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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

schwöre ich Dir: das nächste Mal, daß Du wieder trunken nach Hause kommst, stürze ich mich mit meinem, mit unserem Kinde in den Canal.“

Bei dieser Drohung erbebte ich unwillkürlich, denn ich fühlte die Energie heraus, die in dem Tone der jungen Frau lag, und wußte auch, daß Bernard, so gutmüthig er auch war, doch auch seine Schwäche hatte. Indessen mußte die Drohung auch auf ihn Eindruck gemacht haben, denn er versprach seiner Frau, sich zu ändern, und in den nächsten zwei Tagen ging auch Alles gut. Bernard schien wieder in dem kleinen, freundlichen Hause am Boulevard Bourdon eingezogen zu sein.

Aber der Teufel läßt seine Beute nicht so leicht fahren! Am dritten Abende begegneten Bernard bei seiner Rückkehr vom Bureau einige Clubmitglieder und am Abend desselben Tages kam der leichtsinnige Gatte mit einem stürmischen Rausche nach Hause. Es war nach zehn Uhr, und ich lag noch im offenen Fenster und blickte hinaus in die sternenhelle Octobernacht und in die große Stadt, die vor mir ausgebreitet lag. Die junge Frau sprach kein Wort beim Eintritte ihres Mannes, stillschweigend setzte sie den Leuchter, den sie in der Hand hielt, auf den Tisch, ging noch ehe der bestürzte Ehemann ein Wort stammeln konnte, nach der Wiege und eilte, schnell, wie ein Vogel, mit ihrem Kinde zur Treppe hinunter, aus dem Hause und auf den Canal zu. Der Unglückliche stieß einen wilden Schrei aus und stürzte seiner Gattin nach. Doch diese hatte einen zu großen Vorsprung und er kam eben am Canal an, als er den plätschernden Fall des Kleinen in’s Wasser hörte. während Amelie, wie von Entsetzen über ihre That ergriffen, nach dem Hause zurückfloh. Es war im October und die Nacht schon empfindlich kalt, doch Bernard stürzte, ohne sich nur einen Augenblick zu bedenken, dem Kinde nach, ergriff das arme Kleine, dessen weite Nachtkleidchen sein schnelles Untersinken verhindert, und schwamm mit ihm an’s Land, wo er, bebend vor Frost und zitternd vor Freude, einen heißen Kuß auf des geliebten Kindes Mund drücken wollte – und entsetzt zurückfuhr, als er statt den rosigen Kindeslippen der borstigen Schnauze seines Hauskaters begegnete, der, in des kleinen Gustavs Kleider gewickelt, dem bestürzten Vater seinen Dank für die Rettung aus dem kalten Bade entgegenmiaute.

Ueber die weitere Entwickelung dieser zur Komödie so plötzlich verwandelten Tragödie schweige ich, da sie sich der Leser selbst denken kann; doch will ich nur so viel noch hinzufügen. daß Herr Bernard fortan wieder der solideste Ehemann wurde und Amelie die glücklichste Gattin, die sich nie wieder über ihres Mannes abendliches Ausbleiben zu beklagen brauchte. Er war curirt.

W.




Diesterweg, der würdige unermüdliche Kämpfer für Volksbildung und Aufklärung, erhebt in seinem „Pädagogischen Jahrbuch“ für 1859 von Neuem seine Stimme gegen jene Partei, welche die Umkehr der Wissenschaft predigt und das Licht der Sonne gern verdunkeln möchte. Unter den vielen lesens- und beherzigenswerthen Aufsätzen heben wir besonders seine Worte zur Säcularfeier von Schiller’s Geburtstag hervor. Dieselben lauten im Auszuge ungefähr:

„Ob Schiller für Lehrer noch etwas Besonderes ist und werden könne, ist das noch eine Frage? Es wäre nicht nöthig, aber es ist so. Theile der Lehrer, der angehende, wie der gereifte, die Begeisterung der ganzen Nation für diesen herrlichen Mann, der, ohne arm zu werden, die Armuth von Millionen in Reichthum verwandeln kann; aber lerne er auch als Lehrer speciell von Ihm! Nicht blos, wie Alle, die Begeisterung für Alles, was groß und menschenwürditg heißt, sondern auch speciell: seine Tapferkeit im Kampfe mit den widrigsten Verhältnissen, die ihm in keiner Periode seines Lebens fehlten, unter welchen seine ökonomische Beschränktheit und seine kränkliche Leibesbeschaffenheit nicht die kleinsten waren (sein Leben war selbst eine Tragödie), seine Anstrengung zur Reife der Ausbildung und Vollendung („Perfectibilität“) bis zum letzten seiner Tage – seine Leidenschaft des Schaffenstriebes, denn keine Begeisterung ist ohne Leidenschaft – seine Grundsätze und Principien für wahre, menschliche Bildung und Cultur! Von ihm, in dem sich nicht blos die veredelte deutsche Natur, sondern die edle Menschheit selbst offenbart, muß man lernen können, wie man Menschen erziehen und bilden kann und soll. Frage man sich – schmerzlich und wider Willen berührt von den Mißklängen unserer Tage – ob Er darauf ausging, seine Zeitgenossen und Nachfahren in die Enge von kirchensatzungen einzumauern – ob von ihm der Rath herrührt, die Jugend durch Gedächtnißwerk zu belasten und niederzudrücken – ob er das Nachsprechen und Nachglauben empfahl – ob er das Uniformiren der Geister für pädagogische Aufgabe erachtete! Wie Er gelebt, so hat er gedacht und gewollt: zuoberst die Selbstständigkeit des Geistes, die Freiheit im Empfinden, Denken und Wollen, die Selbstbestimmung nach den Grundsätzen der gewonnenen und eroberten Erkenntniß und sittlichen Bestimmung – das Streben nach der Einheit mit dem ganzen menschlichen Geschlecht, nicht mit einer Partei nach der Mahnung der gepriesenen „Bekenntnißtreuen“, sondern nach der Forderung der „Wahrheitstreuen“ und der Treuen gegen redliche Ueberzeugung „aus Religion“ – den Grundsätzen huldigend, daß das Denken wichtiger sei, als das Gedachte, daß das Verarbeiten der Stoffe die Hauptsache sei bei allem Lernen und Bilden, daß es überall auf die Erweckung der Selbstthätigkeit ankomme, daß das passive Verhalten zu überwinden, die gottgegebene, individuelle Natur des Zöglings zu respectiren und auszubilden, der Einzelne in eigenthümlicher Weise dem Ganzen anzuschließen sei. Ueberlege man von Tausenden seiner Andeutungen und Aussprüche nur die folgenden, vergleiche man sie mit dem, was heut’ zu Tage als Resultat pädagogischer Weisheit den Lehrern aufzudringen versucht wird:

„Immer strebe zum Ganzen, lebe im Ganzen, schließ’ an das Ganze Dich an!

„Gib dem Zögling die Richtung zu freier Entwickelung, handle stets nach dem Bedürfniß seiner Jahre und Du darfst Dich der Vollendung seiner Individualität getrösten.

„Das edelste Vorrecht der menschlichen Natur ist, sich selbst zu bestimmen und das Gute um des Guten willen zu thun. Wehe dem Bestreben, die Unterjochung des Geistes als die Aufgabe der Erziehung zu betrachten und zu empfehlen!

„Religionsunterricht soll man nicht eher ertheilen, als bis sich das Bedürfniß dazu in dem Kinde kund gibt. Jede Verfrühung rächt sich durch naturwidrige Folgen.

„Nicht durch Satzungen, sondern durch die Erweckung der Gefühle legt man den Grund zu edler Menschlichkeit.

„Das Wesen der Religion liegt nicht im Lehrgebäude, nicht im System, nicht in überkommenen Worten, sondern in der lebendigen Unmittelbarkeit des Gefühls.

„Ein Kind ist ein heiliger Gegenstand, eben so heilig, wie das Sittengesetz.

„Religions- wie politische Gesetze sind gleichmäßig verwerflich, wenn sie eine Kraft des menschlichen Geistes fesseln, wenn sie ihm in irgend etwas Stillstand auferlegen.“

Also unser allverehrter Schiller.

„Vergleiche man damit,“ fährt Diesterweg fort, „was die deutsche Pädagogik bisher wollte, was aber die, welche von „überwundenen Standpunkten“ reden, nicht mehr wollen.“

Diese Proben dürften genügen, um auf die trefflichen Grundsätze des „Pädagogischen Jahrbuchs“ aufmerksam zu machen und dasselbe allen Freunden echter Volksbildung zu empfehlen.




Avis. Das furchtbare Schicksal der mit dem Hamburger Dampfschiffe Austria verbrannten und untergegangenen Passagiere (von 600 wurden nur 70 gerettet) hat eine so allgemeine und große Theilnahme erregt, daß wie uns den Dank unserer Leser zu verdienen glauben, wenn wir in der nächsten Nummer eine ausführliche und authentische Schilderung dieses entsetzlichen Unglücks geben. Wir freuen uns, einen Bericht aus kundiger Feder versprechen zu dürfen, der (nach Mittheilungen eines Geretteten) sowohl über das Schiff und seine Fahrt, wie über die Katastrophe selbst genaue Mittheilungen bringen wird.




Berichtigung. Herr Hofrath Winter aus Ohlau gibt eine nähere Erklärung zu dem in Nr. 38 der Gartenlaube mitgetheilten Factum („Leyer und Schwert“), daß beim Ausbruche des Befreiungskrieges eine Jungfrau Breslau’s, welche das schönste blonde Haar besaß, dieses sich abschneiden ließ und verkaufte, um diesen einzigen Schmuck, den ihr Gott gegeben, auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen. – Es war dies, nach seiner Angabe, ein Fräulein Nanni von Schmettau in Bergel bei Ohlau in Schlesien, die Tochter des im Jahre 1817 in Bergel verstorbenen Oberst von Schmettau. Dem Einsender obiger Nachricht ist um so mehr Glauben zu schenken, da er zu jener Zeit Bürgermeister in Ohlau war.




Ein Buch für Alle!

In unserem Verlage erscheint in Bändchen von 12 bis 15 Bogen und ist in allen Buchhandlungen zu haben:

Deutsche Criminalgeschichten
von
Jod. Temme,
Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder.“
Preis à Bdchn. nur 12 Ngr.

Aus der Feder eines Fach-Mannes (früherem Criminaldirector in Berlin), der wie kein anderer deutscher Schriftsteller es versteht, den schwierigen Stoff der Criminalistik zu beherrschen und in eben so klaren wie ansprechenden Bildern zur Anschauung des Laien zu bringen, verbindet dieses Werk in ausgezeichneter Weise mit dem Zwecke der Unterhaltung zugleich den der Belehrung.

Die Tendenz des Werkes gibt der Verfasser selbst in der Vorrede mit kurzen Worten an: „Die nachfolgenden Erzählungen beruhen auf wahren Thatsachen. Sie sind nur in eine novellistische Form gebracht. Dieses Letztere aus einem einfachen Grunde. Hätte ich sie nur actenmäßig erzählen wollen, ich hätte, namentlich in der ersten Erzählung des ersten Bändchens, fast nur Grausen und Abscheu erregen können. Dadurch unterhält man weder, noch belehrt man. Ich aber wollte Beides, vorzüglich belehren durch Unterhaltung.“

Die Sammlung wird höchstens 8 bis 10 Bändchen à 12 bis 15 Bogen zu dem sehr billigen Preise von – 12 Ngr. – umfassen. Einzelne Bande kosten den dreifachen Preis. – 3 Bändchen sind bereits erschienen.

Magazin für Literatur in Leipzig.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wieder in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_620.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)