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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die ganze, wohl eine Stunde breite Fläche schimmerte in Roth und Grün. Das frische, kräftige Grün, wie man es nur in den letzten Kesseln der Hochgebirgsthäler sieht, bildete die Grundfarbe. Das Roth der Alpenrosen überhauchte es mit einem zarten, duftigen Schimmer, mit einem rosigen Hauch. Kein Baum breitete sein grünes Blätterdach über diesen Rasenteppich aus; ihn schmückten nur Rosenblüthen und Rosenknospen. Auf ihm weideten Hunderte von buntgefleckten Kühen und weißen Schafen, und das melodische Geläute der Heerdenglocken tönte durch den stillen Morgen zu mir herauf. Wie ein weißes, glänzendes Silberband schlängelte sich die Ache durch diesen blühenden Wiesenteppich. Rings um ihn baute sich in grünen und braunen Strebepfeilern die Tauernkette vom Malnitzerthal bis zum Sieglitzthal in der Form eines imposanten Felsenamphitheaters auf. Kein Strauch, kein Baum zeigte sich mehr an den braunen, steil in die Höhe steigenden Felswänden. Ihre scharfzugeschnittenen Bergrücken waren grün übermattet, und über den grünen Matten erschienen die majestätischen Massen der Eisberge, die weißen Schneefelder und die grünschimmernden Gletscherabstürze. Eine feierliche Ruhe lag über dem ganzen großartigen Hochgebirgsbilde ausgebreitet. Der betäubende Donner der Ache und der Wasserfälle war hier verklungen; nur ein tiefes, fernes Rauschen verkündete das Leben der Staubbäche, welche wie Silberstoffschleier, oder wie Lichtraketen, oder wie wehende, glänzende Bänder und Streifen überall von den Höhen hinabflatterten, und vermischte sich mit den Glockentönen der weidenden Heerden. Es war das Blld eines Hochgebirgsthales in seiner Sommerfrische und in seiner Sonntagsruhe.

Gerade über mir erhob sich das weiße Haupt des Kreuzkogl. Der achttägige Regen, der kurz vorher im Gasteinerthal gefallen war, hatte sich hier oben in Schnee verwandelt, und ein großes Schneefeld stieg von meinem Standpunkt bis zum Kopf meines weißhäuptigen Riesen hinauf. Ohne mich umzuschauen stieg ich in Begleitung eines der Knappen hinan. Der Schnee lag tiefer, je höher ich stieg, und der Weg wurde recht beschwerlich. Zuletzt sank ich bei jedem Schritt bis über das Knie in den frischgefallenen, lockern Schnee; es war ein fortwährendes Hineinstecken und Herausziehen der Beine. Der Schnee, auf dem die Sonnenstrahlen reflectirten, flimmerte vor den Augen, ich hatte vergessen, mir einen grünen Schleier um den Gebirgshut zu binden. Dazu wurde es unerträglich heiß. Recht mühsam stieg ich mit meinem Begleiter hinan. Der Weg bis zum Gipfel erforderte fast zwei Stunden; endlich hatte ich ihn erreicht – ich athmete lang und tief. Die Rundsicht war groß und erhaben. Ich stand in der Mitte einer Reihe der höchsten Gipfel der östlichen Alpen, und nach Süden baute sich die ganze Tauernkette rund um mich auf, übereinandersteigende Bergketten, in blendendes Weiß gehüllt, weite Eisgefilde, Felsenmulden, in denen sich die Gletscher gebettet hatten, langgestreckte Eismeere, schneegefleckte, braune Felsenzüge, alle in einer Höhe von 9–10,000 Fuß aufsteigend; über ihnen erhoben sich die hohen Gletscherfirsten, ganz in weiße, glänzende Schneemäntel gehüllt, die Zackengipfel der Glocknergruppe, die weiße Pyramide des Großglockners, die sanftgewölbte Kuppel des Hohen Narren, der Obelisk des Ankogl, das Fuscher Eiskahr mit dem Wiesbachhorn, welche mich noch um mehrere tausend Fuß hoch überragten. Unten aus der Tiefe blickten aus ihren grünen Waldbergen die Bockhartseen mit ihren grünschimmernden Seeaugen zu mir herauf.

Es war mir nicht möglich, nach diesem großartigen Blick in die Hochgebirgswelt und in die Welt des Erstarrtseins wieder durch meinen dunkeln Stolln zu kriechen. Nach dem Dunkel kann das Auge wohl in das Licht sehen, die umgekehrte Folge ist unerträglich. Noch einen langen, langen Blick, und ich stieg rückwärts den Gipfel hinab. Nach einigen Minuten standen wir auf der Höhe der Schneewand, welche sich in fast horizontaler Richtung zum Christophsbau hinabsenkte. Die Wand bildete eine einzige glatte, glänzende Fläche. Wir steckten den langen Alpstock zwischen den Beinen durch, streckten die Füße gerade hinaus, und, uns ganz rückwärts überneigend, mit den Händen den Stock umklammernd, fuhren wir in wenigen Minuten mit Blitzesschnelle hinab. Der Wagen stand gerade zum Abfahren bereit. Ich legte mich auf das Bret, ließ mich festbinden, das Wasser fiel auf das Rad, ich hörte seine tempoartigen Schläge, der Wagen stürzte aus dem Maschinenhause, und ich rollte hinunter. Ich hörte wieder den Wasserfall brausen, die Winde rauschen, vor mir erschienen die braunen Felshörner der Hirschkahrwand, und nun sauste ich durch alle Regionen der Alpenwelt, indem ihre Bilder abwärts an mir vorüberflogen, durch die Luft. Kühn schaute ich, als der Wagen senkrecht stand, und ich stehend an der Felswand schwebte, in die dämmernde Tiefe. Bevor der Schwindel meinen Kopf ergriff, hatte der Wagen bereits die Wände übersprungen. Seine eisernen Räder schienen die Bahntrace kaum zu berühren. In zehn Minuten stand ich unten am Sturzplatz.




Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
am 13. September 1858.

Ein directe Verbindung der deutschen Küsten mit dem großen amerikanischen Continent wurde nirgends sehnlicher gewünscht, als in den beiden Schwesterstädten Bremen und Hamburg. Der Ausführung eines solchen Unternehmens stellten sich aber, sollte es den Namen eines deutschen tragen, gar viele Hindernisse entgegen. Diese ließen sich nur nach und nach beseitigen, und erst als man die Schraube zur Fortbewegung großer Fahrzeuge anzuwenden begann, und dieser Versuch sich als ein glänzender Sieg der Fortschritte der Mechanik erwies, konnten unternehmende Männer, auch im deutschen Vaterlande daran denken, diese neue Entdeckung für die deutsche Schifffahrt erfolgreich nutzbar zu machen. Die Hamburg-Amerikanische Packet-Schifffahrt Gesellschaft, die sich schon längere Zeit im Besitz großer schnellsegelnder Segelschiffe befand, welche sie regelmäßig nach der neuen Welt in Fahrt setzte, und namentlich auch zur Beförderung von Auswanderern tüchtigen Capitainen anvertraute, faßte zu guter Stunde den Gedanken, nunmehr auch Dampfschiffe zu erwerben, welche unter deutscher Flagge den Ocean beführen, und als Eigenthum deutscher Rheder den Gegenfüßlern verkündigten, daß die Thatkraft im alten Europa noch nicht erlahmt sei. Es war wohl Niemand in Hamburg, der nicht Theil genommen hätte an der Freude, die täglich Tausende an den Hafen lockte, als das erste eiserne Schraubendampfschiff, die „Borussia“, unfern der Landungsbrücke von St. Pauli angelegt hatte. Diesem ersten Oceandampfer folgte alsbald die gleich große und auch in derselben Weise erbaute „Hammonia.“ Etwa nach Monatsfrist begannen die regelmäßigen Fahrten dieser Schiffe, deren Ziel die menschenwimmelnde Stadt auf der Manhattan-Insel, das schimmernde, Hunderttausende von Auswanderern anlockende New-York war. Wessen Brust hätte sich nicht höher gehoben, wenn er die schwarzen Kolosse unter dem Donnergruß der Kanonen, die Flagge Hamburgs von schwarzem Rauch umweht, den breiten Strom majestätisch, scheinbar still, und doch in beflügelter Schnelligkeit hinabgleiten sah! Diese Freude, der sich ein verzeihlicher Stolz beimischte, war eine gerechtfertigte. Hatte es doch der Unternehmungsgeist der Hamburger Bürger dahin gebracht, zum ersten Male die deutsche (Hamburgische) Flagge auf eigenen großen Dampfschiffen aufzuhissen und damit das atlantische Meer zu befahren!

Das immerhin gewagte Unternehmen, das ein Capital von Millionen erforderte, fand die allgemeinste Theilnahme in Europa, wie in Nordamerika. Die ausgezeichnet gebauten Schiffe erwiesen sich als ganz vorzügliche Segler, welche die Entfernung zwischen beiden Welttheilen gewöhnlich in 16 oder 17, oft aber in 14, ja in kaum 13 Tagen zurücklegten. Was Wunder, daß alsbald der Ruf der neuen Dampfschifffahrtslinie sich durch die ganze Welt verbreitete, und Passagiere aus aller Herren Länder sich auf diesen trefflich bemannten, von bewährten Capitainen commandirten, überdies auch mit der ausgesuchtesten Eleganz eingerichteten Dampfschiffen Plätze zur Ueberfahrt nach New-York bestellten! Es war ja mehr eine Lustfahrt, als eine Reise. Passagiere zumal, welche Mittel genug besaßen, um in erster oder zweiter Cajüte zu fahren, vermißten selbst auf der öden Wasserwüste zwischen beiden Hemisphären weder die Gewohnheiten ihrer Heimath, noch die Genüsse,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_631.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)