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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

werden. Freilich schwindet dieser Hauptzug des ungarischen Charakters mehr und mehr aus dem gesellschaftlichen Leben und wird bald nur in jenen wilden Pußten und ihren einfachen Naturkindern zu treffen sein.

Verlassen wir nun die wilde einsame Pußta mit ihren seltsamen Bewohnern und wenden uns zu einem anderen Theile derselben, welcher seines fetten fruchtbaren Bodens wegen als Ackerland benutzt wird.

Im Winter und Frühsommer bis zur Erntezeit finden wir übrigens auch diese Pußta ziemlich einsam. Unabsehbare grüne Saaten, zwischen denen die blühenden Ripsfelder mit ihrem hellen Gelb auffallend hervortreten, dehnen sich vor unsern Augen aus. Einige Zeit später – und gleich einem phantastischen Walde erhebt sich der Mais, dessen breite grüne Blätter seltsam flüstern und nicken, wenn sie der Lufthauch bewegt. Der Mais, bei uns Kukurutz genannt, erreicht in günstigen Jahren eine Höhe von zehn bis zwölf Fuß und wird nächst dem schönen goldigen Weizen und dem Winterrips am meisten gebaut.

Inmitten dieses grünen wogenden Saatenmeeres sehen wir manchen netten Wirthschaftshof mit seinen freundlichen weißen Wänden und glatten Strohdächern hervorragen. Diese Höfe werden Tanya genannt und bestehen aus den Wohnhäusern der Dienerschaft, des Wirthschaftsbeamten und den nöthigen Stallungen. Von Scheunen und Schuppen zum Aufbewahren des Getreides und Futters findet man in Niederungen keine Spur. Es wäre auch sehr schwierig und ungemein kostspielig, wollte man solche große Gebäude in diesen Gegenden aufführen, denen das Baumaterial gänzlich mangelt. Das Getreide wird auf einem eingezäunten großen Platze in hausgroße Triften (Karal) zusammengelegt und dann durch Pferde ausgetreten.

Mit dem Beginne der Ernte wird auch die Pußta belebt; es gibt Besitzungen, die sechs- bis achthundert Schnitter beschäftigen. Diese Arbeiter kommen meist aus den nördlichen slavischen Comitaten, deren große Bevölkerung von dem geringen Ertrage des magern Bodens nicht leben kann. Sie bilden für die Zeit ihres Aufenthaltes eine Art communistische Gesellschaft. Einer wird zum Oberhaupt gewählt und hat die Obliegenheit, für ihre Interessen zu wachen, den Contract für das künftige Jahr abzuschließen und für die Beköstigung zu sorgen. Ihm zur Seite steht die Wirthin, welche für Alle kochen und backen muß. Der gewöhnlichste Arbeitslohn dieser Schnitter ist der vierzehnte Theil des gesammten durch sie bearbeiteten Getreides. Es ist eine wahre Freude, dem außerordentlichen Fleiße dieser Leute zuzusehen. In der fürchterlichen Sonnenhitze, die kein Lüftchen, nicht der Schatten eines Baumes mildert, arbeiten sie singend unaufhörlich, oft bis tief in die mondhelle Nacht hinein, und sind mit dem ersten Morgengrauen wieder auf ihrem Platze.

Wenn der Besitzer zum ersten Male auf dem Felde erscheint, so wird er nach uralter Sitte von den hübschesten Mädchen und Weibern umringt und mit einem dünnen, reich mit Aehren behangenen Strohseile gebunden. Er muß sich dann loskaufen, gewöhnlich geschieht dies durch einen oder zwei Eimer Wein. Ist die Ernte beendet, so zieht die ganze Schnitterschaar mit dem schön geschmückten Erntekranze in den Hof des Gutsherrn oder, wenn dieser nicht anwesend, des Beamten singend ein. Einige Schafe fallen als Opfer und es wird die ganze Nacht hindurch bei den Klängen eines bescheidenen Dudelsacks getanzt und geschmaußt.

Außer dem Wirthschaftsbeamten oder dem Herrn selber finden wir auf diesen Tanya’s noch einen Aufseher (Gazda). Seine Kleidung ist die der wohlhabenden ungarischen Landleute, nur tragen diese immer schwarze oder dunkelblaue Tuchkleider, die bei den Reichen mit vielen silbernen, bei den Aermeren mit zinnernen Knöpfen und schwarzen Schnüren verziert sind, während die herrschaftlichen Wirthschaftsaufseher noch einen lichtblauen Spencer tragen. Eine dem Ungar eigenthümliche Kleidung ist die Bunda, dieser lange Pelz von Schaffellen darf nie fehlen; der Ungar behauptet, im Winter schütze er vor Kälte, im Sommer vor Hitze. Er wird gegen die erstere mit der wolligen Seite nach innen, gegen letztere umgekehrt getragen. Die Mädchen tragen weite, faltige, blaue oder rothe Röcke mit festanschließendem Leibchen und ein weißes oder buntes Halstuch. Die glänzend schwarzen Haare, an der Stirn gescheitelt, werden in einen Zopf geflochten und mit Band reich verziert. Die Füße sind durch rothe Stiefeln geschützt. Junge Weiber tragen Häubchen von Gold- oder Silberspitzen, der Pelz ist mit feinem Tuche überzogen, mit Marderfell verbrämt und bei den Reichen mit silbernen Knöpfen und Borden verziert.

Noch eines Bewohners dieser Pußten, durch welche sich die Theiß in tausend wunderbaren Krümmungen hinzieht, müssen wir gedenken, des Fischers, der an den Ufern dieses ungemein fischreichen Flusses seine Hütte baut und sich reichlichen Lebensunterhalt aus seinen Wellen holt. Obwohl die Fischerei auch sonst überall an den Seen und Flüssen sehr fleißig betrieben wird, so kann man doch nur den Theißfischer als eigentlichen Fischer bezeichnen, weil er sich sein Leben lang mit nichts Anderem, als mit der Fischerei, beschäftigt. Die Liebe zu dem Flusse und zu der Fischerei ist in ihm so tief gewurzelt, daß man beinahe kein Beispiel findet, daß der Sohn dem Gewerbe des Vaters nicht treu geblieben wäre.

Es ist fast unglaublich, welche ungeheure Menge von Fischen dieser Fluß enthält. Die ausgezeichnetsten darunter sind besonders Karpfen, Hechte, Störe; diese letzteren kommen zur Laichzeit in Menge aus den Donaumündungen, sind jedoch selten über fünfzehn Pfund schwer. Man fängt die Fische meist mit Netzen, nur die Karpfen, deren einzelne 25–30 Pfd. schwer sind, werden mit eigens dazu gearbeiteten Harpunen gefangen. Hier müssen wir einer sonderbaren Erscheinung gedenken, welche nur dem Theißflusse eigen ist und sich alljährlich wiederholt. In den heißesten Tagen des Hochsommers erscheint plötzlich die ganze Oberfläche des Wassers mit einer zahllosen Menge von Insecten völlig bedeckt, die bald ihre Hülle abstreifen und als eine Art Falter mit schmalen weißen Flügeln aufflattern, um nach einigen Stunden wieder in das Wasser zurückzufallen. Sie bedecken den Strom auf meilenweiten Strecken – „die Theiß blüht“ – sagen die Fischer. Diese Insecten sind eine Lieblingsspeise der Fische, besonders der Karpfen, die, alles Andere vergessend, schaarenweis, mit weit geöffnetem Maule, daherschwimmen und sie verschlingen. Der Fischer begibt sich nun auf seinem kleinen, leichten Kahne, mit mehreren Harpunen versehen, die an dem Kahne mittelst starker Seile befestigt werden, auf den Strom. Die Karpfen bemerken in ihrer Gefräßigkeit seine Nähe nicht eher, als bis die Harpune in ihrem Leibe steckt. Nicht selten bringen sie dann den Fischer durch ihre verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien, in Lebensgefahr und reißen den leichten Kahn mit ungeheurer Schnelligkeit eine bedeutende Strecke mit sich fort. Wenn endlich das Thier durch Schmerz und Blutverlust erschöpft ist, wird ein zweiter auf’s Korn genommen, und zuweilen bringt ein Kahn deren fünf bis sechs an’s Land.

Die Erscheinung dieser Millionen Insecten ist bis jetzt noch nicht enträthselt, obwohl dies jedenfalls ein interessanter Gegenstand für Naturforscher wäre. – Auch ein Beweis, wie wenig Ungarn gekannt ist.

Einen romantischen Anblick gewährt die Theiß an mondhellen Abenden, wenn die zahlreichen Fischerkähne über die glatte Fläche gleiten, und kräftige sonore Männerstimmen manches Nationallied, vom Ruderschlage begleitet, singen.

Auch auf den bebauten Pußten finden wir eine Csárda, die sich jedoch von der früher beschriebenen bedeutend unterscheidet. Ihre weißen Wände mit dem roth angestrichenen Schnitzwerk der Fensterrahmen schauen gar einladend in die Weite. Auf dem zierlichen glatten Strohdache sonnen sich bunte Tauben, und blicken zuweilen nach dem gravitätisch auf dem Giebel stehenden Storche. In dem reinlichen Hofe lebt und schnattert fröhliches Geflügel, selbst die großen weißen Hunde, welche, wie behauptet wird, unsere Väter aus ihren asiatischen Wohnsitzen mit nach Ungarn gebracht, sind freundlicher und schauen sich mit ihren schwarzen Augen, die aus den dichtbehaarten schneeweißen Gesichtern hervorleuchten, ganz vergnügt um. Vor der Thüre sonnen sich schneeweiße, wohlgenährte Katzen mit ihren Familien und zeugen, nach dem ungarischen Sprüchwort, von der Wohlhabenheit des Hauses und der vorsorglichen Hausfrau. Im Hause selbst finden wir Alles rein und blank, und begegnen nicht dem auf Gewinn lauernden Sohne Israels, sondern einem biedern Ungar, der, behaglich seine Pfeife rauchend, uns empfängt.

Des Abends versammeln sich die Bewohner der umliegenden Tanya’s in der Csárda, und sprechen bei einem Glase Wein über ihre Arbeiten und Erlebnisse, nicht selten sogar über Politik. Zuweilen kommen ein oder mehrere Musikanten von jenem Heimathlosen braunen Volke der Zigeuner, und nehmen in einer Ecke des Zimmers Platz. Sie stimmen ihre Geigen und Cymbel. Kaum haben sie den Saiten die ersten leisen melancholischen Töne entlockt, mit denen jede Nationalmelodie beginnt, so erhebt sich der junge Bursche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_041.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2023)