte sogar aus diesen Tönen auf die Gegenwart eines Savoyarden schließen, und um uns in dieser Frage Gewißheit zu verschaffen, verfügten wir uns so schnell wie möglich nach dem öffentlichen Platze, welcher etwa sechzig Fuß im Geviert messen mochte und mit einer hohen Hecke von Cactus und Aloe umgeben war. In der Mitte desselben bemerkten wir einen dichten Knäuel von Männern und Kindern, die im Kreise um einen Araber geschaart waren, der irgend eine Litanei psalmodirte, während ein Negerknabe auf einer Art von Flageolet mit zwei Löchern blies.

Der in der Mitte des Kreises stehende Araber hatte eine lange Ruthe in der Hand, mit welcher er fremdartige Figuren in den Sand zeichnete, während er mit großen, regelmäßigen Schritten im Kreise um einen blauen am Boden liegenden Sack herumsprang, und bei jedem Schritte drei- oder viermal um sich selbst drehte, wie ein Kreisel.

Das Auditorium lachte und schauderte abwechselnd und verfolgte mit ungetheilter Aufmerksamkeit alle Bewegungen, Gesten und Worte des Mannes. Wir fragten, was die Scene zu bedeuten habe, und einige Araber antworteten lachend und mit bedeutsamem Achselzucken: „Mabul, mabul!“ (Er ist wahnsinnig.) Indessen sprang und drehte sich der Mann immer fort, Schaum trat ihm auf die Lippen und die Scene nahte sich offenbar ihrer Entwickelung. Die Aufmerksamkeit war bis auf’s Aeußerste gespannt und der Zuschauerkreis war so still, daß man nichts als das dann und wann ausgestoßene rauhe Geschrei des Fanatikers hörte. Plötzlich näherte er sich dem Sacke, lösete den Knoten der Schnur, die ihn zusammenhielt, befahl dem Kinde mit der Pfeife Schweigen, murmelte in näselndem, klagendem Tone eine neue Litanei, und holte dann eine kleine Pfeife aus der Tasche, welcher er zwei scharfe, schreiende Töne entlockte.

Bei diesem Signal wälzte sich ein Knäuel von Schlangen und Nattern von allen Größen und Farben aus dem Sacke hervor, die sich auf ihren Herrn zuschnellten und ihn mit unzähligen Ringen umschlangen. Der Mann küßte die Thiere, drückte sie zärtlich an sich und liebkoste sie, indem er fortwährend in eigenthümlicher Weise mit den Füßen stampfte. Endlich, als er völlig athemlos und mit Schaum und Schweiß bedeckt war, gab er dem kleinen Neger ein Zeichen, dieser schlug wie toll auf das Tambourin und sogleich lösten die Schlangen ihre Ringe und kehrten, von der Ruthe getrieben, die das Kind dem Tausendkünstler aus der Hand nahm, in den Sack zurück. Sobald die letzte Schlange sich zurückgezogen hatte, drehte sich der Araber nochmals etwa fünf Minuten lang wie ein Kreisel um sich selbst und fiel dann mit offenen Augen, aber starr und leblos, inmitten des Zuschauerkreises nieder.

Alle kehrten nun zu ihren Zelten zurück; wir waren ziemlich die Letzten auf dem Platze, und Ali erklärte uns auf dem Nachhausewege, daß wir einen der Convulsionäre von der Secte der Aichaüa gesehen hatten.

Bei der Rückkehr zu unsern Zelten wartete unser ein anderes Schauspiel. Einige streitende Parteien hatten sich eingefunden, um von der Weisheit des Kalifat einen Rechtsspruch zu erbitten. Das Zelt des Kaïd diente zum Gerichtssaal. Einige arme Teufel, die zu den Füßen des Kalifat kauerten, vertheidigten ihre Sache mit Vehemenz – aber das Urtheil ließ nicht lange auf sich warten und lautete in allen Fällen auf Bastonnade oder eine Geldstrafe.

Zwei der Schuldigen waren zu einer Geldstrafe von vier Duros, ein Dritter zu fünfundzwanzig Stockhieben auf die Fußsohlen verurtheilt und der Chaouk war schon bereit, das letztere Urtheil zu executiren, als wir uns in’s Mittel legten und es durch unsere Fürsprache dahin brachten, daß die Stockschläge in eine Geldstrafe von dreißig Francs verwandelt wurden. Mit großem Bedauern mußten wir aber hören, daß der Betroffene uns nichts weniger als dankbar war. Er hätte lieber funfzig Stockprügel erduldet, als sechs Piaster bezahlt. Erst als wir ihm mit der fraglichen Summe ein Geschenk machten, drückte er seine Dankbarkeit aus und versprach mit großer Weihe, unser in seinem Gebete zu gedenken und uns dem Schutze eines der Mächtigsten im Paradiese, eines gewissen Abd-el-Kader, zu empfehlen.

Nach einer schlaflosen Nacht stiegen wir am andern Morgen zu Pferde und kamen bald bei dem Zufluchtsorte des Löwen, einem von Schluchten durchschnittenen, dichten Walde, an. Wir ritten in geschlossenen Reihen über eine sumpfige Lichtung, auf welcher die Hufe unserer Pferde oft fußtief einsanken. Zwei Neger von Biskara

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_591.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)