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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


No. 1.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Er betet.
Erzählung von J. D. H. Temme, Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder“.


I.
Der Richter.

In dem Sitzungssaale des Gerichtshofes herrschte eine tiefe Stille. Der Gerichtshof war als Criminalgericht der zweiten und letzten Instanz versammelt. Er hatte über eine Capitalsache zu Recht zu sprechen. Die beiden vorschriftsmäßigen Relationen waren verlesen. Beide Referenten hatten das Todesurtheil beantragt. Ob auf den Tod erkannt werden solle, hatte der Gerichtshof zu entscheiden.

Ein Urtheil über Leben und Tod ist wohl geeignet, eine feierliche Stille hervorzurufen. Der Unbetheiligte schon horcht ihr mit Spannung entgegen, und es schweigen alle anderen Gedanken und Gefühle, es schweigen selbst die Leidenschaften in ihm unter dem einen brennenden Gefühle der Erwartung. Wie ist es erst dem Richter, der über das Leben, über den Tod seines Nebenmenschen die Entscheidung fällen soll, wie ist es erst ihm ein Bedürfniß, sich zu sammeln, alle anderen Gedanken, alle anderen Gefühle in seinem Innern verstummen zu lassen, um mit klarem Kopfe, aber auch mit warmem, menschlichem Herzen sich prüfen und dann urtheilen zu können, was das Gesetz, was das Recht von ihm fordert, unabweislich von ihm fordert!

Wie war das Alles in erhöhtem Grade so, in dem Falle, über welchen der Gerichtshof zu Gerichte saß!

Sein Urtheil war das letzte in der Sache. Von ihm fand keine Berufung, kein Rechtsmittel weiter statt.

War es ein Todesurtheil, so war auch im Wege der Gnade keine Aenderung, keine Milderung zu erwarten. Der Regent des Landes huldigte einer streng religiösen Richtung, jener Richtung, die ausspricht: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. Der Regent, der dem durch den schwächlichen Act, den man Gnade nennt, wehren wollte, ladet die Blutschuld auf sein Haupt." Er hatte noch nie ein von den Gerichten des Landes erlassenes Todesurtheil gemildert. Wurde in dem vorliegenden Falle ein Todesurtheil ausgesprochen, keine Macht der Erde – das war vorauszusehen – hätte den Monarchen zu einer Begnadigung bewegen können.

Es lag ein Vatermord vor.

Und doch, wie eigenthümlich waren die Umstände des Verbrechens! Besonders für die Angeklagte, um deren Todesurtheil allein es sich noch handelte!

Ein früher wohlhabender Bauer war dem Trunke ergeben gewesen. Er hatte dadurch sein Vermögen zu Grunde gerichtet und in der Betrunkenheit seine Frau und seine Kinder gemißhandelt. Die Frau hatte hintereinander fünf Kinder todt geboren. Der Tod der Kinder war die Folge der unbarmherzigen, der entsetzlichen Mißhandlungen, die sie von ihrem Manne erlitten hatte.

Sie war freilich ein rohes Weib. Die fortwährend barbarische Behandlung machte sie tückisch. Sie faßte einen unauslöschlichen Haß gegen ihren Mann, eine unwiderstehliche Begierde, sich von ihm zu befreien. Der Gedanke, den Mann zu ermorden, wich bald nicht mehr aus ihrer Seele; der Mordplan reifte in ihr. Sie traf mit einer listigen, heimtückischen und beharrlich zähen Bosheit, wie man sie in den Verbrecher-Annalen selten findet, die Vorbereitungen zur Ausführung.

Ihre älteste Tochter war mit im Hause; sie war ein Mädchen von neunzehn Jahren, schön, von beschränktem Verstande, völlig ungebildet, selbst von dem gewöhnlichen Religionsunterrichte fern gehalten, unter dem Eindrucke des ewigen Unfriedens im Hause, der Scenen der Rohheit und Gemeinheit zwischen ihren Eltern, der barbarischen Mißhandlungen, die ihre Mutter von dem Trunkenbolde zu erleiden hatte und die sich nicht selten auch auf sie mit erstreckten, unter solchen Eindrücken stumpf und gefühllos geblieben. Dieses Mädchen, die eigene Tochter, sollte dem Weibe zum Werkzeuge für den Mord ihres Mannes dienen.

Sie lockte einen jungen Mann von einundzwanzig Jahren, einen Wagnergesellen aus dem Dorfe, in ihr Haus, einen unerfahrenen, aber leichtsinnigen Menschen. Sie hatte kaum nöthig, ihn anzuregen, ihm Gelegenheit zu verschaffen, daß er eine heftige Leidenschaft für ihre Tochter faßte. In dem Herzen des Mädchens wußte sie eine nicht minder leidenschaftliche Neigung zu dem hübschen jungen Manne anzufachen. Dann riß sie die beiden jungen Leute auseinander. Dann brachte sie sie wieder zusammen, zeigte sich ihrer gegenseitigen Liebe geneigt und stellte ihnen ihre Verbindung in Aussicht, die aber, da auch der junge Mensch arm sei, nicht eher erfolgen könne, als bis ihr Mann nicht mehr am Leben wäre.

„Ist der erst todt, so trete ich Euch die Hälfte des Hauses und des Gutes ab,“ sagte sie.

So hatte sie ihre Leidenschaft auf das Höchste gesteigert; so hatte sie als einziges Hinderniß der Befriedigung aller Wünsche der jungen Leute ihren Mann, als den Augenblick der Verbindung, des Glückes jener den Augenblick seines Todes ihnen gezeigt. Und der Bursch war leichtsinnig und das Mädchen ohne anderes Gefühl, als die Liebe zu dem jungen Menschen, welche die eigene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2019)