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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ließ, erfüllte ihn mit einiger Bitterkeit und er kam dadurch in die Lage, zweifelhaft zu sein, ob er zu der gemietheten Wohnung Möbel kaufen solle oder nicht. Daß seine Frau es auf eine Ueberraschung abgesehen haben könne, fiel ihm gar nicht ein; um so angenehmer war sein Erstaunen, als er eines Tages seinen ehemaligen Bedienten aus Blauberg in sein Zimmer treten sah, der ihm die Meldung brachte, daß ein großer Transportwagen mit ihm zugleich auf dem Bahnhofe angelangt sei, und daß die gnädige Frau Präsidentin am nächsten Tage mit dem Courierzuge ebenfalls eintreffen werde.

Jetzt erst fühlte Braunstein im vollen Ernste, daß man nicht dreißig Jahre ein Weib lieben könne, um sie dann ohne Schmerzen von seiner Seite zu entbehren. Eine heilige Freude durchzitterte seine Brust und lockte eine Thräne in sein Auge herauf. Mit einer heiligen Freude betrachtete er den Jubel seines und ihres Kindes, das bei dieser Botschaft hoch aufjauchzte und der Zeit Flügel wünschte, die zwischen dem Heute und Morgen lag.

Vater und Tochter entwickelten nun eine staunenswerthe Thätigkeit im Ordnen der neuen Wohnung. Der Assessor Windhagen ward angesteckt von ihrem Eifer. Wie durch überirdische Kräfte befördert, gestaltete sich die Einrichtung in unglaublich kurzer Frist zum vollendeten Ganzen und als der Courierzug am nächsten Tage die Präsidentin Braunstein, zwar etwas ernster, als sonst, aber dennoch gütig und zur Versöhnung sehr geneigt, heranführte, da wurde sie im Triumphe empfangen und in die geschmückten Gemächer geleitet.

Zwischen den Gatten bedurfte es nur eines einzigen festen, versöhnenden Blickes, um diese ganze Störung ihres ehelichen Friedens auf immer zu begraben. Sie hatten erkannt, daß die Bande der Jugendliebe durch die Bande der Gewohnheit ersetzt und unendlich bindender gemacht werden, als man glaubt.

Auf Herminens Seele ruhte noch ein kleiner Druck, der trotz der liebevollen Worte, womit ihre Mutter sie begrüßte, nicht weichen wollte, Sie warf ihn endlich gewaltsam durch die Frage herunter:

„Was macht der Lieutenant von Fahrenhorst, Mama?“

Die Präsidentin lächelte verlegen.

„Er grüßt Euch und läßt Euch seine Verlobung mit seiner Cousine Therese von Fahrenhorst melden, die in wenigen Tagen stattfinden wird.“ Hermine lachte herzhaft.

„Siehst Du, daß er mich nicht geliebt hat!“ rief sie.

„Das kann man doch nicht ganz bestimmt behaupten,“ meinte die Präsidentin.

„O, Mama, ich behaupte es! denn ich kenne Einen, der sich niemals im ganzen langen Leben verloben würde, wenn ich ihn nicht zum Gatten wählte.“

In demselben Augenblicke trat der Präsident rasch in’s Zimmer, an seiner Hand den jungen Hausfreund.

„Assessor Windhagen,“ sprach er, ihn der überraschten Gattin präsentirend.

Hätte die Dame eine Ahnung davon gehabt, daß dieser Assessor Windhagen der „Jemand“ sei, welcher einst den Impuls zu den hartnäckigen Widerstrebungen ihrer Tochter gegeben hatte, so würde sie ihn nicht, von seinem wunderbar gewinnenden Wesen frappirt, so zuvorkommend empfangen haben. Allein Dank der Vorsicht Herminens, sie wußte es nicht und gab sich vollständig zwanglos dem Eindrucke hin, den der junge Mann auf sie machte.

Vier Wochen später feierte man im Hause des Präsidenten Braunstein ein brillantes Verlobungsfest. Die Anordnungen dazu gaben den Beweis, daß Dame Braunstein noch immer der Effecthascherei mit Vorliebe huldigte, allein die junge, frische und fröhliche Braut zeigte sich vollkommen curirt. Ihr Ehrgeiz beschränkte sich nicht mehr auf die kleinlichen Triumphe der Eitelkeit, er hatte seine Flügel zu einem mächtigeren Fluge entfaltet, der als Ziel einen unerschütterlichen Thron im Herzen ihres Vaters und ihres zukünftigen Gatten hatte. Vor phantastischen Einbildungen in Bezug auf ein ungestörtes Glück in der Liebe war sie durch das Beispiel ihrer Eltern frühzeitig bewahrt worden, aber sie hatte auch aus dieser Schule der Erfahrung als Resultat die Gewißheit erlangt, „daß eine echte und wahre Liebe den Grundstein zur Veredelung in sich tragen muß.“ Indem sie die Geistesherrschaft des Mannes als competent anerkannte, machte sie ihr Auftreten auf der Weltbühne abhängig von dem Urtheile desjenigen, den sie liebte, und räumte ihm von vornherein eine maßgebende Obergewalt über ihre innerlichen Regungen ein. Dadurch entging sie auf alle Fälle den Klippen, woran das Eheglück ihrer Eltern beinahe gescheitert war.

Beinahe, sagen wir, denn aus den brandenden Wogen der aufgeregten Gefühlswellen stieg wider alles Vermuthen ein sanftes, stilles Glück empor, das beschwichtigend eine ganze Vergangenheit von zwanzig Jahren mit dem Schleier der Vergessenheit bedeckte.

Braunstein hatte bei der Katastrophe, die eine Wendung seiner häuslichen Verhältnisse herbeiführte, eingesehen, daß selbst die puppenhafte Geliebte seiner Jugend zu seinem Glücke nothwendig war. Ohne es also nur zu versuchen, die alten fehlerhaften Neigungen seiner Frau zu entfernen, war er geneigt, sie eben so „verputzt“ neben sich wieder aufzunehmen, um sie nur nicht ganz entbehren zu müssen. Allein die Frau Präsidentin hatte auch nicht ungestraft die Zeitperiode durchgemacht, welche sie zu isoliren drohte.

In ihrem Innern erzürnt und durchaus entschlossen, ein Leben ohne Mann und Kind zu ertragen, wurde sie mit Erstaunen gewahr, daß nicht ihrer Person die achtungsvolle Auszeichnung galt, mit der sie seither in Blauberg behandelt worden war. Sie begegnete dem Lächeln der Verwunderung, als sie keine Anstalten traf, ihrem Gatten zu folgen, und sie erlitt Kränkungen einer gewissen Zurücksetzung als einzeln stehende Frau, denen sie nimmermehr ausgesetzt zu werden glauben konnte, so lange sie in ihren alten Verhältnissen blieb.

Der Brief ihrer Tochter kam zu rechter Zeit und die Worte ihres Gatten trafen wie Feuerpfeile eine gut vorbereitete Stätte. Sie war nicht so erkältet gegen die schönen Jugendgefühle, die sie zu einer geduldigen Braut gemacht hatten, um nicht in der Verheißung: „der Student Eduard Braunstein hat Lust, seine Carriere nochmals zu beginnen“, den süßen Ton alter Liebe zu finden. Und als sie nun wieder an der Brust dieses Eduard Braunstein ruhte, von seinen Armen umschlungen, von seinem innig treuen Blicke begrüßt? Nun, da fühlte sie, daß sie doch recht glücklich sei, wieder neben ihm leben zu dürfen! Sie fand ihn aufmerksamer und gütiger, als sonst; konnte sie ihm nachstehen in der Besserung?

Willenlos und unbewußt ahmte sie endlich ihrer Tochter nach, die sich von Tag zu Tag inniger an den Vater anschloß, und wenn sie auch nicht im Stande war, dem Vergnügen zu entsagen, das die Siege der Eleganz bereiten, so fand sie doch neben diesen Beschäftigungen hinreichend Muße, sich für das Wohlsein ihres erweiterten Familienkreises zu interessiren. Sie lernte es, die Zerstreutheit und Gleichgültigkeit ihres Gatten zu bannen, und als sie erst bemerkte, daß er für die Gemüthlichkeit eines Familienzirkels „immer Zeit“ hatte, da begann sie das Unrecht ihrer früheren Anforderungen einzusehen.

Die vorrückende Zeit mit der unausbleiblichen Großmutterwürde wird das Werk der Besserung hoffentlich vollenden.


Kind und Kindeskind.

Auch eine Dorfgeschichte von H. Nordheim.

Am Donnerstag ist Holztag; die Nachbarn und auch die Armen gehen in’s Gemeindeholz und in die königliche Waldung, die dran stößt, um dürres Holz zusammen zu lesen oder von den Bäumen zu brechen. – Es zieht vom frühen Morgen an hinaus, und man hört es im ganzen Wald knacken und hauen. Die Kreiser müssen auch da sein, daß kein Frevel am grünen Holz geschieht.

Die beiden Enkelkinder der Magdalene Arnold, die schon seit Jahren an Händen und Füßen durch die Gicht gelähmt ist, sind auch im Wald, weil sie keinen Stecken Holz mehr haben. Es ist zwölf Uhr, sie sitzen neben einander auf einer starken Welle, die ihnen gehört, und verzehren ihr Brod.

Die Marie ist siebenzehn, der Karl funfzehn Jahre alt; beide sind ärmlich, aber reinlich gekleidet. Der Karl hat ein offenes, frisches Gesicht, dunkle Haare und Augen, und es liegt was Trotziges in seinem ganzen Wesen. Die Marie ist ein schönes Mädchen; sie hat große blaue Augen und ein feines, helles Gesicht. Ihre

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