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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

mißlang. So großartig tolerant war diese fürstliche Frau. – Nach Cyprian’s Tode erhielt freilich ein persönlicher Freund J. J. Rousseau’s und Voltaire’s, Klüpfel, dessen Stelle, ein ausgezeichneter Gelehrter, aber rationaler Theolog, ja, wenn man mündlichen Ueberlieferungen unbedingt trauen darf, ein Stück Freigeist und eine Art französischer Abbé. Ein merkwürdiger Contrast zwischen Cyprian und ihm! Die Extreme berühren sich. Gotha’s Bildung hat Klüpfeln viel zu verdanken.

Erst 57 Jahre alt, starb die Herzogin, fest in ihren Grundsätzen. Ihre Freundin überlebte sie 22 Jahre, und genoß bis an ihren späten Tod die höchste und ausgezeichnetste Achtung am gothaischen, wie an den übrigen thüringischen Höfen, in Stadt und Land. Zuletzt wurde Frau von Buchwald von Jedermann „la Maman“ genannt, selbst von den hohen Gästen des herzoglichen Hauses. Sie war die Liebe und Wohlthätigkeit selbst; wie ein höheres Wesen waltete sie auf Schloß Friedenstein, wo sich ihr Name an der Gallerie, die sie bewohnte, verewigt hat. („Die Buchwald’sche Gallerie.“) An Kunst und Poesie blieb ihr ein lebendiges Interesse bis fast zu ihrem Ende, und mit ganzer Seele freute sie sich der großartigen Entwickelung des deutschen Genius. Wieland, Herder Wieland und Goethe waren mit ihr in Verbindung. Oberon, Egmont u. A. wurden „am grünen Kanapee“ (in ihrem Boudoir) im Manuscript vorgelesen. Der berühmte Thalberg schrieb eine besondere Brochüre über sie.

Ueber ihre greisen Züge vermochte zuletzt der Widerschein des ersten Gluthstrahls der Neuzeit nicht mehr zu zucken. Paris war ihre Geburtsstadt, aber Frau von Buchwald war in der letzten Zeit ihres Lebens abgestorben für die Außenwelt. Sie starb eben so unbekehrt, wie ihre Freundin, am 19. December 1789. Der Dichter Gotter dichtete folgendes Distichon auf sie:

Lange die Zierde der Menschheit, entschlief sie müde des Lebens,
Aber noch immer dem Wunsch zärtlicher Freundschaft zu früh.




Blätter und Blüthen.

Das Urbild von Byron’s „Corsar“. Es hat zu jeder Zeit Individuen gegeben, deren wirklicher Lebenslauf tausend Mal romanhafter war, als die feurigste Phantasie eines Dichters ihn erfinden kann. Eins dieser merkwürdigen Individuen ist der Mann, welchen Lord Byron zum Urbild seines berühmten Gedichts: „Der Corsar“ genommen, dieses Epos voll Blut, Mord und Tod, voll von den düstersten Schilderungen, die den Leser oft bis in’s Innerste erbeben lassen. Die Naturtreue einiger Schilderungen in diesem dunkeln Gemälde und einige Stellen darin haben zu der Vermuthung Anlaß gegeben, daß Lord Byron, dessen Excentricität eine solche Annahme nicht unwahrscheinlich macht, eine Periode seines eigenen Lebens darin geschildert, allein diese Vermuthung ist eine irrige. Vielmehr war es der Lebenslauf eines seiner intimsten Freunde, des Engländern Trelawney, den er in dem Corsar mit so düsterflammenden Farben gemalt. Es war in Italien, wo er die Bekanntschaft dieses kühnen, verwegenen Abenteurers, der meist als gefürchteter Seeräuber die malayischen Gewässer unsicher gemacht, anknüpfte. Von da ging er mit ihm nach Griechenland, wo sich Beide an dem Unabhängigkeitskampfe gegen die Türken betheiligten. Byron fand dort seinen Tod, nicht durch einen Türkensäbel oder eine Albanesenkugel, sondern von einem hitzigen Fieber hingerafft, welches er sich bei einem scharfen Nachtritt zugezogen. Trelawney überlebte ihn, lernte die Tochter seines Gastfreundes, des Griechenfürsten Odysseus, kennen, heirathete sie und ging mit ihr nach England, wo er in Form eines Romans – für welchen man das Werk lange hielt – seine Erlebnisse unter dem Titel: „Abenteuer eines jüngeren Familiensohnes“ herausgab. Das Buch ist in seiner Art eins der interessantesten, spannendsten und enthält Schilderungen, denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß sie mit der Farbe des Lebens gemalt sind und nicht mit der bleichen Tinte der Reflexion. Selbst Byron’s Schilderungen in dem Corsar bleiben häufig hinter diesen Darstellungen Trelawney’s zurück, aus denen wir nur eine Episode wählen wollen, wie dieser Seeräuber, an dessen Dolchspitze das Leben von hundert Menschen hing, auch das Geheimniß der Feder, die spannende Erzählung, kennt.

Eines Tagen ging Trelawney mit seiner Geliebten, einer jungen Araberin, Namens Zela, die mit rührender Zärtlichkeit an dem Seeräuber hing, an dem felsigen Ufer der Insel Borneo spazieren. Plötzlich hören sie das Rauschen eines Vogels in der Luft und Zela ruft, als sie ihn erblickt, ängstlich aus:

„Gib Acht – ein Tiger ist in der Nähe. Das ist der Faon.“

Faon ist der Name des Vogels, von dem man auf Borneo sagt, daß er der Begleiter des Tigers sei und diesem voranfliege.

„Mein Karabiner,“ erzählt Trelawney, „war geladen. Ich lud noch eine neue Kugel hinein, legte mein Gewehr gegen den Felsen und beschloß, festen Fußes den Angriff der Bestie zu erwarten. Hätte ich ihn nicht mit dem ersten Schusse getödtet, so war ich verloren, denn zu einem zweiten und um der Schaluppe, die nicht weit vom Ufer lag, zuzuschwimmen, würde ich keine Zeit gehabt haben. Das Rascheln in den Büschen wurde immer stärker. Auf einmal sah ich zu meinem größten Erstaunen nicht den Tiger aus dem Gestrüpp kommen, sondern einen alten, mit grauem Haar bedeckten – Menschen. Ich wollte ihm entgegentreten. Zela hielt mich zurück, gab mir ein Zeichen, zu schweigen und mich nicht zu bewegen. Der Greis – wie ich das wunderbare Geschöpf nach dem ersten Eindrucke, den seine Erscheinung auf mich machte, nennen muß – untersuchte den Ort mit vieler Aufmerksamkeit, bückte sich, um zu sehen, ob Niemand sich in der Nähe verborgen, und richtete sich wieder empor. Als er stand, bemerkte ich die sonderbarste aller Gestalten. Seine außerordentliche Magerkeit, das lange Haar, welches ihn am ganzen Körper bedeckte, sein hoher Wuchs und die ungewöhnliche Länge seiner Hände und Füße erregte mein Erstaunen. Sein Gesicht war schwarz und von tiefen Runzeln durchfurcht, aus denen weißes Barthaar buschweise hervorstand. Er machte sehr große Schritte, hielt sich gekrümmt und stützte sich auf einen keulenförmigen, dicken Baumast. Je mehr ich ihn beobachtete, um so mehr verwunderte ich mich über ihn. Seines anscheinend hohen Alters und seiner Hinfälligkeit ungeachtet glühte ein wildes Feuer, eine wahrhaft teuflische Bosheit in seinen hohlen Augen. Dieses Geschöpf näherte sich hierauf dem Meere, setzte sich auf eine Felsenspitze, ergriff einen scharfen Stein, bediente sich desselben, um vom Felsen einige Schleimthiere abzulösen, verschlang sie, ohne sie zu kauen und wickelte dann mehrere Austern, Ueberbleibsel seiner Mahlzeit, in ein breites Blatt. Dann erhob er sich, tauchte seine langen Finger in’s Wasser und schritt dann rascher fort, als er gekommen. Ich wollte ihm folgen und sprang auf.

„Hüte Dich vor ihm,“ sagte Zela warnend, „dieser Greis ist ein Jungle Admie! Kein wildes Thier ist gefährlicher und grausamer, als er.“

„Er ist allein,“ antwortete ich, „ich fürchte ihn nicht. Mein Karabiner ist geladen, ich will es schon mit ihm aufnehmen.“ Ich folgte in der That, doch auf einem anderen Pfade, als der, auf welchem er ging. Der meinige war dergestalt mit Gebüsch bedeckt, daß ich unmöglich von ihm gesehen werden konnte. Ich hörte des alten Wilden Schritte. Von Zeit zu Zeit bemerkte ich ihn und sah, wie er mit seiner Keule die Zweige zerbrach, welche seinen Weg versperrten. Zela, die ich nicht hatte vermögen können, zurückzubleiben, folgte mir auf der Ferse. So schritten wir einige Zeit schweigend durch das Gehölz. Dem seltsamen Wesen, das unsere Nähe nicht vermuthete, folgend, wendeten wir uns rechts, durchwanderten eine große Ebene, gingen durch das ausgetrocknete Bett eines Baches und standen nun vor einem steil abgerissenen Felsen, einer Art senkrechten Mauer von sechzehn bis siebzehn Fuß Höhe. Eine mit Moos bedeckte Tanne wuchs am Fuße des Felsens und ragte mit ihrem spitzen Wipfel darüber hinaus. Der Greis, wie ich ihn nennen will, klammerte sich um den Baumstamm, kletterte hinan, hielt sich sodann an einen Seitenzweig, auf die Weise der Matrosen, und erreichte so den Felsen, auf dem er sich niederließ. Wir ahmten ihn in allen seinen Bewegungen nach, doch mit Vorsicht, um von ihm nicht bemerkt zu werden. Er überschritt einen nackten Felsgrat, wo nur einige Tannen wuchsen. Er machte viele Umwege, pflückte einige Früchte von Bananen- und Mangobäumen, warf die unreifen bei Seite und wendete sich endlich gegen ein kleines offenes Feld. Der Boden war eben, sandig, wie rein gefegt. Ein prächtiger Baum, mit Blüthen und weißen Knospen bedeckt, beschützte mit seinem Schatten eine wohlerbaute indische Rohrhütte.

„Ich bewunderte den seltsamen Einsiedlers guten Geschmack, der sich durch den malerischen Ort bekundete, wo er seine Wohnung gewählt. – Auf der einen Seite eine Felsenbrustwehr mit Sauerdattel- und wilden Haselnußbäumen bedeckt, vor diesem Felsen die schlanken Stämme von drei Betelbäumen, hinter der Einsiedelei ein Wald von Bambusrohr und Dorngestrüpp, über welches hier und da der Tamarindenbaum, der Cactus, die Acacie, der Banyanenbaum und der Bambus mit seinem schwarzen Laube hoch empor ragten. Des alten Wilden Bewegungen waren merkwürdig durch eine auffallende Gelenkigkeit, die jedoch mehr von thierischem Instinct, als von menschlicher Verstandeskraft bestimmt schien. Er legte vor seiner Hütte die Früchte nieder, die er mitgebracht, und kroch dann durch die niedrige Oeffnung in’s Innere.

„Als er im Innern war, trat ich näher und bemühte mich, zu beobachten, was er weiter thue. Auf einmal vernahm ich hinter mir ein starkes Rascheln im Gebüsch. Ich wendete mich um und sah eine Klapperschlange, deren Augen, funkelnd wie Diamanten, auf meine in einiger Entfernung von mir stehende Begleiterin geheftet waren. Nur an die Gefahr denkend, der sie ausgesetzt war, stürzte ich mich darauf zu. Die Schlange zog sich in’s Dickicht zurück und verschwand. Ich hielt Zela noch in meinen Armen, als diese erschrocken und bleich ausrief:

„O, der Jungle Admie!“

„Ich wendete den Kopf. Der seltsame Greis näherte sich uns mit sichern Schritten. Er bewegte seine Baumastkeule über sich, wie der Tambourmajor an der Spitze des Regiments seinen Stock. Seine Gestalt schien viel höher, als vorher. Alle seine Muskeln waren wie krampfhaft gespannt. Seine Augen sprühten verzehrende Flammen. Die weißen, dicht aneinander gedrückten Zähne fletschten zwischen den schwarzen Lippen hervor, seine Augenbrauen schienen ineinander gewachsen. Ich hielt meinen Karabiner mit der linken Hand zum Schuß bereit. Doch bevor ich ihn an meine Schulter legen konnte, war er durch einen ungeheueren Sprung schon an mich gelangt und versetzte mir einen Streich mit seiner Keule. Ich warf mich einen Schritt zurück und gab Feuer. Die ganze Ladung traf ihn und ging ihm durch die linke Seite. Er fuhr über drei Fuß in die Höhe und fiel auf mich. Seine Schwere schlug mich nieder. Ich lag unter ihm, beständig mit dem zum Tode Verwundeten ringend. Er hatte noch ungeheuere Kraft und mein Tod – durch Erstickung – schien unvermeidlich. In diesem Augenblicke schrie ich Zela zu: „Rette Dich!“ „Er ist todt,“ rief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_607.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)