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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Sie rief es mit dem ganzen frohen Glücke eines Mädchens von siebzehn Jahren, die schon springen muß, wenn sie an einen Ball denkt, wenn sie nur einen Walzer auf einem alten Leierkasten spielen hört.

„Wirst Du den Vater bitten, alter Brummbär?“

„War ich Dir das je, Antonie?“

„Heute bist Du es. Aber wirst Du? Da kommt der Vater.“

„Bei Gott, da kommt er. Ja, ja, ich werde ihn bitten. Geh, geh!“

Sie hörte nur das Versprechen. Mit dem Versprechen sah und hörte sie nur Tanzen und Springen, und sie tanzte und sprang singend fort.

Der alte Mann sah seufzend hinter ihr her. Dann ging er ein paar Mal rasch durch die Stube, um gesammelt den Rath empfangen zu können.

Der Rath Rohner trat in das Cabinet. Er trug das Haupt hoch, stolz, hart, wie er die Sitzung verlassen hatte. Aber die buschigen Augenbrauen verdeckten nicht seine Augen, und man sah, wie durchdringend sie waren. Er heftete sie auf den Schreiber.

Der alte Mann hatte sich doch nicht völlig sammeln können. Der Rath bemerkte die Unruhe unter der zur Schau getragenen Unbefangenheit.

„Was ist vorgefallen?“ fragte er.

„Nichts. Nur Toni war so eben hier.“

„Was wollte sie?“

„Sie ist mit Dir zum Balle eingeladen.“

Das Gesicht des Rathes verfinsterte sich. Von dem Ausspruche eines Todesurtheiles zum Ball? Oder war es etwas Anderes?

„Du weißt, ich gehe nicht gern.“

„Auch sie weiß das.“

„Und Du solltest mich bitten?“

„Ja.“

„Nachher davon. Du hast etwas Anderes auf dem Herzen.“

„Willst Du nicht jetzt zu Mittag essen? Es ist schon spät.“

Der Rath lächelte; aber nicht höhnisch.

„Ah, alter Bursch, es muß etwas Schlimmeres sein, was Du mir mitzutheilen hast. Du willst mir den Mittag nicht verderben. Heraus damit. Dein Zweck ist doch nun einmal verfehlt, wie Du siehst.“

Der alte Schreiber besann sich. In einer Stunde hatte der Polizeibeamte wiederkommen wollen. Mehr als eine halbe Stunde, drei Viertelstunden waren seitdem verflossen.

„Er könnte doch nicht mehr mit Ruhe essen,“ sagte sich der treue Freund und Diener.

Mit einem schweren Seufzer schickte er sich an, seine Trauerbotschaft auszurichten.

„Ja, ich habe Dir nichts Angenehmes zu sagen.“

„Angenehmes und Unangenehmes, es wechselt Alles im Leben. Was hast Du?“

„Von Deinem Sohne sind schlechte Nachrichten eingelaufen.“

„Von Rudolph? Hat er sich wieder mit den Nachtwächtern geprügelt?“

„Es ist schlimmer.“

„Schlimmer, schlimmer! Er hat wohl gar die schwere Sünde begangen, einer bunten Schürze nachzulaufen, womit er nach Euch frommen Leuten hätte warten sollen bis zu den holdseligen Schürzen der ewigen Seligkeit? Eine einfältige Moral. Da lobe ich mir noch die der Türken. Sie haben wahrhaftig schöne Houris in ihrem Paradiese, aber darum führen sie doch nicht hier auf Erden ein Anachoretenleben.“

Der alte Schreiber sah traurig vor sich hin.

„Wohin müssen solche Grundsätze führen?

„Nicht in die Kirche, Alter, auch wohl nicht in den Himmel, von dem Du träumst.“

Der alte Mann konnte doch Gott nicht ganz „aus dem Spiele lassen“.

„Leider nicht,“ sagte er; „aber in’s Verderben. In’s Verderben für Dich und Deine Kinder. O, Rohner, alter, braver Freund, möchtest Du nur einmal in die Kirche gehen, möchtest Du nur ein einziges Mal beten, zu Gott beten können.“

Das Gesicht des Rathes verfinsterte sich wieder.

„Alter, Du wolltest mir von meinem Sohne erzählen. Mache es kurz. Oder vielmehr, wenn es nicht etwas ganz Besonderes ist, laß es ganz bei Seite. Ein junger Mensch kann, muß sein Leben genießen. Er kann auch dumme Streiche machen. Welcher Mensch macht sie nicht? Er muß nur keine schlechten Streiche machen, keine Gemeinheiten, die die Ehre angreifen. Die Ehre, mein Freund, sie allein ist das, was Ihr Frommen Moral, Gewissen, gar Religion nennt. Wer sie verloren hat, der ist verloren. Also, kurz oder gar nichts.“

Der alte Schreiber mußte sich ein Herz fassen.

„Wenn es denn nun die Ehre angriffe, Rohner?“

Einen Augenblick durchzuckte es den Rath heftig. Dann aber lachte er höhnisch.

„Ah, ich weiß ja, was Ihr Immoralität, Irreligion und so weiter nennt! Mein Sohn lebt; er lebt wohl auch leichtsinnig. Aber ein Ehrloser, ein gemeiner Verbrecher –! Pah, in seinen Adern fließt das Blut seines Vaters.“

„Wenn er nun doch der ehrlose, gemeine Verbrecher wäre, gar ein Heuchler dazu, der Dich zu betrügen wußte?“

Den Rath durchzuckte es noch einmal, heftiger.

„Wie, Alter?“

„Wenn er ein Betrüger, ein Fälscher wäre?“

„Bernhard Naumann!“

„Wenn der Polizeicommissarius vor einer halben Stunde hier gewesen wäre und in einer Viertelstunde zurückkehren würde, um ihn zu arretiren, zum Criminalgefängnisse abzuführen?“

„Meinen Sohn? Rudolph?“

Der feste, harte Mann war leichenblaß geworden; das stolze Haupt sank ihm herunter. Aber auch das dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er sich wie mit wunderbarer Kraft gefaßt. Das Haupt war wieder stolz emporgerichtet; die Gesichtszüge waren wieder eisern, wie zuvor.

„Erzähle,“ sagte er ruhig. „Verschweige mir nichts.“

Der alte Schreiber erzählte:

„Der Polizeicommissarius war hier, im unmittelbaren Auftrage des Polizeipräsidenten. Rudolph, der ein ausschweifendes Leben führt, hat Schulden gemacht, viele, auf verschiedenen Seiten. Die Polizei hat es schon lange gewußt. Aber Du bist reich; Du hast Deinen Sohn so – so besonders erzogen; Du hast ihm Alles nachgesehen. Da hat auch die Polizei gemeint, sich nicht um ihn bekümmern zu müssen, so lange er nicht geradezu dem Strafgesetze entgegenhandele. Das hat er jetzt gethan. Er hat, um seine dringendsten Gläubiger befriedigen zu können, von einem ordentlichen, achtbaren Bürger Geld aufgenommen und dem Manne einen Wechsel über tausend Thaler gegeben; aber einen falschen Wechsel, von Dir auf Deinen Bankier ausgestellt und von diesem acceptirt. Deine Unterschrift, das Accept des Bankiers, das hatte er sich selbst geschrieben. Heute war der Verfalltag. Rudolph bittet den Mann noch um acht Tage Frist. Der Mann hat selbst Geld nöthig. Er geht mit dem Wechsel zu dem Bankier. Der Bankier erkennt die doppelte Fälschung. Er verweigert die Zahlung; er will erst mit Dir sprechen. Aber Du bist in der Sitzung und der Mann will nicht warten. Er ist zudem empört über das Verbrechen. Arme, geringe Leute stecke man um Kleinigkeiten in das Zuchthaus; vornehme Wüstlinge könnten ungestraft die Leute betrügen. Er eilt zum Polizeipräsidenten. Der Polizeipräsident schickt aus Rücksicht für Dich den Commissarius zuerst zu Dir. – Jetzt weißt Du Alles.“

Der Rath Rohner war ruhig, er war fest und hart geblieben; nur die Farbe seines Gesichtes war wieder blässer geworden und die Lippen hatte er fester zusammengepreßt.

„Wann wollte der Polizeibeamte zurückkehren?“ fragte er kalt.

„Die Zeit ist schon vorbei. Er kann in jeder Minute kommen.“

„Er thue, was seines Amtes ist.“

„Rohner!“ rief der alte Diener erschrocken. „Wie? Was sprichst Du?“

„Ich sage Dir, der Mann thue, was seines Amtes ist.“

„Du willst Deinen Sohn den Gerichten überliefern?“

„Ist er nicht ein Verbrecher?“

Der alte Schreiber war in eine entsetzliche Angst gerathen.

„Er ist Dein Sohn, Dein Kind. Er trägt Deinen Namen. Du kannst ihn retten. Der Polizeipräsident läßt es Dir sagen. Wenn Du den Wechsel einlösest, erfährt kein Mensch ein Wort von der Sache. Es ist ein Mißverständniß gewesen.“

„Ich bin kein Gehülfe eines Betrügers und Fälschers.“

„Dein Sohn bittet Dich. Er war bei mir.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)