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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Nach diesem Besuche kehrte er nach Hause zurück; hier angekommen, kleidete er sich in seine Uniform, fuhr zum Schlosse des Landesherrn und ließ sich bei dem Monarchen zu einer Audienz melden; er wurde aber nicht angenommen. Der Landesherr habe keine Zeit, hieß es; wenn der Rath etwas vorzutragen habe, möge er es schriftlich einreichen. Der Regent des Landes konnte den Mann nicht empfangen, dessen Sohn der Wechselfälschung schuldig, dessen Tochter eines in den höchsten Cirkeln der Residenz verübten Diebstahls bezichtigt, der selbst als ein Gottesleugner bekannt war.

Der Rath fuhr nach Hause zurück und schrieb den ganzen Tag. Er sandte das Schreiben an den Präsidenten des Gerichts. Es enthielt ein Begnadigungsgesuch an den Monarchen für die zum Tode verurtheilte Vatermörderin. Er bat den Präsidenten, es mit einem befürwortenden Berichte dem Monarchen zu überreichen. Er hatte den Landesherrn darin beschworen, die Verurtheilte zu begnadigen, und alle Gründe, die dafür sprachen, auseinandergesetzt; er hatte offen ausgesprochen, daß er nach seinem Verständnisse des im Lande geltenden Gesetzes nicht anders als für den Tod habe stimmen können, daß er aber jetzt erkenne, es gebe ein höheres Recht, als das des von Menschen geschriebenen Gesetzes, das Recht einer sittlich menschlichen Gerechtigkeit, und daß es das schönste Vorrecht des Staatsoberhauptes, das edelste Juwel in der Fürstenkrone sei, dieses erhabenste Recht zur Geltung zu bringen.

Der Präsident antwortete ihm umgehend, daß er sofort die Bittschrift befürwortend dem Regenten überreicht habe.

Aber eine Veränderung war auch seitdem mit dem Rathe nicht vorgegangen; wenigstens war sie äußerlich nicht wahrzunehmen. Nur verließ er von da an fast das Bette der Kranken nicht, und es war sonderbar anzusehen, wie er mit dem so kalten und harten Gesichte unbeweglich da saß und jeder Bewegung der irrsinnigen Kranken folgte und jedem ihrer Athemzüge lauschte.

So hatte er drei Tage gesessen und acht Tage waren seit dem Irrsinne, seit der Krankheit der Tochter vergangen. Er saß an dem Bette, unbeweglich, äußerlich kalt, wie immer, Auge und Ohr auf jede Bewegung, auf jeden Laut der Kranken gerichtet. Hinter ihm stand der Schreiber Bernhard. Der alte Mann hatte die Augen voll Thränen. Er konnte den Blick nicht zu der Leidenden, der körperlich und geistig Leidenden wenden, und doch zog jede ihrer Bewegungen, jeder ihrer Athemzüge die nassen Augen unwiderstehlich auf sich. Dann mußte er wieder den Vater anblicken, der so unbeweglich, so unempfindlich dasitzen konnte.

„Könnte er nur einmal sein Herz zu Gott wenden! Herr im Himmel, kannst Du es denn nicht zu Dir wenden? Warum lässest Du ihn so hart bleiben, warum lässest Du Dich ihm unerkannt in dem tiefsten Elende, in der entsetzlichsten Angst, in dem qualvollsten Jammer, die ein Menschenherz ertragen kann? Soll denn nichts diesen Menschen zu Dir erheben können?“

Da wurde leise an die Thür geklopft, der alte Bernhard ging hin und öffnete sie und nahm von dem alten Diener des Raths ein Schreiben, das er dem Rath überreichte.

Der Rath Rohner öffnete es; er las es. Die Muskeln seines bleichen Gesichtes zitterten. In seinen Händen flog das Papier. Der Präsident des Gerichts benachrichtigte ihn, daß der Monarch die Vatermörderin begnadigt habe.

„Gott im Himmel!“ rief er.

Er rief es laut, tief, tief aufathmend, aus dem untersten Grunde seines Herzens heraus.

Der alte Bernhard fiel auf die Kniee.

„Herr des Himmels, Du wirst gnädig in ihm! Sei gepriesen, sei gedankt. O, laß ihn ganz Dich erkennen.“

Aber der alte Mann mußte wieder aufspringen. Die Kranke machte eine Bewegung, eine lebhafte, aber nicht heftige. Dann richtete sie sich auf, ebenfalls nicht heftig, vielmehr langsam, wie sich besinnend. Sie hatte das seit dem Beginn ihrer Krankheit noch nicht gethan.

Der Rath und der alte Bernhard sahen sie aufmerksam, überrascht, dann ängstlich an. Sie blickte um sich, nicht wild oder stier wie bisher. Das Auge war klar, der Blick ruhig, nachsinnend, milde. Der alte Bernhard mußte sich abwenden, um seine hervorstürzenden Thränen nicht zu zeigen. Der Rath aber erkannte, daß dieser Blick wieder Klarheit des Geistes, wieder Bewußtsein zeige. Der Wahnsinn war gewichen. Ein Schauer durchfuhr den Vater.

„Antonie!“ sagte er mild.

Weiter konnte er kein Wort sprechen.

Der Wahnsinn war gebrochen, die Helle des Geistes war zurückgekehrt. Aber damit war ein furchtbarer Augenblick der Entscheidung gekommen. Stand der Vater vor einer Verbrecherin?

Da erhob die Tochter ihre Stimme, klar, ruhig und sanft, wie ihr Auge war.

„Vater, sieh mich an!“

Er blickte schweigend an.

„Vater, kannst Du in mir eine Verbrecherin, eine Diebin finden?“

Sie sprach es so unendlich ruhig, klar und milde; sie sprach es edel.

„Nein, nein, mein Kind!“ rief der Vater, und warf sich über sie hin, und umschlang sie mit seinen Armen und weinte über ihr. Dann erhob er sich langsam. Dann beugte er sich wieder nieder. Aber er war in die Kniee gesunken, und hatte die Hände gefaltet. So lag er still am Fußende des Bettes.

„Und Du, mein treuer Bernhard,“ sagte das unschuldige Kind zu dem alten, treuen Bernhard, „hast Du auch an Deine Toni geglaubt?“

„Gewiß, gewiß!“ rief der Greis. „Aber still, er betet!“ –

Als einige Wochen nachher die häßliche und eifersüchtige Frau des schönen und galanten Rittmeisters, Baron Richter, ihren Mann ebenfalls in einer Umarmung mit der schönen Gräfin Auguste von Göppingen überraschte, und nun zugleich jene Ueberraschung des Paares auf dem Balle der Regierungspräsidentin bekannt wurde, zweifelte auch die Welt nicht mehr an der Unschuld der edlen Antonie Rohner.

Der Rath Rohner aber hatte schon vorher den Monarchen um seinen Abschied gebeten. Sein Verstand des Richters und sein Herz des Menschen seien in einen Widerstreit gerathen, für dessen Vermittlung zum wahren Gedeihen des Rechtes in seinem vorgerückten Alter ihm der richtige Maßstab fehle.

Einige Wochen später verließ der Rath und seine Tochter die Residenz. Der alte Bernhard folgte ihnen.




Der gelbe Handschuh.
Von Louise Ernesti.

Die Dresdner Gallerie besitzt ein Cabinet ganz angefüllt mit Schöpfungen einer und derselben Hand. Es sind dies die Pastellbilder der berühmten Venetianerin Rosalba Carriera, die 1672 geboren wurde und 1757 starb. Einige wenige Bilder von Mengs und Liotard ausgenommen, hat die kleine Gallerie für sich nur allein diese Künstlerin zum Schöpfer. Sie wurde in Venedig herangebildet und zwar von einem Meister, der einen wundersam schönen Namen führte. Er hieß Diamantini. Es ist mir zu bedauern, daß er ein sehr mittelmäßiger Maler war und durchaus kein Diamant im Diadem der Kunst. Anfangs malte die junge Künstlerin Oelgemälde und zwar Copieen nach großen Meistern; dann ging sie auf Bilder im kleinsten Format über und schuf sogenannte Dosenstückchen. Diese fanden Beifall, vielleicht mehr wegen der Dosen, die von Gold und Silber waren und als Geschenke vertheilt wurden. Endlich fing sie an, Pastellbilder zu schaffen, und dabei blieb sie.

Ob ihre Bilder wirklich so vortrefflich gewesen sind, wie die Zeitgenossen rühmen, muß dahin gestellt sein. Die Kunst der Pastellmalerei ist nämlich, wie wohl Jeder weiß, stark den Zufälligkeiten unterworfen, die ein unvollkommenes Material herbeiführt. Die Farben bleichen, sie verwischen sich, gehen unvermerkt eine in die andere über und die Contour leidet dadurch. Es kann demnach sein, daß die Bilder, die wir jetzt betrachten, anders zu der Zeit aussahen, als sie geschaffen wurden. Heutzutage stellen sie sich, was das Colorit anbetrifft, trocken unwahr und fast bis zur Kreideweiße gebleicht dar. Unmöglich ist es fast, einem solchen Bilde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_046.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2017)