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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Felsengrund heranklimmen und dessen Fuß mit breiten Schichten schneeweißen Gischtes überziehen. An vielen Stellen verschwindet das Gestein unter Myriaden von brütenden Seevögeln; die Luft ist mit ihren kreischenden Schaaren angefüllt und das Wasser scheint überall von den größeren Arten zu wimmeln, da die kleineren in der Entfernung verschwinden. Jede höher liegende Felsenplatte ist mit dreizehigen Möven, Alken und Guillemots dicht besetzt, von allen Rasenabhängen haben die Fulmars und Puffins Besitz genommen, während in der Nähe des Wassers auf den nassen, vom Wogenschwall tief ausgehöhlten Klippen Gruppen von Seeraben bewegungslos und aufrecht stehen, gleich unreinen Geistern, welche den Eingang einer dunkeln Zauberhöhle bewachen.

Läßt man einen gewaltigen Steinblock von der Höhe in’s Meer hinabrollen, so entsteht ein gar merkwürdiger Tumult. Vielleicht erschlägt der tückische Marmor zunächst einen unglücklichen, auf seinem Neste brütenden Fulmar, springt dann mit gewaltigen Sätzen und tausendfältige Echo’s erweckend, tiefer und tiefer in den Abgrund, hier gewaltige Furchen in die grasigen Abhänge reißend, dort an vorspringenden Felsennasen zerschellend, und treibt die erschreckten Vogelschaaren auseinander. Ihre aufsteigenden Wolken bezeichnen seinen verderblichen Pfad, bis er endlich, zahlreiche Opfer nach sich ziehend, unter den Fluthen verschwindet. Bald darauf kehren auch die gestörten Felsbewohner zu ihren Ruheplätzen zurück und der ungewöhnliche Tumult verhallt.

In unglaublicher Anzahl brütet der Fulmar auf Saint Kilda und ist für die Eingebornen bei weitem das wichtigste Product ihrer Heimath. Man trifft ihn auf den höchsten Felswänden und nur auf solchen, die mit kleinen grasbewachsenen Abhängen versehen sind. So wie man ihn ergreift, erbricht er ein klares bernsteinfarbiges Oel, welches von den Insulanern als ein Universalmittel gegen alle körperlichen Leiden, vorzüglich gegen chronischen Rheumatismus gerühmt wird, und auch zum Speisen ihrer Lampen dient. Das vorzüglichste wird von den alten Vögeln gewonnen, indem man sie Nachts auf dem Felsen überrascht und ihnen den Schnabel zudrückt. Hierauf läßt man sie ein paar Eßlöffel Oel in den getrockneten Magen eines Baßtölpels ergießen, den man als Behälter braucht.

Es ist besonders im Verfolgen des Fulmars, daß die Vogelfänger auf Saint Kilda ihr Leben so häufig auf’s Spiel setzen. Zwei von ihnen, mit langen Stricken versehen, begeben sich an den Rand des Abgrundes. Hierauf befestigt der Eine das stärkste der mitgebrachten Taue unter seinen Armen und, das Ende eines andern Strickes in die Hand nehmend, wird er vom Felsen hinabgelassen. Sein Gefährte steht von der Kante etwas entfernt, das Tragseil, dessen anderes Ende er ebenfalls um den Leib gebunden hat, mit beiden Händen festhaltend und langsam abgebend, während er das Signaltau unter dem Fuße weggleiten läßt. So wie der Vogler zu einem mit Fulmars besetzten Abhange gelangt, hält er seine Lese, rafft Eier und Junge auf und erschlägt die Alten mit einem kurzen Stocke oder fängt sie mit einer an eine lange schmale Ruthe befestigten Schlinge. Darauf bindet er die Vögel zusammen und sucht eine neue Colonie auf, bis er endlich, reich beladen, sich wieder hinaufziehen läßt.

Die Geschicklichkeit dieser Felsenbewohner ist erstaunlich. Die kleinste Platte genügt ihnen zum Stehen und sie kriechen auf Händen und Knieen, mit Vögeln beladen, die schmalsten Kanten entlang. So groß ist ihre Kraft, daß, wenn der hinabgelassene Vogler einen Fehltritt macht und die ganze Länge des Seiles in die Tiefe stürzt, sein Gefährte durch festes Anstemmen seinen Freund und sich noch rettet. Eine solche Mannesstärke erinnert an das heroische Zeitalter. – Noch Wunderbareres wird erzählt. Eines Morgens ging ein Vogler allein auf den Fang. Nachdem er das Seil oben am Felsen befestigt hatte, ließ er sich hinunter, bis er einen Abhang erreichte, wo er eine reiche Beute zu machen hoffte. Durch ein geschicktes Hin- und Herschaukeln kam er richtig zur Stelle, vergaß aber beim Landen, sich den Strick um den Leib zu binden. Ueber das eifrige Einsammeln entglitt dieser seinen Händen, schwankte einige Male hin und her und blieb endlich unbeweglich 6 bis 8 Fuß vom Abhange frei in der Luft schweben. Einen Augenblick stand der arme Vogler stumm vor Entsetzen da, durch das plötzliche Schreckniß seiner Lage fast aller Besinnung beraubt. Furchtbar war sie in der That: die Steinmassen über ihm senkrecht wie eine Mauer, das Meer unten gegen zackige Klippen anbrausend; keine Möglichkeit, daß aus der Tiefe, bis zu welcher er sich hinabgelassen hatte, sein Hülferuf durch das Wogengeräusch zu den Ohren der Menschen gelangen könnte. Nur eins blieb ihm übrig: ein gräßlicher Sprung konnte ihm das Seil wieder in die Hände geben und ihn retten. Verfehlte er ihn, so war der sichere Tod unfehlbar, aber noch besser dieser, als das langsame Verschmachten auf der Felsenplatte. Er faßte also einen herzhaften Entschluß, murmelte ein kurzes inbrünstiges Gebet, sammelte seine ganze Kraft und sprang in’s Bodenlose hinein. Er lebte, um die That zu erzählen; denn es gelang ihm, das rettende Seil zu greifen und zu den Seinigen zurückzukehren.

Sturmvögel, Lummen, Puffins und Alken kommen ebenfalls in großer Menge auf Saint Kilda vor. Bedenken wir nun, daß an allen Küsten und auf allen Inselgruppen des europäischen Nordmeeres ähnliche Vogelberge sich befinden, – die alle mehr oder weniger von muthigen Jägern ausgebeutet werden – so lernen wir die unendliche Fülle der Natur bewundern, die ein so reiches Leben auf nackte Felsen hinzaubert. Die ungeheuere Menge, in welcher manche Seevögel vorkommen, ist um so erstaunlicher, da viele Arten, wie die Lummen, Alken, Lunde, Fulmars, Tölpel und Puffins, nur ein einziges Ei ausbrüten, welches oft auf dem nackten Felsen in so bedenklicher Stellung liegt, daß man nicht begreift, wie das Bebrüten möglich ist. Seeadler, große Falken, Möven saufen die Eier aus und schleppen die Jungen weg; Lestris catarrhactes füttert seine Jungen sogar fast allein mit jungen Lummen, Alken, Tölpeln und Fulmars; selbst große Fische erschnappen manchen Vogel; Hunderte kommen bei strenger Kälte und in den arktischen Stürmen um; manche Brut geht sogar mit einem Schlage durch die Springfluthen verloren, welche die Eier und noch nicht flüggen Jungen mit sich fortreißen, und wie viel tödtet nicht der Mensch!

Dennoch bleibt ihre Anzahl und ihre Wichtigkeit für den Haushalt der nordischen Insulaner und Küstenvölker unverändert. Aber von ungleich größerer staatsökonomischer Bedeutung, als alles Oel und Fleisch, als alle Federn und Eier der hyperboräischen Vogelrepubliken, ist seit den letzten Jahrzehnten der Guano oder richtiger der Huanu für Europa geworden.

Fast auf allen Inseln und den meisten unbewohnten Vorgebirgen der ganzen Westküste Amerika’s, besonders der intertropischen, kommt dieser unschätzbare Dünger vor; seine ergiebigsten und berühmtesten Fundorte sind aber die Chincha-Inseln in der Nähe von Pisco, ungefähr 100 englische Meilen südlich von Callao, wo er ungeheuere, 50 bis 60 Fuß tiefe Lager bildet.

Die obersten Schichten sind von graubrauner Farbe, die tieferen rostbraun. Der Guano wird allmählich dichter und fester von oben nach unten, ein Umstand, der im zunehmenden Gewicht der oberen Schichten seine Erklärung findet. Bekanntlich wird er von den Excrementen verschiedener Seevögel gebildet, unter welchen Tschudi: Larus modestus (Tsoh.), Rhynchops nigra (Lions), Plotus Anhinga (L.), Pelecanus thayus, Phalacrocorax Gaimardii und albigula (Tsch.) nennt, besonders aber Sula variegata (Tsch.) als den bedeutendsten Huanu-Fabrikanten hervorhebt. Wer jemals die ungeheueren Schwärme dieser Vögel gesehen hat und sowohl die erstaunliche Gierigkeit als die Leichtigkeit kennt, mit welcher sie in jenem fischreichen Meere ihren Hunger befriedigen können, wundert sich nicht mehr über die Größe der Guanolager, welche durch die ununterbrochenen Anhäufungen von Jahrtausenden entstanden sind.

Der frische Guano ist weiß und wird von den peruvianischen Landleuten für den vorzüglichsten gehalten. Man sammelt ihn auf der Punta de Hormillas, auf den Inseln Islay, Jesus, Margarita etc. So wie man die Ausbeutung eines Guanolagers vornimmt, wird die Nachbarschaft von den Vögeln verlassen. Auch will man bemerkt haben, daß sie seit der Zunahme des Handels und der Schiffahrt sich von den Inseln, die in der Nähe der Häfen liegen, zurückgezogen haben.

Die Peruvianer kennen den Gebrauch des Guano’s seit vielen Jahrhunderten, unter den Incas wurde er als ein wichtiger Zweig des Nationalvermögens betrachtet. Es war bei Todesstrafe verboten, die jungen Vögel auf den Guanoinseln zu tödten. Jedes Eiland hatte seinen besondern Inspector und wurde einer bestimmten Provinz zur Benutzung angewiesen. Der ganze District zwischen Arica und Chaucay wurde in einer Länge von 200 nautischen Meilen ausschließlich mit Guano gedüngt. Unter der spanischen Herrschaft verlor das Land viel von seiner früheren Betriebsamkeit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_724.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)