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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Preußische Licht- und Schattenbilder.
Ein Schattenbild.
1. Die Gräfin Lichtenau.

Friedrich der Große war todt; der unsterbliche König hatte die Regierung seinem Neffen, Friedrich Wilhelm dem Zweiten, hinterlassen. Der neue Monarch zeichnete sich durch eine Gutmüthigkeit aus, welche geradezu an Schwäche grenzte. Günstlinge und Frauen gelangten jetzt zu einem bedeutenden Einfluß und mißbrauchten die Nachgiebigkeit seines lenksamen Charakters. Es herrschte damals in Berlin und besonders am Hofe ein leichter und frivoler Ton, der mit der französischen Bildung Hand in Hand ging. Pariser Sitten oder vielmehr Sittenlosigkeit hatte die deutsche Ehrbarkeit verdrängt. Die Schriften Voltaire’s und Diderot’s, die ausschweifenden Romane des jüngeren Crebillon waren in jedem Boudoir zu finden und streuten ihren giftigen Samen aus. Der große König selbst hatte eine Richtung befördert, die in allen Schichten der Gesellschaft um sich griff und das Leben der Familie an seinen Wurzeln anzutasten drohte. Er selbst lebte zwar zurückgezogen in Sanssouci, sparsam und jedem Vergnügen fern, aber er konnte es nicht hindern, daß ein großer Theil des Hofes und darunter sein Nachfolger dem französischen Einflusse, den Friedrich der Große durch seine Vorliebe für diese Nation heraufbeschworen, mehr oder minder unterlag.

Wie Paris unter Louis XV., so hatte auch Berlin seine petites maisons, seine Orgien, seine Roué’s und leichtsinnigen Frauen.

In ihrem Palaste unter den Linden wohnte die Favoritin des Königs, die Gräfin Lichtenau. Sie war die Tochter des Kammermusikus Elias Enke, der unter ziemlich dürftigen Verhältnissen lebte. Die kleine, vierzehnjährige Wilhelmine wohnte bei einer älteren Schwester, die Ballettänzerin war und von der sie zu allerlei niederen Dienstleistungen gebraucht wurde. Dort lernte sie der damalige Kronprinz kennen, als sie eines Abends von ihrer Schwester mißhandelt wurde, weil sie sich geweigert hatte, bei schlechtem Wetter und in dunkler Nacht noch einen weiten Weg für dieselbe zu gehen. Der mitleidige Kronprinz nahm sich des armen Kindes an und führte Wilhelmine zu ihren Eltern zurück, indem er ihnen anbefahl, auf seine Kosten für ihre angemessene Erziehung Sorge zu tragen. Die zwar nicht auffallend schöne, aber reizende Kleine zeigte viele natürliche Anlage und überraschte ihren Wohlthäter, der sich von Zeit zu Zeit nach ihren Fortschritten erkundigte, durch ihre Liebenswürdigkeit, Grazie und eine Dankbarkeit ohne Grenzen. – Bald verwandelte sich diese Dankbarkeit in ein anderes Gefühl, und aus dem kleinen, unbedeutenden Mädchen wurde die Geliebte eines Fürsten.

Dies Verhältniß war anfänglich nicht ohne einen romantischen Hintergrund; es herrschte darin eine gewisse Sentimentalität vor, wie sie häufig in jener Periode angetroffen wurde, wo eine raffinirte Sinnlichkeit mit schwärmerischer Ueberschwenglichkeit Hand in Hand ging. Es war die Zeit der Siegwarte und Werther’s, eine Mischung von Frivolität und Gefühlsschwelgerei, die Zeit, wo Rousseau das neue Evangelium der Natürlichkeit und Einfachheit verkündigte, was ihn nicht abhielt, seine eigenen Kinder in ein Findelhaus zu schicken; die Zeit, wo in der Liebe wie in der Religion die größte Verwirrung herrschte, und die größte Sinnlichkeit neben dem feinsten Idealismus, die seichteste Aufklärung neben dem gröbsten Aberglauben bestehen konnte.

Auch das Verhältniß des Kronprinzen zu seiner Geliebten trug den eigenthümlichen Stempel jener Periode. A la Rousseau ließ er es sich angelegen sein, die glücklichen Anlagen Wilhelminens auszubilden, er selbst ertheilte ihr Unterricht und wurde ihr Lehrer in Geschichte und Geographie, die seine Stärke war, so daß er mit geschlossenen Augen ihr alle Städte, Flüsse und Gebirge auf der Landkarte zeigen konnte. Er las mit ihr die besten älteren und neueren Schriftsteller, Homer und Virgil in französischer Uebersetzung, die neue Heloise von Rousseau und Shakespeare’s Dramen in der damals berühmten Uebertragung von Eschenburg. Wie lachten Beide über den dicken Falstaff, der eine Lieblingsfigur des Kronprinzen war und dem dieser als nachmaliger König an Leibesumfang immer ähnlicher wurde!

Die überraschenden Fortschritte der reizenden Schülerin steigerten die Leidenschaft des fürstlichen Liebhabers zu einem so hohen Grade, daß er sich zu wahrhaft poetischen Betheuerungen seiner Neigung hinreißen ließ. In einer solchen Stunde schnitt er sich in einer Anwandlung romantischer Zärtlichkeit mit dem Federmesser, das er gerade in der Hand hielt, in den Ballen der linken Hand und schrieb mit dem austräufelnden Blute auf ein Blatt Papier:

„Bei meinem fürstlichen Ehrenwort, ich werde Dich nie verlassen. Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen.“

Hierauf verlangte er ein gleiches Versprechen, mit ihrem Blute geschrieben. Leidenschaftlich ergriff sie das Messer und schnitt so tief damit, daß das strömende Blut sich kaum stillen ließ und nach dreißig Jahren noch eine Narbe zu sehen war.

Dem großen Friedrich war indeß das verliebte Treiben seines Thronfolgers und Neffen nicht entgangen; er pflegte in solchen Dingen kurzen Proceß zu machen. Bei einer seiner gewöhnlichen Morgenpromenaden traf er mit Wilhelmine zusammen; es folgte eine scharfe Strafpredigt mit obligater Bewegung des bekannten Krückenstockes. Durch eine schnelle Verheirathung glaubte der resolute König das ihm anstößige Verhältniß zu unterdrücken. Auf seinen Befehl mußte Wilhelmine ihre Hand dem Kammerdiener des Kronprinzen, Namens Rietz, reichen, was auch sofort geschah, da der strenge Herr keinen Widerspruch ertrug und in solchen Dingen keinen Spaß verstand. – Dieser Rietz war der Sohn eines königlichen Gärtners, dem Thronfolger überaus ergeben, eine echte Lakaiennatur, der sich von dem Gebieter mißhandeln ließ, wenn er nur dabei seinen Vortheil fand. Für die Schläge und Püffe, welche der zum Jähzorn geneigte, aber von Herzen gutmüthige Kronprinz ihm gab, wußte er ihn durch Geschenke und Gunstbezeigungen aller Art zu entschädigen.

Sein Genuß bestand im Essen und Trinken, in der Befriedigung seines Hochmuths und im Sammeln eines Capitals für’s Alter. Charakteristisch ist die Schilderung, welche Goethe von diesem Rietz entwirft, mit dem ihn der Zufall während des Feldzugs in der Champagne zusammenführte.

„An der langen, sehr besetzten Wirthstafel,“ schreibt der berühmte Dichter, „saß ich an einem Ende, der Kämmerer des Königs von Preußen, Rietz, an dem andern, ein großer, wohlgebauter, breitschultriger, starker Mann, eine Gestalt, wie sie dem Leibdiener Friedrich Wilhelm des Zweiten ganz wohl geziemte. Er mit seiner nächsten Umgebung waren sehr laut gewesen, und standen frohen Muthes von der Tafel auf; ich sah Herrn Rietz auf mich zukommen, er grüßte mich zutraulich, freute sich meiner langgewünschten, endlich gemachten Bekanntschaft, fügte einiges Schmeichelhafte hinzu und sagte sodann: ich müsse ihm verzeihen, er habe ein persönliches Interesse, mich hier zu finden und zu sehen. Man habe gegen ihn bisher immer behauptet, schöne Geister und Leute von Genie müßten klein und hager, kränklich und vermickert aussehen, wie man auch dergleichen Beispiele genug angeführt. Das habe ihn immer verdrossen, er glaube doch auch nicht auf den Kopf gefallen zu sein, sei aber dabei gesund und stark und von tüchtigen Gliedmaßen, aber nun freue er sich, an mir einen Mann zu finden, der doch auch nach etwas aussehe, und den man deshalb nicht weniger für ein Genie gelten lasse. Er freue sich dessen, und wünsche uns Beiden lange Dauer eines solchen Behagens.“

So war der Mann beschaffen, welcher auf Befehl Friedrich des Großen Wilhelmine heirathen mußte. Die gute Absicht des Königs wurde durch diese Scheinehe keineswegs erreicht, indem das Verhältniß zwischen dem Thronfolger und seiner Geliebten demungeachtet fortdauerte.

Kaum aber hatte der erhabene Monarch seine Augen geschlossen, so gewann die Favoritin über den schwachen Nachfolger eine unbedingte Herrschaft, welche trotz aller Gegenbemühungen bis an dessen Tod fortdauerte. Vergebens suchte eine Partei am Hofe die verhaßte Geliebte zu verdrängen und ihr eine Nachfolgerin zu geben, Wilhelmine wußte sich in der Gunst des Königs fortwährend zu behaupten. Weder das Fräulein von Voß, noch die stolze Gräfin von Dönhoff, welche ihre Stelle für kurze Zeit einnahm, vermochten die frühere Favoritin für immer zu beseitigen. Zwar

hatte die frühere Leidenschaft des Königs einem mehr freundschaftlichen Verhältnisse Platz gemacht, aber Wilhelmine blieb seine Vertraute und bewahrte ihren unerschütterlichen Einfluß auf den schwachen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_015.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)