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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Schuld auf sich geladen, daß sie solche Gräuel in ihren Mauern oder deren Nähe geduldet hat. Als ich zuletzt entfloh und hülfesuchend umherirrte durch die Straßen von Köln, wies man mir die Thür, wo ich anklopfte! Ich schüttelte den Staub von meinen Füßen, und verließ die Stadt. Den Weg von Köln nach Xanten habe ich trotz meines schmerzhaften, verrenkten Beines, mich mit der größten Mühe aufrecht haltend, in 48 Stunden zurückgelegt. Ich war nämlich in der Dunkelheit von der Mauer herabgestürzt. Wenn Schmerz und Müdigkeit mich niederzogen, schlief ich wohl zuweilen einen Augenblick auf einem der Kieshaufen der Chaussee ein. Ein solches köstliches Kissen hatte ich lange nicht gehabt. Mein Herr, Sie haben meine Wunde aufgerissen, aber es geschah nicht in böser Absicht. Sie mögen die Thatsachen immerhin öffentlich machen, aber Sie werden gewiß wohl ein wenig die Person berücksichtigen. Es stehen Ihnen gewiß große Mittel zu Gebot; o Herr, Sie haben einen starken Arm. Tröpfeln Sie Balsam in die Wunden der Mißhandelten. Ich spreche nicht für mich. Mit blutendem Herzen mußte ich es ansehen, wie die Unglücklichen zertreten wurden. Man hielt mich auf den geringsten Verdacht in Ketten geschlossen. Hätte ich entkommen können, würde ich Kölner Bürger herbeigeholt haben zu den blutenden Schlachtopfern. Nochmals, Herr Doctor, bitte ich Sie, nicht leichtgläubig zu sein: niemals war ich geisteskrank, niemals wahnsinnig! Das wußte man gewiß gut, und darum suchte man mich auf jede Weise fortzuschaffen. Doctor Canetta hat im Depôt zu Köln die Wunde besichtigt, als ich bei meiner ersten Flucht in Gefangenschaft gerieth. Wenn Doctor Walten nicht zugegen gewesen wäre, würde ich mich in wenigen Secunden verblutet haben. Ich schwebe noch beständig in Gefahr, fortgeschleppt zu werden. So viel wie möglich habe ich mich vorgesehen. Ueberhaupt es lag kein Grund vor, mich in ein Irrenhaus zu sperren. Ich bin auch bereit, jede weitere Auskunft zu geben, wenn es verlangt wird.“

Solche Gräuel zu verüben, und der ewig waltenden Gerechtigkeit Hohn zu sprechen, sollte man auf die Dauer für unmöglich halten, wenn man erwägt, daß die Aufsicht über solche Anstalten nach den Bestimmungen des Gesetzes ausgeübt werden soll:

1) durch den Chefpräsidenten der ressortirenden königlichen Regierung,

2) durch den Regierungsmedicinalrath,

3) durch den ärztlichen Specialcommissar bezüglich der ganzen Pflege und Behandlung der Kranken,

4) durch den königlichen Kreisphysikus des Bezirkes, unter welchem die Anstalt belegen ist, und

5) durch den Bezirkspolizeicommissar;

und dennoch wurden auf der Lindenburg nach der Versicherung zahlreicher classischer Zeugen Jahre lang Unthaten verübt, vor welchen die Feder sich sträubt, sie niederzuschreiben, die sich nur dadurch erklären lassen, daß dieselben in abgeschlossenen Räumen vollzogen wurden, und die königliche Regierung ihr Vertrauen, anscheinend ausschließlich, ihrem Specialcommissar, dem Doctor Hergersberg in Köln, zugewendet hatte.

Niemand, keine Behörde, kein Angehöriger, überhaupt kein Draußenstehender hatte von solchen Gräueln auch nur eine Ahnung. Selbst noch einer Empfehlung Seitens der königlichen Regierung in Köln hatte sich die von Lennartz geleitete Anstalt zu erfreuen, einige Jahre früher, bevor derselbe die Lindenburg übernahm. Das desfallsige Rescript vom 12. Februar 1849 findet sich abgedruckt in dem Stücke 8 des Amtsblattes der königlichen Regierung zu Köln von Dienstag den 20. Februar 1849, und lautet wörtlich, wie folgt:

„Der ehemalige Alexianer-Laienbruder Peter Joseph Lennartz, welcher mit Genehmigung des königl. hohen Ministeriums der Medicinal-Angelegenheiten in dem sehr zweckmäßig gelegenen Stein’schen Garten hierselbst eine Privat-Krankenanstalt in Verbindung mit einer Aufbewahrungsanstalt für unheilbare Irre errichtete, hat die Pension für die auf öffentliche Kosten zu verpflegenden Irren, ohne Unterschied der Art des Irreseins und der etwaigen Complicationen mit andern Krankheiten, einschließlich der ärztlichen Behandlung, Arzneien, Beerdigung und aller übrigen Nebenkosten auf 110 Thaler für das Jahr festgesetzt. Dagegen bleibt der vierteljährlich vorauszubezahlende Pensionsbetrag der Anstalt, wenn der Irre vor Ablauf des Vierteljahres mit Tode oder aus jedwelcher anderen Ursache abgeht. Für die Anschaffung der erforderlichen Kleidungsstücke und Leintücher, wenn dieselben nicht vollständig in natura gestellt werden, sind außerdem beim Eintritte eines jeden Irren in die Anstalt 25 Thlr. zu vergüten. Die Beköstigung für diese letzte Classe der unheilbaren Irren in der Lennartz’schen Anstalt ist derjenigen der Irren-Pflegeanstalt zu St. Thomas gleich.

Da in keiner ähnlichen Anstalt der Rheinprovinz für so geringe Vergütung so viel geleistet wird, als in der Lennartz’schen, so empfehlen wir dieselbe den Gemeinden unseres Verwaltungsbezirkes zur Unterbringung derjenigen unheilbaren Irren, welche nicht füglich in ihren Familien verbleiben können.

Köln, den 12. Februar 1849.

Königliche Regierung.“ 

Noch erwähne ich eines speciellen Falles, der von der unglaublichen Rohheit der Behandlung Zeugniß gibt, welche die Unglücklichen Seitens ihrer unbarmherzigen Wärter zu erdulden haben; die Wahrheit hat in allen Einzelheiten ihre volle Bestätigung gefunden. Im Jahre 1856 wurde gegen Otto Derichs, Gutsbesitzer vom Bochheimer Hofe bei Bergheim, einen achtzigjährigen Greis, welcher auf der Lindenburg untergebracht war, das Interdictionsverfahren eingeleitet. Das mit dieser Klage befaßte Landgericht in Köln verordnete zunächst die persönliche Vernehmung desselben, die nach Vorschrift der Gesetze durch ein committirtes Mitglied des Gerichtes in Begleitung des Staats-Procurators und des das Interdictionsverfahren betreibenden Anwaltes stattfand. Es ergab sich aus der Vernehmung, daß der Unglückliche an einer fixen Idee litt, im Uebrigen aber ganz verständig war. Nach Beendigung des Verhörs stellte der Landgerichtsrath die Frage an den alten Mann, wen er zu seinem Curator wünsche, dessen Zuordnung in solchen Fällen von Gerichts wegen erfolgen muß. Derselbe erklärte, er wolle dies ganz den Herren überlassen; allein er spreche zugleich die dringende Bitte aus, ihn aus dieser Anstalt zu erlösen und in eine Staatsanstalt bringen zu lassen, wobei er namentlich Siegburg bezeichnete. Die Nahrung, so fuhr der alte Mann fort, bestehe für sie in einer Art Brei, der ganz ungenießbar sei. Kurze Zeit vor seiner Vernehmung stand sein zinnerner Becher mit solchem Gemengsel unangerührt vor dem Bette, in welchem er den größten Theil des Tages zuzubringen pflegte, als der Wärter hereintrat und ihn fragte, weshalb er sein Essen nicht verzehrt habe. Auf seine Bemerkung, er habe keinen Appetit und der Brei widerstehe ihm, befahl ihm der Wärter, sein Essen alsbald zu verzehren, denn es solle Niemand sagen, die Leute bekämen nicht satt zu essen. Hierauf gab er ihm eine Viertelstunde Zeit, nach deren Ablauf er wiederkommen und sich überzeugen werde, ob der Brei verzehrt sei. Während seiner Abwesenheit versuchte der alte Mann, seinem Befehle nachzukommen; er konnte jedoch den Ekel nicht überwinden und wollte lieber Hunger leiden, als die ungenießbare Kost hinunterwürgen. Nach Verlauf der Viertelstunde erschien der Wärter, und als er sah, daß der Brei unverzehrt geblieben war, bog er sich mit den Worten, „dann wolle er ihn essen lehren“, über den im Bette liegenden Greis, hielt ihm die Hände fest und ergriff einen hölzernen, Löffel, vermittelst dessen er dem zitternden alten Manne, seines Widerstrebens ungeachtet, den Brei so lange in den Mund brachte, bis der Becher leer wurde. Die Folge war, daß unmittelbar nach dem Genüsse der alte Mann die aufgedrungene Kost auf die Bettdecke wieder ausbrach, worauf der Wärter ihm letztere neuerdings von der Bettdecke in den Mund zu bringen suchte und im Gesicht herumrieb.

Die Mitglieder des Landgerichtes waren über diese unglaubliche Roheit so empört, daß, wie mir einer derselben mittheilte, sofort Anzeige an geeigneter Stelle gemacht wurde. Von einem Resultate ist nichts bekannt geworden. Vielleicht sind meine Gegner im Stande, aus den Acten nähere Mittheilung zu machen, wenn sie nicht zufällig das Blatt, auf welchem es vielleicht zu finden ist, aus Versehen herumschlagen. Vor Beschwerden aber über Ungebühr, die nicht zu Tage liegt, mögen sich die unglücklichen Bewohner dieser Institute wohl hüten, denn die Erfahrung lehrt, daß unter Umständen der Zwangsstuhl mit liebevoller Zusprache oder je nach Befinden ein fünfzehn bis zwanzig Minuten langes Aufhängen an den gefesselten Händen, wobei die Fußspitzen eben den Fußboden berühren, in der Ferne winkt.

Allein leider stehen die Fälle des mangelnden Schutzes vor solchen Eingriffen in die persönliche Freiheit für unsern intelligenten Staat nicht vereinzelt da. Ich will mich darauf beschränken, zum Schlusse das Verhängniß mitzutheilen, das den Kreisgerichtsdirector

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_727.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)