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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 46. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Rath Braunstein und Familie.
Ein Lebensbild von Ernst Fritze.
(Fortsetzung.)


Es kostete dem Rath Braunstein weit weniger Zeit und Mühe, was er jetzt zu Papier brachte. Aus dem resignirenden Manne von zweiundfunfzig Jahren war ein Vater mit Jünglingsmuthe geworden, der sich bereitwillig in den Strom neuer Thätigkeit zu werfen beschlossen hatte, um eine süße Pflicht gegen sein Kind zu erfüllen. Er schrieb in einem Zuge bis er fertig war, dann siegelte er und sendete den Brief fort. In demselben Momente öffnete sich langsam seine Thür und Hermine erschien schüchtern auf der Schwelle. Ihr Blick fragte, ob der Vater Zeit für sie habe. Ein Lächeln voll Wohlwollen und Güte beantwortete diese stumme Frage. Verflogen war der starre Ausdruck gedankenloser Gleichgültigkeit, womit er sonst den Eintritt Herminens begrüßt hatte, verschwunden die zerstreute Hast, mit der er sie abzufertigen sich stets beeilte.

Er streckte ihr die Hand entgegen mit jener überströmenden Freundlichkeit, die mehr als Worte eine Bewillkommnung ausdrücken.

Hermine ergriff die Hand und schmiegte sich an seine Brust. Es war ersichtlich, daß sie ohne Absicht das väterliche Asyl aufgesucht hatte, allein es lag nicht im Plane des Rathes, das vertrauliche Band sogleich ganz festzuknüpfen.

Mit einigen leichten Fragen wendete er das Gespräch auf Gegenstände, die fern von denen waren, welche ihre Herzenswärme auf einen Höhepunkt zu führen vermochten, und nur, als sie von einander schieden, glaubte er, ihr eine Bürgschaft auf seine verbesserte Gemüthsstimmung geben zu müssen.

Er sah dem Töchterchen fest und ernst in’s Auge.

„Möchte das, was heute zwischen uns erwacht ist, nie wieder einschlafen, mein liebes Kind!“ sagte er mit dem Ausdrucke tiefer Bewegung.

„Nie wieder – nie wieder, Vater!“ flüsterte sie innig und legte ihre Lippen mit herzlichem Drucke auf seinen Mund.




II.

Vierzehn Tage waren verflossen. Sie hatten eine wesentliche Veränderung in dem Verhältnisse zwischen Mutter und Tochter entwickelt, die aber nur einem eingeweihten Beobachter bemerklich werden konnte. Es war ein stiller Kampf zwischen ihnen entbrannt, der sich von Seiten der Tochter in consequenter Ruhe hielt, während sich die Räthin Braunstein sehr häufig im Eifer, ihre mütterlichen Rechte aufrecht zu erhalten, vergaß und die Maske der Mutterliebe fallen lleß. Danach sollte man annehmen, daß keineswegs eine behagliche Stimmung im Hause herrschte und dennoch begegnete man Gesichtern, in denen der heilige Friede keimenden Glückes ruhte.

Mit unverwüstlicher Sanftmuth betrachtete Rath Braunstein die Revolutionsstürme seines Hauses, ohne sich im Geringsten daran zu betheiligen. Er genoß den Vortheil, der für ihn daraus entstand, und ließ seelenruhig den Charakter Herminens durch den Wellenschlag der Zeit sich historisch entwickeln.

Den Hauptgrund der kriegerischen Evolutionen bildete natürlich der Herr Lieutenant Bruno von Fahrenhorst, welcher – als erklärter Günstling der Räthin, von der Blauberger haute volée für den Verlobten Herminens gehalten – jetzt der Gegenstand täglicher Debatten sehr unerquicklichen Inhaltes wurde.

Er selbst hielt sich klüglich fern von den Flammen des Streites, der sich seinetwegen entsponnen hatte, nachdem ihn das erste Zusammentreffen mit seiner angebeteten Hermine über ihre Gefühle gegen ihn hinreichend belehrt hatte. Aber er unterließ es nicht, hinter den Coulissen als jammernder Liebhaber zu agiren und das Herz seiner quästionirten Schwiegermama in Bewegung zu erhalten.

Hermine benahm sich ausgezeichnet. Sie betrachtete diese Sache als abgemacht und ihre Anlage zur sarkastischen Kaltblütigkeit gab ihr Waffen in die Hand, denen die sprudelnde Lebhaftigkeit der Mutter nicht gewachsen war.

Aber es war nicht zu leugnen, daß das stille Bündniß mit ihrem Vater dennoch bisweilen sehr nöthig wurde, um die muthige Geduld des armen siebzehnjährigen Kindes aufrecht zu halten. Wenn sie, geängstigt und gequält von den Bitten, Drohungen und Befehlen ihrer Mutter, betäubt gemacht durch die Vorstellungen von Glück in einer Ehe nach deren idealen Ansichten, ihr Auge endlich hülfeflehend auf den Vater richtete, so war sie jetzt sicher, nicht den gedankenlosen, durch Studien zerstreuten Mann, sondern einen stillen Theilnehmer und Beobachter neben sich zu finden.

Der Rath Braunstein hatte sich gründlich gebessert. Mit der Zeitung in der Hand, in welcher er aber nicht las, postirte er sich im Nebenzimmer, wenn die Räthin ihre Ueberredungskünste spielen ließ, und erschien immer so prompt in den Augenblicken, wo Herminens Noth am höchsten war, daß diese bald den treuen Verbündeten in ihm erkannte. Mit seinem Erscheinen dämpfte sich die Gluth der Begeisterung für den Lieutenant von Fahrenhorst und die Räthin ließ den Faden des Gespräches fallen.

Obwohl Hermine sich ihm dadurch zu herzlichem Danke verpflichtet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_653.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)