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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Als nämlich Jerome nach seiner erwähnten Expedition zur See aus Baltimore, wohin er vor den Engländern geflüchtet war, zurückgekehrt, seine dort genommene Frau, Elisabeth, Tochter des Großhändlers Patterson, auf des Kaisers Befehl aufgegeben hatte, erhielt er den Auftrag, die in Algier gefangenen Genuesen vom Dey zurückzufordern. Es gelang, und er brachte 250 solcher Unglücklichen nach Genua. Hier, von dem Schimmer eines vorübergehenden Heldenthums umstrahlt, lernte er die schöne Frau seines Gastwirthes La Flêche kennen, eines Kaufmannssohnes aus Marseille, — Bianca, eine geborne Carrega, groß und stark von Gestalt, Kopf und Gesichtsbildung einer griechischen Antike, mir dem blendenden Teint einer Creolin. Nach zwei Jahren, als Jerome König von Westphalen geworden war, zog La Flêche mit der Frau nach Kassel über. Er mochte als Kaufmann schlechte Geschäfte gemacht haben und versuchen wollen, mit seiner schönen Frau bessere zu machen. Wenigstens wird erzählt, daß er zum Staatsrath und Intendanten der Civilliste mit dem Rang eines Barons von Keudelstein ernannt, so unbesonnen ausgezahlt, als früher ausgegeben habe. Es fehlten ihm endlich 100,000 Franken in der Casse, und seine liebenswürdige Bianca mußte in den Riß treten, und den König dahin bringen, daß er die Kleinigkeit übersah. So hatte die herrliche Frau in manche harte Nuß zu beißen. Wie schwer muß es ihr schon geworden sein, mit ihrer bezaubernden Stimme, mit der sie einst sich Bianca Carrega genannt hatte, jetzt ihren Namen und Rang als — Baronin von Keudelstein auszusprechen!

Wenn es nun auch wahr wäre, daß Jerome schöne Blumen nicht nur gern gesehen, sondern auch gern berochen habe: so dürfen wir darum doch nicht Alles glauben, was die Lästerchronik von der schmählichen Hingebung deutscher Frauen, selbst des ersten Adels, erzählt. Sie sahen freilich auch ihre Männer sich bücken und vergessen, und es war so verlockend, seiner persönlichen Würde nicht zu achten, um liebe Angehörige und theure Freunde zu befördern; es war so ’was Apartes, einen magern, blassen, etwas olivenfarbigen König zu lieben, der so reiche Geschenke machte, und so gern zu Gevatter stand. Wir wollen daher auch nichts von den oft so pikanten Liebes-Intriguen, von so manchem köstlichen Quidproquo berichten. Nein, wir wollen lieber zu den 50 echten Shawls greifen, die Jerome auf einmal von Paris zu Geschenken, im Werth von 12 bis 1500 Franken den Shawl, kommen ließ, und wollen, so viele dazu nöthig sind, über die entblößten Schultern dieser Comtessen, Baronessen und Demoisellen werfen, die eben manchmal so schwach waren, sich lieber zu putzen, als zu schämen.

Doch es gab noch stärkere Unterschiede der Auszeichnung. Jerome liebte es nämlich, sein Bild, mit Diamanten besetzt, einzelnen Frauen zu verschenken, die es dann auf der linken Brust trugen, wahrscheinlich als ein Aushängeschild, als ein Bekenntniß des Herzens. Noch höher aber stand ein ausdrücklich für Frauen gestifteter Orden mit dem Sinnbilde zweier überkreuzliegender Schwerter, ebenfalls mit Diamanten besetzt, — eine Auszeichnung, wie es scheint, der Tapferkeit im Kampfe der Liebe. Zwei Schwerter überkreuz deuten auf „pariren“, was bekanntlich nicht blos „einen Angriff abwenden“, sondern auch „gehorchen“ „sich fügen“ ausdrückt. Nebenher wurden auch bloße Schmucksachen von verschiedenem Werthe verschenkt. So weiß man von dem Diamantenschmuck, den eine Gräfin erhielt, und der auf 16,000 Francs geschätzt wurde.

Der Shawls und Diamanten wird denn auch ausdrücklich in einem französischen Spottgedichte gedacht, das nach der Schlacht von Leipzig, bei Jerome’s Flucht, auskam und nach der Melodie: Bon voyage, Monsieur Dumolé gesungen werden konnte. Darin sangen die französischen Palastdamen:

Partons, partons en dilligence,
Sauvons nos châles, nos diamants!
Jerôme se retire en France.

zu deutsch:

Fort, fort mit Post und guten Rappen!
Packt ein die Shawls und Diamanten,
Denn Jerome macht sich aus den Lappen!

Bei so vieler Aufmerksamkeit für liebenswürdige Damen versäumte jedoch Jerome durchaus nichts von liebender Aufmerksamkeit für die Königin. Nur eine wunderliche Artigkeit könnte befremden. Es war nämlich eine Liebhaberei von ihm, seiner geliebten Trinette, wie er Katharina gern nannte, die Nägel der Finger zu beschneiden. Die Königin, zu vornehm von Herkunft, zu unbefangen von Gemüth, lächelte dazu, ohne einen Argwohn gegen diese seltsame Zärtlichkeit zu fassen. Ohne Zweifel war es aber eine Angewöhnung Jerome’s aus früheren Liebschaften, wo er es aus Vorsicht räthlich gefunden hatte, einer Geliebten in günstiger Stunde — voraus für Augenblicke der Eifersucht — die Nägel zu stutzen.

Jerome’s lustige Verschwendung beschränkte sich aber keineswegs auf persönliche Genußsucht; sondern sie erwies sich prunkhaft und mittheilsam. Wir übergehen das Theater der Residenz, auf welchem freilich einige frühere Theaterbekanntschaften, wie Clara Lacome, Adele Louis und andere ihm selbst näher, als dem Publicum standen; so daß sie von der Bühne in seine Loge steigen konnten, um im leichten Costüme ihrer Rollen seinen hohen Beifall persönlich zu empfangen. Aber einen rechten Spielraum für seine prunkende, mittheilende Lustigkeit fand er an den Hofmaskenbällen.

Wohl tausend Billets für Damen und Herrn wurden vom Großmarschall des Palastes, Meyronet, Grafen von Wellingerode, in des Königs Namen zwar ohne Unterschied des Ranges ausgegeben, jedoch bei der Auffahrt um 7 Uhr Abends wiederholt controlirt, — hier am Eingang in das Schloß und beim Betreten der drei großen Säle. Der König und die Königin eröffneten jedesmal den Ball mit einer Française. Dann stahl sich Jerome in seine Gemächer, und kehrte in wechselnden Maskenanzügen zurück. Von seinen Cavalieren ließ er sich diejenigen jungen Damen zeigen, die etwas französisch sprachen, und sobald er Einiges von ihren Familienverhältnissen wußte, ging er darauf aus, sie zu necken und sich zu unterhalten.

Um zwei Uhr nach Mitternacht wurde im großen Speisesaal an doppelten Hufeisentafeln zu Nacht gespeist. Frugal konnte man nicht sagen; denn es herrschte der größte Aufwand, und die Gäste benahmen sich mit aller Maskenfreiheit im Zugreifen. Es kam vor, daß französische und deutsche Herren den Champagner in Dutzend Flaschen verlangten, und sie wurden auf’s Artigste bedient. Aber über alle Gebühr hinaus ging doch einmal eine große Maske in elegantestem Domino. Sie trat an das Büffet, besah sich die aufzutragenden Speisen, ergriff dann rasch eine Serviette, deckte sie über eine kostbare Auerhahnspastete, und eilte mit dem Raub unterm Domino der Thüre zu. Hier von einem Lakaien angehalten, gab sich ein Herr zu erkennen, der an seinem eignen Tische wie oft eine solche Pastete hätte haben können. Auch hatte der Diener soviel Respect vor ihm, daß er ihn mit den Worten ziehen ließ: „Dürfte ich mir nur die Serviette zurück erbitten?"

Einmal an einem kleineren solchen Abende stand in einem der Säle eine Bude aufgeschlagen, und erregte verwunderte Neugier. Sobald die Gäste beisammen waren, erschienen, als Handelsleute maskirt, der König und die Königin. Die Bude wurde geöffnet, und ein Reichthum von Schmucksachen, Uhren, Dosen, Ringen und Ketten war ausgelegt. Während man staunte, was damit werden sollte, trat ein Minister hinzu, handelte um eine goldene Repetiruhr, aber mit der Entschuldigung, daß er eben kein Geld bei sich habe. Die Königin übergab ihm sehr freundlich die Uhr, und der König trug den Preis in ein großes Contobuch. Jetzt begriff man das Geschäft, und es läßt sich denken, daß die Sachen reißend Abgang fanden.

Die Hofdame Frau von Schele aus Hannover, die bei jedem Anlasse sich gern mit Stellen aus deutschen Dichtern hören ließ, brachte sehr glücklich aus Schiller Lied „An die Freude“ den pathetischen Vers an:

„Unser Schuldbuch sei vernichtet!“

Mancher, der nicht das Kostbarste erwischt hatte, mag dagegen vertraulich gespottet haben, — wie gut sich doch Jerome in einer Bude ausnehme.

Es war nämlich die Meinung verbreitet, Jerome habe während seines Aufenthaltes in Baltimore bei seinem Schwiegervater als Commis gestanden. Ohne Zweifel eine schalkhafte Erfindung! Denn Jerome war als französischer Flottencapitain nach Martinique gesegelt und als solcher, auf seiner Flucht vor den Engländern, nach Baltimore gekommen. Ob er sich hier bei seiner Bewerbung um Miß Elisabeth Patterson auch ein wenig in Handelsangelegenheiten gemischt habe, steht dahin.

Es konnte nicht fehlen, daß solch ein üppiges, verschwenderisches Hofleben, ob günstig oder mit Mißbilligung angesehen, gerade in Kassel besonders stark in die Augen fiel, weil es auf dunklem Hintergrunde des früheren Hofhaltes doppelt glänzend erschien, und von

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