Seite:Die Gartenlaube (1858) 592.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

gingen voran und folgten der für ungeübtere Augen völlig unsichtbaren Spur des Löwen, bis diese sich am Fuße eines dunkeln Granitfelsens verlor, dessen Wände senkrecht vor uns aufstiegen. Es war nicht denkbar, daß der Löwe eine Höhe von mehr als sechzig Fuß hätte überspringen können – er mußte sich also links oder rechts gewendet oder in eine Höhle versteckt habenm die unseren Augen vielleicht durch das dichte Gebüsch verborgen war.

Wir erschöpften uns in Muthmaßungen, als einer der beiden Neger uns auf einen bedeckten Gang aufmerksam machte, der an der Seite des Felsens hinauflief. Nach besonderen Zeichen glaubte er schließen zu dürfen, daß das Thier seinen Weg hier hinauf genommen hätte, aber es war unmöglich, ihm auf diesem Pfade zu folgen, wir hätten denn auf Händen und Füßen hinaufkriechen müssen. Zwei oder drei Hunde, die wir in die Höhlung schickten, um ihre Länge zu erforschen, kamen nach einigen Minuten mit hängenden Ohren und eingekniffenem Schwanze zurück.

Der Felsen mochte etwa vierhundert Fuß lang sein, war von der einen Seite durch einen stinkenden Sumpf, von der andern durch ein undurchdringliches Dickicht begrenzt und mit hohem, stachligem Gebüsch und ungeheueren, gelbblühenden Aloes bewachsen. Die Höhe des Felsens schien eine Art von Plattform zu bilden, die sich nach nordwestlicher Richtung hin senkte. Wir beschlossen nach einiger Ueberlegung, uns nach dieser Seite des Felsens zu begeben und einen Versuch zu machen, ihn von hier aus zu besteigen. Aber es erwies sich als eben so unmöglich, den Sumpf zu durchreiten, als in das Dickicht der anderen Seite einzudringen, und wir fingen schon an, zu verzweifeln, sahen aber bald ein, daß wir die Hülfsmittel unserer Gefährten unterschätzt hatten.

Nachdem der Agha die Befehle seines Herrn empfangen hatte, rief er den Negern zu: „Djib-el-asia!“ und sogleich bewaffnete sich jeder von ihnen mit einem Bund brennender Reiser und begann, das Gebüsch in Brand zu stecken. Die dürren Zweige fingen sogleich Feuer, eine schwarze Rauchwolke erhob sich und fünf Minuten später stiegen die Flammen, vom Winde angefacht, in mächtigen Garben zum Himmel.

Dem Löwen blieb jetzt nur dreierlei übrig. Er konnte sich in den Flammen rösten lassen, sich in den Sumpf werfen oder den Weg nach der Ebene einschlagen, auf welchem wir eben gekommen waren. Das Letztere war das Wahrscheinlichste, denn die Ebene, welche im Süden vom Dschebel begrenzt wird, bot dem Löwen sicherlich bekannte Verstecke. Jeden anderen Weg versperrte das Feuer.

Nachdem der Brand etwa eine Viertelstunde gewährt und schon mehrere der einzeln stehenden großen Bäume krachend zu Boden gestürzt waren, hörten wir ein mächtiges Gebrüll. Der Feind stieß sein Kriegsgeschrei aus und ich gestehe, ohne zu fürchten, daß einer meiner damaligen Cameraden mich widerlegen wird, daß dieses ein schreckenerregendes ist. Mein Pferd warf den Kopf zurück, spitzte die Ohren und ich fühlte, daß sein ganzer Körper unter mir erzitterte. Da ich den Muth des wackeren Thieres bei anderen Gelegenheiten erprobt hatte, trug seine unverkennbare Angst und Aufregung nicht eben dazu bei, mich über die Bedenklichkeiten zu beruhigen, die in mir aufstiegen. Es war sicher, daß das, was uns erwartete, eher ein Kampf, als eine Jagd war, bei dem ein Sturz, ein falscher Tritt oder ein momentanes Zaudern des Pferdes unser Leben ernstlich in Gefahr bringen konnte, und ich gestehe gern, daß diese Art und Weise, meine Existenz zum Abschlusse zu bringen, durchaus nichts Verführerisches für mich hatte. Selbst Buffon’s Schilderungen des großmüthigen Charakters des Löwen, die mir einfielen, vermochten in diesem Augenblicke nicht, meine Reflexionen freundlicher zu gestalten.

Ein zweites, wuthzitterndes Gebrüll benachrichtigte uns, daß der Löwe nicht mehr sehr fern war. Wir begaben uns mit gespannten Karabinern nach dem einzigen Auswege, welchen das Feuer ihm ließ und zogen uns von da einige hundert Schritt nach der Ebene zurück, um das Thier aus größerer Entfernung herankommen zu sehen. Kaum hatten wir unsere Linie geordnet, als wir den Löwen auf dem nördlichen Abhange des Felsens erscheinen und langsam nach der Ebene herabklettern sahen. Zuweilen blieb er stehen, ließ ein langgedehntes Gebrüll erschallen, peitschte seine Flanken mit dem mächtigen Schweife und schien die Entfernung zu messen, die uns von ihm trennte.

Ich wage, zu bezweifeln, daß irgend Jemand von uns in diesem Augenblicke große Lust gehabt hätte, dem Thiere in der Nähe gegenüber zu stehen. Die Araber versicherten zwar, es würde fliehen, wenn wir uns näherten, aber seine ganze Haltung deutete eher auf einen Angriff, als auf die Absicht zum Rückzug. Die Pferde zeigten fast alle Furcht und Schrecken und die Hunde, selbst die großen Molossen nicht ausgenommen, verkrochen sich zwischen die Beine der Pferde.

Indessen ist der Löwe nicht der Feind, dem gegenüber es gerathen wäre, Zeit zu verlieren und Jeder machte sich bereit, sein Bestes zur Niederlage des Feindes beizutragen. Das Fußvolk war hinter die Reiter postirt und diese hatten den Burnuß zurückgeworfen, die Zügel auf den Hals des Pferdes gelegt und harrten unbeweglich und mit angelegtem Gewehr der Dinge, die da kommen sollten. – Nachdem das vom Feuer verfolgte Thier einige Mal am Rande des Felsens hin- und hergelaufen war, faßte es plötzlich einen entscheidenden Entschluß, sprang von einer Höhe von mindestens zwanzig Fuß herab, fiel brüllend, mit gesträubter Mähne und hochgeschwungenem Schweife etwa 150 Fuß von unsern Posten entfernt zur Erde und schlug in mächtigem Trott die Richtung nach den etwa funfzehn Lieues entfernten Bergen ein.

Als sich der Löwe unserer Linie auf etwa achtzig Schritt genähert hatte, wurde er von einer Flintensalve empfangen, die er mit entsetzlichem Gebrüll beantwortete; aber nichts verrieth, daß eine unserer Kugeln das Thier erreicht hätte; sein Gang war schnell und kräftig. Ein Trupp von etwa zwölf Arabern, an ihrer Spitze Omar-Ben-Jellul, der Sohn des Kalifat, suchte dem Thiere einen Vorsprung abzugewinnen, um ihm den Weg nach den Bergen abzuschneiden, während wir Uebrigen hinter ihm herjagten, so schnell unsere Pferde laufen wollten.

Nachdem der erste Schrecken überwunden war, thaten unsere Pferde ihre Schuldigkeit, aber der Löwe hatte einen Vorsprung von zwei- bis dreihundert Schritt und ein dann und wann von den Arabern abgefeuerter Schuß hatte kein anderes Resultat, als ihn zu nur noch größerer Eile anzutreiben. So folgten wir dem Thiere bereits länger als eine Stunde, ohne daß sich die Entfernung zwischen ihm und uns verkürzte, und schon näherten wir uns den Bergen, die dem Löwen Schutz gewähren und ihn unserer Verfolgung entziehen mußten, als plötzlich Omar mit seiner Truppe erschien und ihm den Weg versperrte.

Einen Moment stand das Thier beim Anblick des neuen Feindes unschlüssig, dann, als schäme es sich dieses augenblicklichen Zauderns, nahm es seinen Weg gerade auf die Reiter zu. Mir trat der Angstschweiß auf die Stirn, ich sah den Kalifat an, dieser aber lud lächelnd seine Flinte und spornte sein Pferd, um dem Kampfplatze näher zu kommen.

Der Löwe war noch etwa funfzig Schritt von der Gruppe der Reiter entfernt. Wir sahen, daß die Araber ihre Flinten anlegten. Der unternehmende Jüngling, der sie anführte, erhob sich in dem Steigbügel, zielte so ruhig auf den Löwen, als wäre es ein Rebhuhn, und drückte ab. Das Thier fiel, erhob sich aber sogleich wieder. Der junge Cheriff warf sein Pferd zur Seite, um dem Sprunge auszuweichen, womit der Löwe ihn bedrohte, und die ihn begleitenden Araber machten durch gut gezielte Schüsse dem Kampfe und dem Leben des Thieres ein Ende. Es war von zehn Kugeln getroffen, und als wir den Kampfplatz erreichten, wand es seine ungeheueren Glieder in den letzten Zuckungen.

Unsere Jagdbeute wurde auf das Pferd eines unserer Piqueurs gelegt und langsam nach dem Dorfe transportirt, während wir, nicht wenig stolz auf unsern Triumph, im Galopp zurückkehrten.




Nach einigen Tagen der Ruhe traten wir unsere Rückreise nach Algier an. Das Fell des Löwen, welchen wir zusammen jagten, hat der Kalifat mit rothem Tuche füttern und mit Goldstickereien verzieren lassen – es liegt als Fußteppich unter meinem Schreibtische. Der Sohn Ben-Jellul’s aber wird diesen Winter nach Europa kommen und ich und meine damaligen Gefährten hoffen, uns hier für die Gastfreundschaft erkenntlich beweisen zu können, mit der uns sein Vater am Dschebel-Ammur aufgenommen hat.

A. S.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_592.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)