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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

brachte daraus eine Flasche hervor, die er ihr an den Mund hielt. Sie schüttelte sich, denn sie dachte, es wäre Schnaps, und davor hatte sie einen Ekel, wohl, weil sie sich noch dunkel erinnerte, was der in ihrer Kindheit für Unglück angerichtet hatte. Aber der Jäger sagte:

„Es ist ja Wein, trink’ nur einen Schluck.“

Die Marie war erst auch vor dem Jäger erschrocken gewesen, denn Mancher, der sonst ganz reputirlich in der Welt herumgeht, sieht aus, wie ein Menschenfresser, wenn er in seiner Jagdhaut steckt, und bildet sich dabei, das ist das Allerschönste, noch Wunders ein, wie was Rares er aussah’. Der den Bock neben der Marie geschossen hatte, sah auf den ersten Blick auch nicht zu schön aus, wie er aber mit der Flasche neben ihr kniete und mit freundlicher Stimme und noch freundlichern Augen sagte: „Trink nur einen Schluck,“ da war es ihr, als dürfte sie’s ihm gar nicht abschlagen und als wäre das ein ganz Anderer, als der ihr im ersten Augenblicke den Schreck einjagte. Sie trank einen Schluck und fühlte auch auf der Stelle, daß sie wieder Leben in sich hatte. Sie sagte, indem sie tief aufathmete:

„Jetzt ist mir’s gleich besser.“

Der Jäger mußte laut lachen; das passirt einem am ersten, wenn man sich von was erholen will, was gerade nicht zum Lachen war; und bei der Marie fing’s auch an, im Munde zu zucken. Wenn man erst eine Metze Salz zusammen gegessen hat, kann man bekannt sein, aber manchmal wird man’s auch schon, wenn man nur einmal zusammengelacht hat, und so ging’s hier auch. Der Jäger wußte bald, wer die Marie war, und er hatte ihr erzählt, daß er mit dem Herrn von Walden auf Zuspruch im Schlosse sei. Die Marie sah ihn dabei wie scheu an und sagte:

„Da seid Ihr wohl der Jäger?“

„Ja, ich bin der Jäger.“

„Drum.“

Er lachte wieder laut aus und wollte wissen, warum sie „Drum“ sagte. Sie meinte, weil sie gleich gesehen hätte, daß er kein Fürnehmer wäre, denn sonst hätte er gewiß eher nach seinem Bocke, wie nach ihr gesehen.

Man konnt’s merken, daß er sich das nicht von ihr erwartet hatte; er sah sie eine Weile ganz ernstlich an, dann sagte er:

„Es ist auch wahr, ich hab’ meinen Rehbock ganz vergessen.“

Dabei stand er auf und ging nach dem Flecke hin, wo das todte Thier lag. Der Marie war’s, als hätte sie was Unrechtes gethan und als müßte sie sagen, er sollte ihr’s nicht verübeln, aber sie hatte nicht den Muth dazu. Sie blieb sitzen und legte die zwei Hände in den Schooß, derweil sie zusah, wie der Jäger den Bock sich über die Achsel warf, um fortzugehen. Wie er sich nach ihr umdrehte, sagte er:

„Bleibst Du denn noch immer sitzen?“

Da fiel’s ihr ein, daß sie doch nun auch heim müßte, und sie sagte:

„Mich deucht, es muß spät sein.“

Er sah sich nach der Sonne um und sagte:

„Es wird wohl bald um sechs sein.“

Dunkelroth im Gesicht sprang sie aus, raffte ihr Bündel in die Höhe und rannte, was sie konnte, ein Stück in den Wald hinein, wo sie ihre Kütze hatte stehen lassen. Der Jäger dachte, sie müßte wiederkommen, aber ein paar Minuten darauf sah er sie drüben im Felde auf einem andern Pfad dem Dorfe zu laufen, als wenn es hinter ihr brennte. Wie sie an das Dorf kam, begegnete sie dem Karl. Er sollte ihr entgegengehen; das Fröle hatte Sorge, es wär’ ihr was „gepassirt“, weil alle die anderen Leute schon um drei Uhr aus dem Holze heim waren und sie allein nicht. Die Marie hatte ja selber nicht gewußt, daß sie an die vier Stunden geschlafen hatte. Sie erzählte dem Karl und dem Fröle, wie’s ihr gegangen war; da hörte die Magdalene, daß der Herr von Walden in Weißbach wäre. Es gereute die Marie schier, daß sie’s erzählt hatte; sie wußte, daß das Fröle auf den Baron Max schlecht zu sprechen war, und es war ihr gar nicht eingefallen, daß das ja der jetzige Herr von Walden wäre. Das Fröle kriegte ihren Stickhusten und hinterher war das Reißen in den kranken Gliedern schier nicht zum Aushalten. Sie legte sich nach der Wand zu und wollte schlafen; die Marie mußte ihr Licht machen und setzte sich an’s Spinnrad. Der Karl ging zu seinem Meister, dort schlief er.

Der Marie war’s ordentlich eine Wohlthat, daß Alles’ still wurde und sie mit ihrem Spinnrade allein war; sie hatte was auf dem Herzen, was sie drückte, und konnte an nichts Anderes denken; da hilft nichts so tragen, als wenn’s still um einen wird. Der Jäger war erst so gut mit ihr gewesen und zuletzt, von da an, wo sie sagte „Drum“, hatte er sie mit seinen schwarzen Augen angesehen, als wenn er sie in sie hineinbohren wollte. Und nun war sie auch noch so einfältig fortgelaufen und hatte nicht einmal „Schön Dank“ gesagt. Der mußte sie doch für eine rechte Trampel halten; sie hätte wer weiß was darum gegeben, wenn er das nicht gedacht hätte. Sie konnte an nichts Anderes denken.

Da pochte es ganz leise an die Stubenthür, sie fuhr zusammen, daß sie um ein Haar das Rad umgeschmissen hätte. Sonst war sie ja ihr Lebtag nicht so schreckhaft gewesen, aber das mußte der Schuß machen. Sie hatte nicht das Herz, „Herein“ zu rufen, aber es pochte noch einmal und das Fröle rief:

„Wer ist da?“

Die Thür ging auf und ein großer bleicher Mann in einen Mantel gewickelt trat herein. Die Marie zitterte am ganzen Leibe, wie sie seinen Gruß mit „Schön Dank“ erwiderte. Sie sah gleich, daß sie ihn nicht kannte, aber die Stimme von dem Manne war auf sie zutrat. Sie sah, daß seine Augen schimmerten, wie wenn Wasser drin stände. Er sagte:

„Ist die Frau Arnold daheim?“

Da bog sich die Gestalt der Frau Magdalene auf ihrem Lager weit vor und sie rief noch einmal, aber mit so lauter Stimme, daß die Marie davor zusammenfuhr:

„Wer ist da?“

Der fremde Mann nahm seinen Hut ab, ließ den Mantel herunterfallen und wendete sich gegen das Lager der Alten.

„Kennt Ihr mich noch, Frau Magdalene? Es sind viele Jahre vergangen und mein Haar sieht wohl bald nicht mehr schwärzer aus, wie Eures.“

Aber der Husten wurde immer ärger und die Alte zog ihre Hand barsch weg. Die Marie sprang zu, um ihr das Kissen höher zu rücken und sie hinauszuheben. Wie’s ihr sauer wurde, denn das Fröle hatte seine Last, bog sich der Fremde über sie weg, um ihr zu helfen, und drückte sie so fest an sich, daß sie dabei an was denken mußte, was weit hinaus ihr im Sinne lag und wovon sie manchmal träumte. Allemal aber, wenn sie daran dachte, spannte sich’s wie ein eisernes Band um ihre Brust und das Wasser mußte ihr aus den Augen schießen.

Sie sah sich, sie mußte noch recht klein gewesen sein, im Schooße von einer bleichen Frau, die sie fest an sich drückte und mit Küssen zudeckte, derweil die Thränen ihr über’s Gesicht liefen. Sie wußte es noch ganz genau, daß ihre Aermchen nicht ganz um den Hals herumreichten, daß sie sie aber auch wieder und immer wieder küßte, bis sie ihr im Arme einschlief, und noch heute, wenn sie daran denken mußte, wollte sie alle Mal die Arme ausstrecken, und es ging leise, sie wußte es wohl selber nicht, aus ihrem Munde:

„Mein Mutterle.“

Das Fröle war auch gut mit ihr gewesen und hatte ihr manchmal schön gethan, aber sie hatte dabei nicht an’s Mutterle denken müssen. Wie der Fremde sie an sich drückte, ging’s ihr leise über die Lippen:

„Mein Mutterle.“

Er wandte sich plötzlich und sagte:

„Morgen komme ich wieder, Frau Magdalene,“ und ehe die Marie wußte, wie ihr geschehen, hatte er Hut und Mantel umgenommen und war zur Thür hinaus; die Alte hustete gewiß noch eine Stunde lang, bis sie so hin war, daß sie in die Kissen fiel und entschlief. Die Marie ging in die Kammer daneben und legte sich auch, aber sie mußte immer an den fremden großen Mann mit grauen Haaren denken, und wie sie endlich einschlief, träumte sie von „ihrem Mutterle“. Der Jäger und daß er sie für „eine rechte Trampel“ halten könnte, war ihr nimmer eingefallen.

Früh, wie sie zum Fröle kam, wunderte sie sich, daß sie freundlicher war, wie sonst, und ihr nachguckte, wohin sie auch ging, aber keins sagte was von dem fremden Manne und dem Karl wurde auch nichts gesagt. So ging der Tag hin und wie es dunkel war,

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