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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Der Löwe von Aspern.

Wenn das Herz an Gott und dem Unsichtbaren verzagen will – flüchtet es um Trost und Erhebung an eine eigens erbaute Stätte, die Kirche. Wenn aber das Hert an dem Sichtbaren, an den Menschen, ja selbst an seinem Volke verzagen will – wohin wendet es sich dann?

Ich habe mir in solchem Falle Stätten ersehen, heilige, große und erhabene! Und wenn ich so klug oder so närrisch bin, ein unnennbares, ein unaussprechliches Etwas über Zeitenlauf in meinem Innern zu fühlen, das einem Schmerzensaufschrei und einem Hohngelächter gleichzeitig ähnlich zu werden sucht, so reiße ich mich los von meiner alltäglichen Umgebung, und pilgere einer solchen Stätte zu, wie ich sie meine und mir erkoren habe.

Lachen Sie oder weinen Sie über mein Denken; ich befand mich kürzlich in einer ähnlichen Stimmung – ich hatte von Cherbourg, Negersclaverei, Deutsch-Dänisch, Napoleonsstatuen etc. etc. gelesen, ich mußte mir wieder einmal eine Stätte meiner alten heiligen Art aufsuchen!

Draußen vor der Taborlinie Wiens, der ungarischen Grenze und der Donau entgegen, streckt sich eine Gegend, die so reizend und romantisch ist, als hätte sie eine deutsche Gelehrten-Akademie verfaßt. Sie können wohl denken, daß sie der Hasenhaide Berlins sehr gleicht, nur mit dem Unterschiede, daß sie von Alleen durchzogen ist. Alles frische Grün darauf würden die Herren Verfasser, wenn sie noch zu revidiren hätten, sicherlich für Druckfehler erklären.

Der Löwe von Aspern.


In diese romantische Gegend will ich einen Ausflug machen. Sage mir Keiner, ich ersticke vor der Hitze und Staub, ich vergähne vor endlosen Pappelalleen; mein Weg geht dahin, ich will gerade jetzt nach Aspern, nach der heiligen Stätte von Aspern!

Gesagt, gethan! Bald stand ich vor Wien. Bald überschritt ich die vierundzwanzig Joch breite Donaubrücke und noch mehrere andere, zog durch Florisdorf und darüber hinaus, dann rechts in’s Marchfeld, dessen Ebenen unabsehbar, der heiligen Wahlstatt entgegen, wo der unbezwingbare Corse zum ersten Male bezwungen wurde.

Zwischen Florisdorf und Kagran, mitten in den Feldern, steht eine Erdschanze; ehrfurchtsvolle Scheu und erhebende Achtung hat die Ackereigenthümer verhindert, dieses funfzigjährige Gedenkzeichen mit Hacke und Pflug zu vernichten. Sie steht mit ihren Gräben, Brustwehren, Kanonenfuhrten und Schußlöchern noch wie damals – Blut hat sie gekittet. Ich konnte mich nicht enthalten, sie zu betreten, und hinaussehend in die Ebene, überzeugte ich mich, daß ich mich ferner ruhig meinem Nachdenken hingeben könne, ohne auf dem Wege die geringste Unterbrechung durch irgend welche Abwechslung mehr zu erleiden zu haben.

Rüstig schritt ich darauf los: Florisdorf, Kagran, Hirschstätten, Aspern! Glauben Sie, mein Herz bebte, ich war zum ersten Male auf diesen geweihten Wegen, auf diesem Boden der Heldenschlacht, auf dem jeder Grashalm von einem zerfetzten Herzen lispelt und keimt. So viel Kornblümlein hier stehen, so viel Augen brachen vielleicht auf demselben Flecke, und alle rothen Steinnelkchen und wilde Mohnblüthen langen nicht aus, um die Wunden und rothen Blutstropfen zu bezeichnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_613.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)