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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

glanzlosem Auge flatterten irre Blicke von Einem zum Andern. Es war doch, als kenne der wüste Mensch nicht nur die Furcht, sondern als werde er sogar bisweilen ganz von ihr gefangen genommen.

„Was kann das sein?“ fragte er den Greis, der mit gefalteten Händen gen Himmel blickte.

„Gott ist es, der sich uns nähert in Feuerflammen, in Windesbrausen und auf Meereswellen!“ gab Sturleson ernst zur Antwort. „Die Fluth schlägt an mein Haus – ich kenne ihre Stimme. Sie wird es zerschmettern, und die aufgehende Sonne wird auch uns als entseelte Leichname auf dem Meere treiben sehen!“

Welche Veränderung bei diesen Worten des Greises in dem Antlitze des ruchlosen Räubers – denn dafür mußten wir ihn allesammt halten – vorging, ist nicht zu beschreiben. Sein Muth war dahin, sein freches Lachen verstummte. Er zitterte, wie ein hinfälliges, lebensmüdes Mütterchen. Seine Augen rollten und stierten dann wieder glanzlos in’s Leere, und wenn das verhängnißvolle Dröhnen des anschlagenden Schwalles sich wieder hören ließ, bebte er zusammen.

Durch die Ritzen der Fenster träufelte nach jedem solchen Schwalle Wasser, rieselte an den Wänden nieder und überströmte bald auch den Zimmerraum. Niels Sturleson hatte die Wahrheit gesprochen. Die Heftigkeit des Sturmes thürmte die Wogen des Meeres zu ungewöhnlicher Höhe auf, und wir Alle mußten uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß uns diese schreckenvolle Nacht doch wohl noch den Tod geben werde.

In so ernsten Augenblicken ist der echte Seemann ruhig und sieht ergeben seinem Schicksale entgegen. Retten konnten wir uns nicht, wenn das schwache Backsteingebäude von dem Anprall der Wellen zerschlagen ward. Eine sicherere Zufluchtsstätte gab es für uns nicht, wenn es nicht möglich war, den höheren und festeren Thurm der Kirche zu erreichen.

Unser Capitain trat mit dem Vorschlage hervor, diesen Versuch zu machen.

Niels Sturleson schüttelte sein Silberhaupt.

„Es würde fruchtlos sein,“ sprach er. „Die Kirche liegt gegen achtzig Schritt von hier entfernt, und zwischen diesem Hause und ihr wälzt sich jetzt schon ein reißender Meerstrom. Empfehlen wir unsere Seelen Gott, ersteigen dann das Dach und erwarten da, was der Allmächtige über uns verhängt hat!“

Er bedeutete uns, niederzuknieen. Wir folgten Alle seinem Winke. Auch der Mann mit den vielen Namen sank halb betäubt in die Kniee. Niels Sturleson sprach nun mit erhobener Stimme ein Gebet, das wir andächtig wiederholten. Der Fremde lallte nur, während ihm die Zähne klapperten.

(Schluß folgt.)




Eine Rattenschlacht.

In dem Glauben, daß ich schon Alles kenne, was London Interessantes in sich schlösse, machte ich mich eben zur Abreise bereit, als mein gefälliger Cicerone, Mr. Thompson, mich fragte, ob es mir vielleicht angenehm wäre, mit anzusehen, wie Ratten von Bullenbeißern erwürgt würden; und als er das Erstaunen und den Widerwillen bemerkte, mit welchem ich seinen Vorschlag anhörte, setzte er hinzu:

„Sie haben in der That einen sehr feinen Geschmack, mein Herr; indessen gehört gerade dieser Zeitvertreib zu den Unterhaltungen, die von den geachtetsten Leuten unserer Stadt gesucht werden!“

Dieser Ueberredungsgrund bestimmte mich, und außerdem war ich überzeugt, daß meine Anwesenheit keiner einzigen Ratte mehr als sonst das Leben rauben würde.

Ich machte es nun ganz so, wie Mr. Thompson, ich zog einen schlechten Kittel an und bedeckte mein Haar mit einer schottischen Mütze. In diesem Aufputz lenkten wir unsere Schritte nach den finstersten Straßen und den ungesundesten Quartieren des bevölkertsten Stadttheiles, nicht weit vom Tunnel.

„Die Polizei,“ so sagte mir Mr. Thompson, „widersetzt sich allen Vergnügungen dieser Art, und aus diesem Grunde suchen dieselben nur da ihren Schauplatz aufzuschlagen, wohin jene ihnen kaum zu folgen vermag.“

Wir traten in ein erbärmliches Haus ein, wo eine Frau, die sonst beinahe ohne alle Kleidung, aber doch mit dem unvermeidlichen schmutzigen Hute versehen war, einigen am Tische sitzenden Männern Branntwein einschenkte; sie wies uns mit einer Handbewegung, ohne daß sie sich erst die Mühe nahm, uns anzusehen, nach dem Schauspielsaale, welcher von dem traurigen Scheine der in seiner Mitte aufgehangenen Lampen etwas eingeräuchert war. Der Sandplatz, welcher unter der Beleuchtung war, bildete ein Viereck von ungefähr zwölf Meter im Umfange, und war mit einer aus Planken fest zusammengefügten Scheidewand, ein Meter hoch, umgeben.

Der Director des Etablissements, ein kräftiger Mann mit rothen Haaren, erwartete mit Gleichmuth sein Publicum; er saß vor der Hand auf einem Kasten, welcher eine Anzahl von 50 Ratten enthielt, und diese Thiere liefen in der größten Unordnung in ihrem engen Gefängnisse umher.

„Aber woher,“ rief ich aus, „so viel Ratten, um den Verlust, der sich täglich wiederholt, auszugleichen?“

„Man verschafft sich dieselben,“ antwortete mir Mr. Thomson, „bei den armen Leuten, deren einziger Erwerbszweig darin besteht, daß sie diesen Thieren gestatten, sich in ihren Häusern möglichst zu vermehren; und zu diesem Zwecke ist es auch nöthig, sie gut mit Futter zu versehen, damit sie sich nicht etwa unter einander selbst auffressen. Und ihr Unterhalt ist nicht theuer, denn so viel man weiß, sind diese lustigen Thierchen nicht eben sehr schwierig in der Wahl ihrer Nahrungsmittel.“

Während dieser Auseinandersetzung sahen wir acht bis zehn Herren von vornehmem und ernstem Gesichtsausdrucke eintreten und uns gegenüber Platz nehmen; sie waren aber alle gekleidet wie gemeine Leute.

Mr. Thompson neigte sich an mein Ohr und sagte: „Unter den Neuangekommenen ist der Herr mit den weißen Haaren, der schottischen Mütze und dem grünen Mäntelchen Lord G…; der Herr links von ihm ist Lord S… Die andern Zuschauer sind mir zwar unbekannt, aber nach ihrem vornehmen Benehmen und nach der Ungezwungenheit zu urtheilen, mit welcher sie zu den Lords reden, müssen sie eine hohe Stellung bekleiden.“

„In diesem Falle,“ meinte ich, „ist das Glück des Rattenmannes sicher gemacht …“

„Sie glauben doch nicht,“ erwiderte Mr. Thompson, „daß unsere Lords sich von andern Menschen unterscheiden, die nur dann großmüthig sind, wenn die Oeffentlichkeit sie für ihre Edelthaten mit Ruhm bezahlt? Diese Herren werden wie wir sechs Pence für jeden Rattenkopf bezahlen, mehr nicht!“

In diesem Augenblicke trat der Mann in den Circus ein, verschloß die Thüre desselben sorgfältig, und zog den Boden des Rattenkäfigs, den er zwischen seinen Händen hielt, heraus, so daß die darin befindlichen Schlachtopfer auf den Erdboden herabstürzten. Das gab ein unerhörtes Durcheinander; die unglückseligen Ratten durchstöberten den ganzen Raum des Sandplatzes, in der Hoffnung, einen Ausweg zu finden, und rannten in schrecklicher Weise an einander; man hätte glauben mögen, sie hätten eine Art von Vorahnung ihres gräßlichen Endes empfunden. Ich fragte mich im Stillen, welches Vergnügen Jemand an diesem barbarischen Schauspiel finden könnte, welches nur den Anblick eines plötzlichen Hinwürgens ohne einen möglichen Kampf darböte; zugleich aber lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf die Zuschauer, welche der Elite einer Nation angehörten, die auf ihre humanen Gesetze stolz ist.

Unterdessen setzten die Ratten mit der Unordnung, die eine Folge des Schreckens war, ihre früheren Entdeckungsreisen fort. Einige von ihnen indeß schienen weniger aufgeregt und beschnoberten einander, wo sie sich trafen, so daß es fast schien, als wollten sie sich gegenseitig guten Rath geben oder auch auf ewig Abschied von einander nehmen, denn bereits ließ sich das Gebell der Hunde vernehmen. Da fielen uns drei Ratten in die Augen, die sich nicht von der Stelle bewegten, sondern sich eng an einander drängten und in gerader Linie aufstellten, wie zur Musterung. Die größte von ihnen, die in der Mitte zwischen den andern saß, schien von dem ganzen Lärm unberührt zu bleiben; ihre gebleichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_732.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2022)