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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Westphälische Erinnerungen.
Mitgetheilt von Heinrich König.

Es dürfte nichts schaden, dann und wann wieder an jene Zeit zu erinnern, in der Deutschland durch Selbstvergessenheit schwach und in die tiefste Schmach fremder Unterjochung gesunken war. Innere Feinde bedrohen jetzt jenes stolze Selbstbewußtsein, durch welches wir uns erhoben und gerettet haben. Aus politischer Uneinigkeit, die der deutschen Verfassung und leider auch dem deutschen Charakter so nahe liegt, waren wir einer fremden Macht verfallen; doch unter diesem Drucke, ja durch ihn befördert, nahmen die geistigen Kräfte unserer Nation ihren schönsten und mächtigsten Aufschwung. Wir verstanden und erkannten uns von innen heraus durch Sprache, Poesie, Wissenschaft, freie Forschung und höhere Ueberzeugungen, und mit dieser einigenden Macht warfen wir den fremden Druck ab, und entzogen uns dem fremden Einflusse. Und bei dieser Macht müssen wir uns aufrecht halten gegen Alles, was die Seele der Nation verwirren, unsere geistige Einheit entzweien könnte oder möchte. Aus politischer Entzweiung konnten wir zu geistiger Einheit, — aus geistiger Entzweiung aber würden wir nie zu politischer Einheit gelangen.

Diese Betrachtung, die sich hier nicht weiter ausführen läßt, brachte in ihrem Ausgangspunkte den Verfasser auf jene Erinnerungen an die westphälische Zeit zurück, auf jene Mitteilungen, die er während eines Sommeraufenthaltes in Kassel gesammelt hatte. Manches davon ist durch poetische Umwandlung in Fleisch und Blut seines Romans: „König Jerome’s Carneval“ übergegangen, Vieles ist nicht verwendet worden, und so dürfte das Ganze für viele Leser der Gartenlaube, die mit Liebe an der Geschichte unseres schönen Vaterlandes hängen, nicht ganz uninteressant sein.

Ehe wir auf die Schilderung einzelner Zustände und Persönlichkeiten eingehen, müssen wir, um dieselben richtig würdigen zu können, vor Allem einen Blick auf das Land werfen, und die Leistungen ermessen, die demselben zugemuthet wurden.

Jerome bekam einen Staat zugemessen von noch nicht zwei Millionen Einwohnern, vom Kriege heimgesucht und von fortwährenden Truppendurchzügen gedrückt, mit einer Staatsschuld von mehr als 100 Millionen Franken belastet; die Gewerbthätigkeit gehemmt, die Fabriken nur mittelst Opfern von Seiten der Regierung aufrecht erhalten; — ein Land, dessen Geldquellen auf Getreide- und Wollenausfuhr neben einigem Durchgangshandel beruhten, — Erwerbszweige, die durch den Seekrieg so gut wie vernichtet waren.

Der junge Staat brachte schon von seiner Geburt eine große Schwäche mit, — neben der großen, durch Contributionen aus der Kriegszeit erwachsenen Landesschuld auch noch verminderte Domänen, da die Hälfte dieser Staatsgüter vom Kaiser Napoleon zu Belohnungen für seine Generale zurückbehalten war. Dennoch mußte aus dem neuen Königreiche alsbald eine bewaffnete Macht von zehntausend Mann Infanterie, zweitausend Mann Cavallerie und fünfhundert Mann Artillerie errichtet werden, und ein Armeecorps von 12,500 Mann Franzosen, als Garnison von Magdeburg, gekleidet und besoldet werden, wobei die Kriegscommissaire den Zuschnitt auf Kosten des deutschen Landes machten. Dies Land aber bildete zur Zeit noch die Verbindungslinie zwischen Frankreich und den von den Franzosen besetzten preußischen Festungen, dem Militairdepôt zu Danzig und dem Großherzogthume Warschau, so daß Durchmärsche, Einquartierung, Vorspann u. dgl. fast nie aufhörten.

Dies war das Glück eines Landes, das doch der Fremdherrschaft befreundet, dessen Regent mit dem großen Despoten verbrüdert war. Und während die Abgaben, die zur Bestreitung solcher Lasten oft mit aller Härte beigetrieben wurden, das Land physisch erschöpften, konnte der Gebrauch, den Jerome von seinem Antheil des Aufkommens machte, nicht anders als verderblich auf die Sittlichkeit und auf die Zufriedenheit des Volkes zurückwirken.

Der König bezog zur Unterhaltung seiner Familie und seines Hofes eine jährliche Civilrente von fünf Millionen Franken, die später, beim Zuwachs einiger hannoverscher Länder, auf sechs Millionen erhöht wurde. Mehrmals zog aber auch dieser Kronschatz noch Capitale und Grundstücke an sich, die dem Staate gehörten, und Jerome verwies wohl auch Forderungen an seine Person auf die Staatscasse. So hatte er, um in Frankreich sich von seinen Schulden zu lösen und als König in seinem Westphalen zu erscheinen, zwei Millionen geborgt, die er nun aus der Staatscasse zurückzahlen ließ.

Ein unangemessener Prunk und Aufwand des Hofes, so angenehm er den Residenzbewohnern in die Augen und in die Taschen fiel, gab doch im Lande vielfaches Aergerniß. Er beleuchtete die Noth des Volkes, steigerte den heimischen Adel in seinen Ausgaben, und enthüllte die fremde Sittenlosigkeit im Lichtglanze des Thrones.

Jerome, unter der gebieterischen Gewalt des kaiserlichen Bruders in seiner Macht beschränkt, suchte sich durch den Glanz und Genuß einer ihm über Nacht zugefallenen Krone zu entschädigen, wie es eigentlich auch seiner sinnlichen Jugend und leichtfertigen Bildung mehr zusagte. Lustige Gesellen seiner ausgelassenen Jahre und reizende Damen des Hofes standen zunächst in dem vergoldeten Glanze, — Männer von untergeordneter Herkunft, die er durch Hof- und Staatsämter erhöhte, und Frauen des besten deutschen Adels, die er durch seine Zumuthungen erniedrigte. Jene, vielleicht, wie er selbst, mit erborgtem Reisegelde gekommen, ließen sich große Gehalte gefallen; diese gefielen sich in seiner verschwenderischen Galanterie.

Jerome war im December 1807 auf Wilhelmshöhe bei Kassel eingetroffen, und beging sein erstes königliches Christfest mit Schenkungen und Rangverleihungen aus der reichen, der Krone heimgefallenen Hinterlassenschaft einer kürzlich ausgestorbenen Adelsfamilie.

Alexander Le Camüs, angeblich Pflanzer von der Insel Martinique, wo ihn Jerome auf einer Expedition kennen gelernt hatte, erhielt die Dotation des Gutes Fürstenstein mit dem Grafentitel. Ein stattlicher Mann, mehr gravitätisch, als leicht und vornehm in seinen Manieren, etwas gesucht in seinen Redensarten, aber beschränkten Geistes, wurde Oberkammerherr und Minister des Auswärtigen.

Ein von derselben Expedition zur See mitgebrachter Schiffslieutenant, Namens Salha, wurde zum Grafen von Höne befördert, Pagengouverneur, Großhofmeister der Königin und Kriegsminister, blieb aber etwas unbehülflich in diesen wechselnden Stellungen und zuweilen etwas matrosenhaft im Benehmen.

Gegen diese und andere Lieblinge Jerome’s wurden die Deutschen keineswegs zurückgesetzt. Im Gegentheil, sie waren um ihrer Kenntnisse willen im höheren Staatsdienste gar nicht zu entbehren, und für die Hofämter blieben Männer und Frauen von altem Adel höchst erwünscht. Sie verliehen dem neuen Hof ein altes Ansehen, und waren gut genug, den Emporkömmling hervorzuheben. Edelsteine geben auch einer Krone von unechtem Golde, bis sie etwa verkauft wird, einen scheinbaren Werth. Nur zu den recht lustigen Gelagen, wenn der König wieder einmal der alte ausgelassene Jerome sein wollte, wurden die französischen Günstlinge vertraulicher gefunden. Doch nennt man auch einen deutschen Grafen von fürstlichem Namen, den er als die Krone der Zechgesellschaften bezeichnet. Der Spaßmacher dabei war aber ein Franzose — Duchambon, Schatzmeister der Civilliste, ein Mann bei Jahren, früher emigrirter Ludwigsritter, eine groteske Figur mit rother Nase, die er sich angetrunken hatte, und die ihm Abends als Leuchtkäfer diente, wenn er in den unsaubern Gäßchen der Altstadt sich eine Geliebte suchte. Die Flasche verschaffte ihm den Karfunkel, mit dem sich ein „Schatz" heben ließ.

Die Hofdamen waren von anerkanntem Adel, wie es die Rücksicht für die Königin aus altfürstlichem Hause erforderte. Wir nennen nur die Gräfin Bocholz, eine Thusnelde aus den westphälischen Wäldern, nicht mehr die jüngste, aber noch immer von kraftvoller und majestätischer Anmuth; die Gräfin Pappenheim, mit einem Kalmückennäschen in reizendem Gesicht, Sylphide von Geist und Anmuth; die Gräfin Obenegg, die mit edelm Ausdruck von Leidenschaft und Treue an Heloise erinnerte, die ihren Abälard sucht; die Gräfin Truchseß-Waldburg, auch nicht mehr ganz jung und etwas stolz, liebenswürdig und geistreich, mehr hübsch als schön, mehr ehrgeizig als hingebend, machte sich durch Einmischung in die Staatsgeschäfte dem König unbequem, und ward bei Gelegenheit eines Neigungswechsels desselben auf Betrieb der französischen Partei, wie ihr Freund Bülow, verbannt.

Nur eine Bürgerliche von Herkunft unter diesen Damen that sich dafür durch ihre Schönheit hervor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_659.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)