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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sie nur recht freundlich gegen die Leute sein müsse, wenn es ihr auch nicht so um’s Herz sei. Caroline sagte mir dies und daß sie darauf erwidert: dies wäre ja geheuchelt und „heucheln könne sie nicht,“ sie wolle lieber „den ganzen Tag ein Gesicht machen.“ (Provinzialismus für: ein unfreundliches Gesicht machen.)

26. Mai. Caroline gab mir heute wieder zu, daß sie sich jetzt immer glücklicher fühle, nur erfahre sie so viel Unangenehmes im Leben. So wisse sie auch jetzt, daß die Menschen lügen könnten! „Daß die Menschen so lügen können und auch betrügen,“ setzte sie mit ganzem Unwillen hinzu, „das thut mich so empören!“

10. Decbr. Daß ich gestern Carolinen des Mangels an Vertrauen zu mir beschuldigte, hat sie, wie sie mir heute gestand, in eine außerordentliche Betrübniß versetzt. Darüber äußerte sie mir heute, noch immer tief betrübt: „Ich mußte Sie verstehen, als glaubten Sie, ich hätte mein Wohlwollen und Vertrauen zu Ihnen erheuchelt. Ich heuchle nicht, die scheinheiligen Menschen sind mir selbst zuwider, und weil Sie glauben, ich wäre auch so, wie die scheinheiligen Menschen, deshalb bin und war ich so unglücklich, daß ich gestern Abend bis ein Uhr weinen mußte. Ich habe geglaubt, mein Herz ging in lauter Stückchen; noch nie war ich so unglücklich!“

An gelegentlichen schönen, sinnigen Phrasen hat es ihr überhaupt nie gefehlt. So sagte sie Herrn Eck oft, ihr „stolzes“ Herz könne es nicht ertragen, sich von andern Leuten erhalten zu wissen; sie sei gesund, wolle und könne arbeiten und ihr Brod selbst verdienen. Zuweilen war ihre Sprache auch blumenreich und sententiös; so schrieb sie einmal an ihre Frankfurter Beschützerin u. A.: „Gleig (gleich) dem Garten sehe ich recht des Menschen Leben. Wie der Gärtner die Blumen pflegt das sie an Wachstum und schönheit zunemen So müßen auch die Kindlein gepflegt werden, das auch sie an Körper und Geist zunemen. Auch ich bin gepflegt worden an Körper aber nicht an Geist und Gemüht das ist still und ruhig geblieben. Darum ist mein Gemüht so empfindlich das ich manches zu dulten habe. Gute Frau Sie werden manchen fehler finden aber ich hoffe Ihre Liebe zu mir wird es mir zu gut halten.“

Ganz aus diesem Gesichtspunkte beurtheilte sie eben Herr Eck, und seine Besorgnisse um ihre zarte Behandlung mehrten sich, als sie ihm gelegentlich Andeutungen fallen ließ, die er auf Flucht- oder Selbstmordgedanken beziehen konnte. So wußte sie ihm eines Tages eine Art letztwilliger Verfügung in die Hände zu spielen. Mit solchen Taktiken und mit ihren Thränen hatte sie viel Macht über ihn. In Bezug auf die Schwächen ihrer Umgebung hatte sie überhaupt einen außerordentlich scharfen Blick, dem nichts so leicht entging. Wie sehr sie es aber verstand, mit schönen Gefühlen zu kokettiren, beweist u. A. auch folgender Fall:

Eines Sonntags erschien sie äußerst betrübt nach dem Gottesdienst. Als man sie darum befragte, erklärte sie dies damit, daß der Pfarrer heut gepredigt habe, nach dem Tode würden die Guten belohnt, die Bösen bestraft; und nun werde sie ihre Mama, die nicht gut an ihr gehandelt, doch schwerlich im Himmel wiedersehen!! Und darüber betrübte sie sich herzinniglich!!!

Am 2. Januar sprach Caroline gegen ihren Lehrer die Bitte aus, ihn ferner „Papa“, seine Frau „Mama“, seine beiden Kinder „Bruder“ und „Schwester“ – sie Alle „Du“ nennen zu dürfen, was ihr auch gern zugestanden wurde. Sie äußerte darauf, daß sie jetzt in Hinsicht ihrer wirklichen Eltern keinen Wunsch mehr habe. „Ich habe ja meinen Papa und meine Mama gefunden. Meine Freude ist jetzt so groß, daß sie mich mehr drückt, wie ein Leid; lassen Sie mich jetzt nicht sprechen!“

Indeß, die Wahrheit des Spruches: „Der Frosch hüpft wieder in den Pfuhl, und säß’ er auch auf goldnem Stuhl!“ sollte sich auch an ihr erfüllen. Nachdem sie Herrn Eck schon öfter ihre Absicht kundgegeben, im K.’schen Hause nicht länger bleiben zu wollen, von ihm aber immer wieder zum Bleiben gedrängt worden war – verließ sie es eigenmächtig in der Frühe des 5. Mai 1857.

Und wohin wandte sie sich? In’s Gefängniß zu ihrer Deutsch-Mama zurück, mit der sie auch in der Zwischenzeit stets lebhaften Verkehr unterhalten, und der sie stets eine besondere Anhänglichkeit bewahrt hatte. Da ihre Rückkehr in’s K.’sche Haus nicht mehr wohl zu bewerkstelligen war, so ließ man sie bei ihrer Deutsch-Mama bis zum 21. October, wo sie dann bei der Familie eines Damenschneiders neuerdings in Kost gegeben wurde.

Die selbstständige Entfernung aus dem K.’schen Hause schadete ihr ungemein in den Augen aller Wohldenkenden. Doch mochte sie Herr Eck um deswillen nicht schon gleich aufgeben. Er veranlaßte sie auch zu der Bereiterklärung, die K.’s um Verzeihung zu bitten, worauf diese jedoch gern verzichteten.

Noch ein Mal sollte sie die Oeffentlichkeit bewegen – das letzte Mal!

Seit Mitte August 1857 war der Religionsunterricht des Mädchens aus Eck’s Händen in die eines würdigen protestantischen Geistlichen übergegangen, der sie nunmehr für ihre bevorstehende Aufnahme in die Christenheit – durch die Taufe – und in die evangelische Kirche – durch die Confirmation – vorbereiten sollte. Für diese Kirche hatte sie von Anfang an eine entschiedene Vorliebe bekundet, sich dagegen über gewisse Ceremonien und Bräuche der römisch katholischen Kirche (Ablaß, Knieen, Bekreuzigen, Anrufung der Heiligen etc.) so entschieden verächtlich und wegwerfend geäußert, daß dies einigermaßen auffiel, und um so mehr, als ihr bisher weder durch ihren Lehrer, noch durch ihre Umgebung derartige confessionelle Sympathien und Antipathien irgend eingeflößt worden waren.

Im Januar 1858 erschien aus uns unbekannter Feder der Artikel über Caroline in der „Gartenlaube“, und dieser Artikel hätte fast noch dem Schicksale unserer Heldin eine ganz andere Wendung gegeben. Ein wackerer und humaner Mann in einer großen Stadt Böhmens hatte sich nämlich dadurch für Carolinens Schicksale so sehr theilnehmend anregen lassen, daß er sich sofort mit ihrem Lehrer in Correspondenz setzte und den ernsten Willen kundgab, für ihre Zukunft etwas Entschiedenes zu thun. Die Eröffnung dieser Correspondenz geschah im März 1858 und Anfangs Juni trat er bestimmt mit folgenden Vorschlägen auf: Als verheiratheter, aber noch nicht mit Kindern gesegneter Mann in den besten Jahren und zugleich im Besitz eines sicheren und unabhängigen Vermögens erklärte er sich, im Einverständniß mit seiner Frau, bereit, Caroline wie „eine liebe und gute Schwester“ bei sich aufzunehmen, ihr in seinem Hause eine neue Heimath zu begründen, wo sie des Lebens Freud’ und Leid mit ihnen theilen solle; und für den Fall seines oder seiner Frau Ableben würde ihr eine feste, lebenslängliche Rente von 100 fl. C.-Mze. hypothekarisch sicher gestellt werden, wenn man sich nicht vielleicht im Laufe der Zeit veranlaßt sähe, noch mehr für sie zu thun.

Dies waren in Kurzem die Anerbietungen, welche der Ehrenmann in Bezug auf Caroline machte und die gewiß der höchsten Anerkennung werth sind. Aus jeder Zeile seiner Briefe spricht das edelste Wohlwollen, der uneigennützigste Edelmuth, das reinste Mitleid und zugleich eine Bildung, die das Beste für Carolinens Zukunft aus dem Umgange mit einem solchen Manne hoffen ließ. Von ihr verlangte er nur, daß Herz und Gemüth noch unverdorben und ihre Gestalt und Züge, wenn auch nicht eben schön und regelmäßig, doch auch nicht mißfällig, und insbesondere der Gesichtsausdruck nicht ohne geistiges Leben sei. Inwiefern Caroline diesen Anforderungen entsprach oder nicht, bleibe dem Leser nach dem Bisherigen selbst zu entscheiden anheimgestellt. Herr Eck, der sich natürlich verpflichtet fühlte, die sich seinem Schützling bietende Aussicht in eine freundliche Zukunft möglichst realisiren zu helfen, der aber doch, bei aller Vorliebe für dieselbe, sich gewisse Bedenken nicht verhehlen mochte, Herr Eck war so gewissenhaft, jenem Menschenfreunde im „beiderseitigen“ Interesse vorzuschlagen: Carolinen erst auf einige Zeit zur Probe in sein Haus zu nehmen, bevor er sich endgültig über sie entscheide; ein Vorschlag, der auch andererseits volle Zustimmung fand. Wie sehr sich der treffliche Mann dabei auf den rein menschlichen Standpunkt erhob, beweise unter Anderem die Thatsache, daß er bei seinen Bedingungen die religiöse, resp. confessionelle Seite auch mit keiner Sylbe berührte!

Als Herr Eck Carolinen die erste Mittheilung von dem ihr bevorstehenden Glücke machte, rollten, wie gewöhnlich, reichliche Thränen über ihre Wangen, Seine Frage, ob sie auf das gütige Anerbieten eingehe, bejahte sie entschieden. Weiter äußerte sie ihre Meinung dahin: „Ich zweifle nicht, daß ich die Leute liebgewinne; das sind ja so gute Menschen, daß ich sie jetzt schon liebe. Und wenn man weiß, daß man so liebevoll aufgenommen wird, wie diese Leute schreiben, so muß man ja, man kann nicht anders, diese Liebe mit Liebe erwidern. Darauf, wie man behandelt wird, kommt Alles an!“ Auf Herrn Eck’s Veranlassung schrieb sie auch sogleich ohne alle Beihülfe in diesem Sinne an das ihr so geneigte Ehepaar nach Böhmen. Ihre Reise dorthin sollte stattfinden, sobald sie durch ihre bevorstehende Confirmation (bei welcher Gelegenheit sie zugleich zum ersten Male das Abendmahl empfangen sollte) in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_735.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)