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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Zwar weiß ich nicht, von welchem Standpunkt aus Sie, Herr Doctor, die Sache betrachten und behandeln, ob Sie die fragliche Angelegenheit vom Standpunkte des Geschäftsmannes betrachten, oder ob Sie ritterlich als Menschenfreund das Schwert ziehen für einen Theil der unterdrückten Menschheit, der vor Allem des Schutzes seiner Mitmenschen so sehr bedarf. Ich gehe deshalb, hiervon abstrahirend, zur Sache über, voraussetzend, daß Sie in Bezug auf meine Person eine billige Discretion beobachten werden.

„Die Kost auf der Lindenburg ist nicht zu beschreiben; etwas schmutzige Runkelrübenblätter, blos in Wasser gesotten, war den Armen ein Leckerbissen. Dieser Punkt ist überhaupt haarsträubend; der menschliche Mund kann es nicht aussprechen! Der Hunger, Herr, der Hunger thut weh! Viele der Aermsten verschlangen ihren eignen Koth mit Gier oder suchten aus den Gossen des stinkenden Hofes noch etwas aufzufischen; in der offenen Abtrittsgrube suchten sie ihren Hunger zu stillen. Der Wärter Hermann Schütz ist als der schlimmste Peiniger zu bezeichnen. Dieser Schütz rühmte sich, ein intimer Freund von Lucas Waldenburg (einem hingerichteten Raubmörder aus Köln) gewesen zu sein, auch daß er als Soldat einmal in Berlin mit einem Genossen zwei Polizeidiener, d. h. Constabler, niedergemetzelt habe. Dieser Schütz hat eine Reihe der entsetzlichsten Mißhandlungen verübt. Ein gewisser Kellershoven, aus der Nähe von Siegburg zu Hause, hat die gräßlichsten Mißhandlungen erdulden müssen. Er wurde in dem Folterstuhl aufgehängt und so herzzerreißend geschlagen, daß er an Kopf und Leib mit tiefen Wunden bedeckt war; von unten stach man ihn mit Nadeln und Messern. Das Hülfsgeschrei des Unglücklichen hätte die Stadt Köln alarmiren müssen; aber die Aermsten waren von Gott und den Menschen verlassen. Ich that für die Unglücklichen, was in meiner Macht stand, namentlich an das „Divide et impera“ denkend, wodurch es mir selbst gelang, mich noch zu retten, und dem Hungertode zu entrinnen. Auch Herr H. (Heesmann) würde wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden sein, wenn ich nicht den damaligen Wärter gebunden hätte. Paul Heins ist von dem erwähnten Schütz fürchterlich gefoltert worden; besonders grausam schlug er einen Carl Rabenbrunner von Crefeld todt. Einen Pensionair, E. Dülken, warf er zur Erde und stampfte ihm mit dem Absatze das Gesicht blutig. Man könnte Bände mit diesen Niederträchtigkeiten ausfüllen. Decker von Crefeld, Rohden von Solingen und viele Andere sind auf herzbrechende Weise gefoltert worden. Ein späterer Wärter, Joh. Faust, bat für einen kranken Mann aus Uedem bei Cleve um eine Tasse Thee. Man wies ihn mit harten Worten ab, und der Mann starb hülflos bald nachher.

„Ein Knabe wurde gezwungen, ein ungenießbares Gesudel zu verschlingen, und wurde trotz seiner Schwäche genöthigt, sich bis unter das Dach zu schleppen, wo er am andern Morgen todt im Bette gefunden wurde. Ein Schuster, Kerck, ertränkte sich aus Verzweiflung im Teiche des Gartens, da er kurz vorher seinem Freunde Bergerhaus geklagt, daß er den gräßlichen Hunger und die Mißhandlungen nicht mehr ertragen könne. Man sah einmal einen Verhungernden, wie er zu ersticken drohte, indem derselbe ein Hasengedärm vom Mist genommen und zu verschlingen suchte. Seife war ein Luxusartikel, und war mit den fürchterlichsten Mißhandlungen bedroht, wer es wagte, dergleichen zu verlangen. Die Eßgeschirre waren theilweise grauenhaft sudelig und schmutzig. Wo es einer wagte, zu entfliehen, wurde derselbe zurückgeschleppt und herzzerreißend mißhandelt. Schorn, aus der Gegend von Bonn, machte einen Fluchtversuch, hatte aber das Unglück, von der etwa 20 Fuß hohen Mauer der Anstalt zu stürzen und sich stark die Beine zu verrenken, was aber kein Hinderniß abgab, ihn sofort in den Folterstuhl zu sperren, mit Ketten zu schließen und mehrere Tage ohne Nahrung zu lassen. Auch hing man wohl den Flüchtling oder sonstigen Verbrecher an die Gitterbalken der Käfige, mit Stricken um die Hände, schwebend auf und prügelte ihn dann mit Stöcken. Einem Schilling aus Stolberg wären auf diese Weise einmal bald die Pulsadern durchgeschnitten worden, wie der Augenzeuge Barbier Hein aus Köln bekunden kann. Dümesnil von Köln ist auch namentlich von Schütz fürchterlich mißhandelt worden, der ihm mit dem Stiefelabsatze zwei Löcher in den Kopf schlug. Schult von Frechen wurde blutig geschlagen, da er den Versuch machte, zu entweichen; ein Postillon ist Zeuge davon gewesen. Die Mißhandlungen sind nicht zu beschreiben, die Tendick von Huyn erduldet. Da er einst dem Lennartz sagte, er könne es bei Gott nicht verantworten, wie er die Armen foltere, meinte er, das sei ein Leichtes, das könne er sehr gut verantworten.

„Der alte Diedrich, ein zitternder schwacher Greis, wollte nicht essen; es wurde ihm unter den ärgsten Mißhandlungen eingezwungen; ein Anderer, Gottlieb Linke von Freistadt in Schlesien, ließ sich für ein Stückchen Brod durchprügeln vom Wärter.

„Mit der größten Aengstlichkeit wurde Alles gehütet, was nur irgendwie zum Schreiben dienen konnte, und wer darüber ertappt wurde, hatte die fürchterlichsten Strafen zu erwarten. Wurde einem erlaubt, zu schreiben, so dictirte man ihm, was in den Kram paßte: „es ginge den Patienten sehr gut, und sie hätten sich gar nicht zu beklagen, verlangten auch nicht aus der Anstalt fort.“ Erhielten sie Besuch, so wurde der Mund durch die entsetzlichsten Drohungen geschlossen. Und selbst amtliche Besuche sahen nie das, was hier geschildert ist. Man war in der Regel davon benachrichtigt, und wußte dann schnell zu säubern. Sobald die Herren den Rücken gewandt, ging dann die Wirthschaft wieder ärger los. Mit Lügen, scheinheiliger Verstellung, Maskirungen aller Art half man sich immer durch. Es sind meistentheils Leute, die von habsüchtigen Erben hingeführt werden, da man die gewöhnliche Art zu erben zu langsam und unsicher findet.

„So wie bis dahin die Sachen stehen, ist es möglich und wirklich geschehen, Jeden ohne Ausnahme in eine Irrenanstalt zu sperren, und um Gründe ist man niemals verlegen. Mein Herr! Ich sehe aus Ihrem Artikel, daß Sie gegen Privatanstalten sind. Ich will mir darüber kein Urtheil erlauben, allein ich fürchte fast, daß die Armen, wie man so zu sagen pflegt, „vom Regen in die Traufe kommen möchten.“ Es ist jedenfalls schwierig, eine bestimmt abgegrenzte Definition zu geben von „geisteskrank.“ Für Lennartz ist möglicherweise Jeder geisteskrank, von dem er etwas erpressen kann. Ich meinerseits würde gerade diesen Herrn für geisteskrank halten und es angenehm finden, ihn in einer Anstalt nach seiner eigenen Methode zu behandeln. Herr Doctor, ich bin der Meinung, daß an diesem ein Exempel müsse statuirt werden! Die unschuldigen, grenzenlos mißhandelten Kranken und Gesunden schreien um Rache! Das unschuldig vergossene Blut schreit zum Himmel empor! Herr Doctor, ich lege vertrauensvoll diese Zeilen in Ihre Hände und erwarte, daß Sie geeigneten discreten Gebrauch davon machen werden.

„Adressen: Kentmann in Inden bei Jülich, Steffens in Langerfeld bei Düsseldorf, Joh. Schult in Frechen bei Köln, Springer von Huyn, Schreiber des Lennartz, Wärter Leopold Günther in Siegburg, Franz Joseph Bergerhaus, Abraham Brückner, Wärter Joh. Staudt, Joh. Kellershoven, E. Vogel von Duisburg pp., theilweise noch zu Lindenburg.“
Den 22. September 1858. 
Herrn Doctor Thesmar in Köln.

„Mein Herr, wie Sie aus Beiliegendem ersehen, hatte ich schon am 15. d. M. ein Schreiben gefertigt, in der Absicht, dasselbe Ihnen auf sichererem Wege, als durch Post, zu übersenden. Da ich aber bei meiner völligen Hülflosigkeit in pecuniairer Hinsicht gebunden bin, so lege ich dasselbe auf die Post, obschon ich fast zweifle, daß dasselbe zu Ihnen gelangen wird, indem Sie wahrscheinlich, wie es gewöhnlich Regel, keine unfrankirten Briefe annehmen werden. Zu meinem Bedauern sehe ich, daß Sie mich in einem öffentlichen Blatte genannt haben. Sie hätten dies gewiß nicht gethan, wenn Sie wüßten, was für entsetzliche Dinge dort vorgegangen, die unmöglich veröffentlicht werden können, ohne die Unglücklichen bloßzustellen, die Sie so edelmüthig in Schutz nehmen. Es ist das leider wahr, was dort auf meine Person ist gesagt worden; nur habe ich zu berichtigen, daß ich nicht geschrieen, was mir nichts würde geholfen haben, aber ich habe dem Lennartz gesagt, ich würde ihn anklagen, wenn Marx zurückkäme. Dann muß ich entschieden Verwahrung dagegen einlegen, als ob ich jemals geisteskrank gewesen wäre! Niemals, nicht die Spur! Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie sich persönlich davon überzeugen könnten. Ich stehe nicht an, mit Jedem, der competent in der Sache ist, in die Schranken zu treten. Mein Herr, ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie öffentlich den „völligen Wahnsinn“ auf mein Haupt geschleudert haben! Was ich übrigens hier geschrieben, ist nicht entfernt im Stande, Ihnen ein nur annäherndes Bild von den unmenschlichen Gräueln zu geben, die dort verübt sind. Alles menschliche Gefühl sträubt sich dagegen, es auszusprechen. Die Stadt Köln hat schwere

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