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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Gewalt an die Planken der „Olga“, daß das ganze Schiff seufzte und stöhnte, als sei es ein beseeltes Wesen, Das ging vier Tage mit nur sehr kurzen Pausen so fort. Da der Wind bald dick aus Osten, bald wieder aus Nord und West blies, kamen wir nur langsam von der Stelle. Merkwürdigerweise begegnete uns in dieser ganzen Zeit am Tage kein einziges Segel, des Nachts nur strich ein paar Mal in Sehweite ein Schiff vorüber, dessen Laternen am Maste gespenstigen Augen gleich die Finsterniß durchglühten. Es war eine unheimliche Reise und wir Alle, der Capitain nicht ausgenommen, empfanden fröstelnd dies Unheimliche, ohne uns darüber auszusprechen.

Durch die häufig wechselnden Winde genöthigt, oft Tage lang zu kreuzen, näherten wir uns nur sehr langsam dem dänischen Inselreiche. Wir waren froh, als der Sund endlich vor uns lag, und glaubten, alle Noth sei nunmehr überstanden. Kaum aber steuerten wir in das Kattegat, so überfiel uns ein abermaliges, nur viel schlimmeres Unwetter, als alle früheren. Es war ein Orkan aus Nord, begleitet von flammenden Blitzen und fürchterlichen Donnerschlägen, und dies Wetter brach los mitten in finsterer Nacht.

Die öde, schaurige Landspitze von Skagen lag wenige Meilen von uns zur Linken. Der Capitain erkannte die uns drohende Gefahr, wenn es nicht möglich sei, das Schiff von diesem Sandrücken abzuhalten. Aber der Sturm fegte gerade darauf zu und die gegen die Breitseite der „Olga“ heranrollenden Wasserberge trieben sie dem verrufenen Strande näher und näher.

Obwohl kein Fetzen Leinwand mehr an den Raaen hing, brach doch bald da, bald dort der Orkan eine derselben ab und schleuderte sie weit hinaus in die wüthende See. Schon nach einer halben Stunde fruchtlosen Kampfes hing das Takelwerk zerfetzten Spinnengeweben vergleichbar um die knarrenden und krachenden Masten. Um nicht erschlagen zu werden, mußten wir erst den Mittel-, dann den Fockmast kappen. Ein Feuerball rollte darüber hin, als sie über Bord stürzten und das schäumende Meer sie gierig, weiße Säulen strudelnden Wassers gen Himmel spritzend, einschluckte. Jeder Blitz zeigte uns die von Minute zu Minute wachsende Gefahr. Hob sich die „Olga“ auf dem zitternden Riesenhaupte einer Woge, dann erblickten wir das grelle rothe Licht des Leuchtfeuers auf Skagen, und fuhren weißzackige Blitze über und neben uns in die wildbewegte See, so konnten wir schaudernd den schauerlichen Todtenacker am Skager Strande erkennen, bei dessen Anblicke das Herz jedes Seemannes erbebt. Wie bleiche, fleischlose Riesenarme griffen dort Rippen und gebrochene Masten gestrandeter, vom Sande halb überschütteter Schiffe in die gespenstische Nacht hinein. Zwischen diesen zahllosen Wracks aber und darüber hin peitschte der rasende Nordsturm haushohen Schaum zerstäubender Wogen. Im Schein der Blitze schien der ganze Strand auf einer Strecke von wohl einer halben Stunde von Schneewirbeln umtost zu sein.

Da blitzte ein grelles Licht vor uns auf, ein Schuß verhallte dumpf über dem Meere. Gleich fuhr ein breiter glührother Blitz aus dem schwarzen Gewölk und im Aufleuchten dieses Naturfeuers sahen wir einen großen Dreimaster vor uns, der das Steuer verloren hatte und gerade auf Skagenhorn zutrieb. Dieser fürchterliche Blitz zersplitterte den großen Mast und gleich darauf schlugen rothe Lohen aus dem zerborstenen Holze. Sie breiteten sich schnell aus, noch wenige Minuten, und das Schiff trieb flammend gerade zwischen die verwesenden Schiffsleichen auf den todbringenden Sand zu.

Es war ein fürchterlich schöner Anblick, wie das gewaltige Schiffsgebäude, umringt von den starrenden Masten längst verlorener Fahrzeuge, jetzt aufrannte im Sande, wie dann wieder weißstrudelnde Wellenberge es umhüllten, eine neue stärkere Woge es nochmals hob und Rauch und Flammen abermals den Sieg über die zurückrollenden Wogen gewannen.

Den Gestrandeten zu Hülfe zu eilen, war unmöglich. Sahen wir doch das gleiche Schicksal vor Augen! Die „Olga“ war verloren, das wußten wir Alle, das Leben aber konnten wir im glücklichsten Falle wohl noch retten.

Der Capitain trat selbst an’s Steuer. Mit einer Stimme, die momentan das Geheul des Sturmes und das Brüllen der Wogen überschrie, rief er Henricksen zu, mit aller Gewalt die Speichen des Rades zu fassen, um das Schiff gerade auf den Sand rennen zu lassen. Sechs Menschen warfen sich zugleich auf die Speichen, das Schiff krachte, als berste es mitten auseinander. Sein Bug hob sich, wie ein steigendes Roß, das seinen Reiter abschütteln will, aber es gehorchte doch dem Steuer. Die nächste hinter uns aufrauschende Woge warf es halb zur Seite, das Bugspriet senkte sich wieder und rasselnd, knirschend, als durchfurche schwerer Stahl kiesiges Gestein, rannte es mitten zwischen zwei fast ganz vermoderten Schiffsleibern auf die fahle, öde, menschenleere Sandspitze.

Der fürchterliche Stoß warf uns nieder, der Boden des Schiffes zerbarst und gurgelnd hörten wir das Wasser in den Raum stürzen. Dennoch verloren wir nicht den Muth. Hüben und drüben, auch vor uns ragten Schiffstrümmer aus ihrem sandigen Grabe. Da lag noch ein halber Rumpf, dort starrte ein Mast, daneben der Kiel eines zerborstenen Fahrzeuges in die Nacht, grell beleuchtet von dem Flackerschein des Feuers, das ein paar hundert Schritte weiter den Dreimaster verzehrte. Jede neue Brandung rollte schwere Seen gegen den Strand, die jedem von ihnen Ergriffenen den Tod drohten. In der Finsterniß der Nacht würde ein menschliches Wesen hier nur durch ein Wunder zu retten gewesen sein.

Uns aber leuchteten die Flammen des vom Blitz getroffenen Schiffes. Bei ihrem Schein konnten wir uns leichter orientiren und die Pausen abwarten, in denen der Strand von den verheerenden Sturzseen nicht berührt ward. Diesem glücklichen Zufalle allein verdankten wir unsere mühselige Rettung. Wir unterstützten uns dabei gegenseitig, so viel wir vermochten, und als das Feuer bereits die Masten gänzlich verzehrt hatte, standen wir, ein erschöpftes Häuflein gänzlich hülfloser Schiffbrüchiger, auf der sturmumtobten, meergepeitschten Sandspitze, vergebens nach dem Orte ausschauend, der uns Obdach gewähren möge.




VI.
Der Priester von Skagenhorn.

Die Wuth des Orkanes nahm noch immer zu und schürte die Gluth des brennenden Schiffes, dessen Mannschaft schon größtentheils um’s Leben gekommen war. Einige Männer nur klammerten sich verzweiflungsvoll an der Schanzkleidung der Backbordseite fest, die den Flammen am wenigsten ausgesetzt war. Hier aber wurden sie ein Spielzeug des Sturmes, der sie jeden Augenblick in die rasende Brandung hinabzuschleudern drohte. Wirklich sahen wir auch innerhalb weniger Minuten drei dieser Unglücklichen auf solche Weise in den aufsprühenden Schaumwirbeln für immer versinken.

Es war ein schrecklicher Anblick, die noch am Bord des Dreimasters hängenden Menschen mit den verzerrten Gesichtern, von den Flammen grell beleuchtet, über ihrem offenen Grabe schweben zu sehen, ohne ihnen in ihrer Noth beispringen zu können. Einer namentlich sah fürchterlich aus. Er saß auf dem Stag des noch stehenden Besaanmastes, und Rauch und Flammen umzüngelten ihn abwechselnd. Der Mann mußte schrecklich leiden, denn dem Anscheine nach versengte ihn die von unten herausschlagende Gluth. Dennoch lebte er und beschäftigte sich noch immer mit Rettungsgedanken.

„Nie sah ich so gräßlich verzerrte Züge,“ sprach Henricksen, der seine Augen eben so wenig, wie ich, von dem Verlassenen abwenden konnte. „Und wie sein langes Haar im Sturme flattert!

„Das Feuer läßt es selbst feurig erscheinen!“ fügte ich noch hinzu.

Da hörten wir ein Krachen, ein wildes Aufschreien – dann senkte sich der Mast leewärts und mit ihm in einem Wogensprühen, das mit den Flammen sich zu vermählen schien, verschwand der Unglückliche unseren Blicken.

An dem Heranlecken der immer höher gehenden See, die erst seit etwa drei Stunden fluthete, gewahrten wir, daß die Stelle, wo wir standen, in kurzer Zeit von den Wogen überspült sein werde. Wir mußten uns deshalb nach einem gesicherteren Orte umsehen.

(Schluß folgt.)




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