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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Unterdessen ist aber auch unser Damwild herangekommen, und zwar nun so nahe, daß man es zehn bis fünfzehn Schritte vor sich hat. Die harmlosen Thiere halten sich an die Kartoffeln, die sie mitten unter dem Schwarzwild als ungeladene Gäste sich aufsuchen; jedoch immer von Zeit zu Zeit die Köpfe emporhebend und sich sichernd. Da gibt es weiße mit ihren rosigen Nasen und graubläulichen Lichtern, deren längliche Pupillen, wie bei den Ziegen, horizontal stehen, was dem Damwild eigen, dem weißen und bunten sowohl, als dem schwarzen. Wir haben deren von allen Sorten vor uns. Bei allen sieht man auf den ersten Blick, um wie viel feister sie gegen das Hochwild sind, welches sich mit elastischem Schritt auch mehr und mehr genähert hat. Der Grund dieses feisteren Aussehens des Damwildes liegt darin, daß es auch die Naschhaftigkeit der Ziegen besitzt und immer das Beste wählt. Dazu kommt, daß sie in den Thiergärten, wo gefüttert wird und werden muß, sich am besten dazuhalten; ja zur Zeit, wenn Heu und Hafer gefüttert wird, gar nicht von den Raufen und Krippen weichen, sondern gleich dabei liegen bleiben und den ganzen Tag daran herumknuspern. Dabei leidet das Edelwild zwiefache Beeinträchtigung, indem es bald nur das Uebriggebliebene, bald wohl auch gar nichts bekommt, weil es aus Abneigung gegen das Damwild die von diesem hartnäckig besetzten Raufen lieber ganz meidet. Trotzdem sehen die Mitglieder der Damwildsippe bei weitem weniger imponirend aus, als das Hochwild, da sie nicht nur viel kleiner und gedrungener, als dieses, sind, sondern auch ihr ganzer Habitus ein mehr ziegenartiger ist. Das bekanntlich schaufelartige Geweih ist wohl ganz respectabel, mit dem Edelhirschgeweih kann es sich jedoch in Beziehung auf Schönheit und würdevollen Schwung durchaus nicht messen. Außerdem fehlt dem Damhirsch die Mähne oder Krause am Halse, die dem Edelhirsch namentlich zur Brunftzeit so vortrefflich steht, gänzlich, so wie er auch, was freilich äußerlich nichts zum Unterschiede beiträgt, keine Haken[1] hat.

Ein charakteristisches Merkmal des Damwildes ist die Blume, und es sieht gar sonderbar aus, wenn ein Trupp beisammensteht, um mit diesem Werkzeuge die Fliegen und Mücken zu vertreiben, indem sie ununterbrochen damit hin- und herwedeln, als wären eben so viele Perpendikel in Bewegung gesetzt. Ihren originellen Galopp, der nur ihnen eigen ist, haben wir gleich Anfangs zu beobachten Gelegenheit gehabt. Der Schrei des Damhirsches zur Brunftzeit, die im November eintritt, ist ebenfalls nicht mächtig, wie beim Edelhirsch, sondern mucksend und kurz abgestoßen. Sonst ist die Lebensweise dieser Thiere ziemlich gleich der des Edelwildes, und wie bei diesem gehen die Schaufler bis zur Brunftzeit meist beisammen, nur die schwachen Hirsche bleiben mit den Thieren, Schmalthieren und Kälbchen das ganze Jahr über, die Brunftzeit abgerechnet, vereint. Um auf die Farbe zurückzukommen, so gibt es, wie schon erwähnt, weiße, bunte, nämlich rothbraune mit regelmäßig vertheilten weißen Flecken, und schwarze, die am seltensten vorkommen; namentlich sind sie in Moritzburg schwach vertreten. Die Schwärze erstreckt sich über den ganzen Körper, und nur Kopf und Läufte gehen in das Aschfarbene über.

Ehe wir uns vom Fütterungsplatze trennen, fesseln unsre Augen unter dem unterdeß ebenfalls herangekommenen Hochwild ein paar Stücken Bläßwild, worunter ein Hirsch, gleichsam die „letzten der Mohikaner“; denn von dem ganzen derartigen Stamme, den es hier gab, sind sie allein übrig geblieben. Das weiße Edelwild ist, wie schon erwähnt, bereits ausgestorben. Beide Arten sind Varietäten und in Bau und Lebensart vollkommen dem Rothwild gleich, nur etwas zärtlicher. Jedenfalls ist das Bläßwild eine Kreuzung des weißen und des rothen. Gewöhnlich hat es auf der Stirn eine weiße Blässe oder auch wohl einen ganz weißen Kopf, und dabei sind meist die untern Theile der Läufte weiß; sonst hat es die Farbe des Rothwildes, aber bläuliche Lichter, mit denen es wie das weiße Wild, welches ebenfalls derartige besitzt, sehr schlecht sieht.

Wir brechen jetzt auf, und bei der ersten Bewegung, die wir zum Aufstehen machen, fährt Alles auseinander, Sauen, Damwild und Hochwild, das letztere am weitesten. Kaum aber hat man die Lücke durchschritten, so schaaren sich die Gescheuchten wieder zusammen und äßen ruhig weiter; nur wiederum das Hochwild kommt nicht gleich zurück.

Der Abend fängt bereits mit seinem vergoldenden Lichte an herabzusinken, und wir beeilen uns, noch den entgegengesetzten Theil des Thiergartens, „die Oberecke“, auf unserm Heimwege zu durchstreifen. Ehe wir dorthin gelangen, kommen wir nochmals bei dem Schlosse vorbei, so wie wir zur andern Hand noch einmal das Fasanenschlößchen liegen sehen; beide strahlen im purpurnen Abendschein, und die Moritzburg spiegelt sich in der ruhigen, klaren Blänke des Schloßweihers. Hier begegnen unserm Blicke noch ganz in der Nähe zwei starke Damhirsche, die am Wasser stehen und die charakteristische Staffage zu diesem Abendbilde am Schlosse bilden. Im Weiterschreiten sehen wir noch manches verspätete Wild der Fütterung zuwandeln, während wir unsern Weg nach den sogenannten „Dardanellen“ einschlagen. Diesen gewichtigen Namen führt eine ruinenartig im Festungsstyl aufgeführte, mit Schießscharten versehene Mauer, die den Großteich vom Thiergarten scheidet. Jedenfalls dachte man sich den Großteich als Bosporus und das früher darauf schwimmende Seeschiff als türkische oder russische Flotte. Bereits auf der „Oberecke“ angekommen, lassen wir eine kleine Fütterung für die Sauen dieses oberen Theiles links liegen, und durchschneiden ihn seiner Länge nach. Auch hier breiten sich stille Teiche aus, die namentlich jetzt, wo sich der sanft leuchtende Abendhimmel mit den in tiefem Ton gefärbten Waldessäumen auf der durch keinen Hauch gekräuselten Fläche wiederspiegelt, einen melancholischen Eindruck machen. Schon neigt sich das Zwielicht zur wirklichen Dunkelheit, da wir den südlichsten Theil des Thiergartens erreichen, in dessen äußerster Ecke eine kolossale Eiche steht. Den Wald mächtig überragend, überschaut sie wie ein Riesenwächter mit malerisch zerwettertem Gipfel das Ganze. Ist dieser Nestor unter den Bäumen doch ziemlich siebenzehn Ellen im Umfange des Stammes stark! Ein Blick nach dem in geringer Entfernung liegenden „Georgenteiche“ läßt uns noch ein paar Edelhirsche erblicken, die eben auf die Blöße herausgezogen sind. Stolzen Schrittes ziehen sie dahin, und bieten dem Beschauer ein reizendes Bild. Die friedliche Stimmung der Natur wird selbst durch die herbstliche Frische, welche der Abend mit sich gebracht hat, so wie durch die gespenstig hinschleichenden Nebel noch erhöht. Es ist dieser Anblick gleichsam der Scheidegruß eines an einem schönen poesievollen Ort verlebten glücklichen Tages.

Bald nehmen uns die außer dem Thiergarten liegenden Felder, von welchen die Kartoffelkräuter ihren herbstlichen, eigenthümlich scharfen Geruch ausströmen lassen, und dann die Dörfer auf, durch die uns unser Weg führt. Indem wir zögernd rückwärts blicken, bietet sich uns eine neue Aussicht dar: noch einmal winkt uns ein stiller, außer dem Thiergarten liegender, waldumsäumter Teich zu, der die letzten goldigen Säume der im Westen aufsteigenden Wolkenmassen in sich spiegelt. Vor uns tönt das melodische Abendläuten im nahen stillen Haidedorfe, das wir durchwandeln, bis uns hinter diesem abermals Wald, die bis unmittelbar an die Residenz heranreichende „Dresdner Haide“ aufnimmt. An ihrem Saume liegt meine Wohnung, und hier rufe ich meinen Begleitern, die mir willig und nachsichtsvoll gefolgt, ein „Waidmanns Heil“ zu.




Eine seltene Frauenfreundschaft.
Von Ludwig Storch.
(Schluß.)


Auf der Rückreise machte die Herzogin von Meiningen einen Besuch am gothaischen Hofe und Franziska ergoß die begeisterten Schilderungen vom Kronprinzen bei der Erbprinzessin und legte damit in Louise Dorothee’s Seele den Grund zu der hohen und innigen Verehrung Friedrichs, welche sie ihm ihr Leben lang treu bewahrt hat.

Drei Jahre später (1734) kam der König von Preußen mit dem Kronprinzen zu seiner Tante nach Coburg, auf einer Reise begriffen, um das Hülfscorps zu besichtigen, das er zur kaiserlichen Armee am Rhein marschiren ließ. Nie konnte es Franziska vergessen und in ihrem späteren Leben liebte sie es, oft zu erzählen, daß der König den Kronprinzen seiner Tante mit den Worten vorgestellt habe: „Da bring’ ich Ew. Liebden meinen großen Jungen.“

– „Ja wohl war’s ein großer Junge!“ pflegte die Erzählerin

  1. Haken: zwei rundliche Eckzähne, die beim Hochwild im Oberkiefer stehen und beim Jäger als Trophäen einen großen Werth haben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_604.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)