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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Wasserspitzmäuse und die Fische.
Von Dr. Ludwig Brehm.

Obschon mir das Wort des Horaz: „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus“[1] recht wohl in Erinnerung ist, kann ich es dennoch wagen, den geehrten Lesern einmal eine Maus vorzuführen, welche durchaus keine „lächerliche“ ist, und das geringe Ansehen, in welchem die Mäuse seit Jahrtausenden stehen, keineswegs verdient. Die Wasserspitzmaus, welche ich meine, wird gewiß sogleich an Interesse gewinnen, wenn ich vorausschicke, daß sie ganz dasselbe unter den Mäusen, was der Luchs unter den größeren Thieren ist.

Eigentlich ist die Spitzmaus gar keine Maus, sondern ein von dieser weit verschiedenes echtes Raubthier, welches sich nicht mit Nagen und Schaben an Früchten und ähnlichen Nahrungsgegenständen befaßt, sondern auf Raub ausgeht und weit größeren Thieren, als sie selbst, einen für jene höchst verderblichen Krieg erklärt hat. Sie hat mit den Mäusen nur die geringe Größe und eine ähnliche Gestalt gemein, zeichnet sich aber sofort durch ihren verlängerten Rüssel, bei genauerer Untersuchung aber besonders durch ihr Raubthiergebiß vortheilhaft aus. Letzteres weist sie auf thierische Nahrung (Würmer, Insecten und Wirbelthiere) an, ersterer dient ihr, wie dem Maulwurfe, zum Höhlengraben und trägt das äußerst entwickelte Geruchsorgan.

Ein anderes Kennzeichen der Spitzmäuse ist eine Reihe von groben Haaren an den Seiten, unter denen Drüsen liegen, welche eine besondere stark riechende Flüssigkeit ausschwitzen. Diese theilt den Thieren einen so üblen Geruch mit, daß sie von den Hauskatzen nicht gefressen, sondern nur zum Vergnügen gefangen werden. Blos die Eulen stoßen sich nicht an diesen Geruch und verzehren die ergriffenen Spitzmäuse ohne Anstand.

Alle Spitzmäuse sind höchst raubgierige, muthige und gewandte Thiere. Die gemeine Spitzmaus frißt andere Mäuse und vertilgt eine so große Menge derselben, daß diese ihrem grimmen Feinde zu entweichen suchen. Unser bekannter Dichter Welcker beobachtete, wie sie diese Jagd betreiben. Er besaß eine Spitzmaus lebend, band ihr einen festen Faden an ihren Hinterfuß und ließ sie im Freien in ein von Mäusen bewohntes Loch kriechen. Nach kurzer Zeit kam eine Ackermaus in größter Angst herausgekrochen, welcher die Spitzmaus, deren Zähne sich im Nacken des Schlachtopfers eingebissen hatten, auf dem Rücken saß. Sie saugte ihr luchsartig das Blut aus, tödtete sie in kurzer Zeit und fraß sie auf. –

Die Thiere sehen trotz ihrer kleinen Augen nicht nur bei Tage, sondern auch in nicht ganz finsteren Nächten sehr gut, graben sich Löcher, in denen sie wohnen, schlafen und hecken, sind sehr gewandte Thiere und, da sie keinen Winterschlaf halten, das ganze Jahr in Thätigkeit. Die merkwürdigsten unter allen sind die Wasserspitzmäuse. Sie haben die Größe der Hausmaus, erscheinen aber wegen ihres dichten, für das Leben im Wasser geeigneten Pelzes größer, als ihr Körper erwarten läßt. Alle sind auf dem Oberkörper glänzend, aber mattschwarz, im Winter viel schöner, als im Sommer, auf dem Unterkörper grauweiß, weißgrau oder weißlich, zuweilen rein, oft aber mit Grauschwarz, welches nicht selten ein Kreuz bildet, theilweise bedeckt. Ihr Schwanz ist schmal und behaart, nach den verschiedenen Arten länger oder kürzer und bildet ein Ruder. Um gegen das Eindringen des Wassers geschützt zu sein, ist ihr Pelz sehr dicht und mit so nahe aneinander stehenden Haaren bedeckt, daß diese vollkommen aneinander anschließen und, so lange diese Thierchen gesund sind, keinen Wassertropfen eindringen lassen; ein jeder derselben läuft von ihm ab. Sie schwimmen nicht durch Schwimmfüße oder Schwimmhäute, sondern einfach durch Schwimmhaare an allen vier Füßen. Diese Einrichtung hat in der That etwas Wunderbares. Die Schwimmhaare sind stark, ziemlich lang und stehen an den Seiten der Zehen so dicht neben einander, daß sie selbst bei ausgebreiteten Zehen, durch Muskelkraft aneinander gedrückt, keine Zwischenräume lassen. Sie leisten unseren Wasserspitzmäusen sehr gute Dienste. Wollen diese schwimmen, dann legen sie beim Vorwärtsbewegen der Füße die Zehen eng an- oder übereinander, so daß sie nur einen kleinen Raum zu durchschneiden haben. Beim Rückwärtsbewegen der Füße aber breiten sich die Zehen und Haare auseinander. Diese letzteren füllen die Zwischenräume zwischen den ersteren aus, lassen kein Wasser durch und bilden durch die breite Fläche, welche sie jetzt einnehmen, vortreffliche Schwimmfüße. Durch diese werden unsere kleinen Wasserbewohner in den Stand gesetzt, rasch zu schwimmen und geschickt zu tauchen.

Ich kenne kein anderes Thier, welches eine solche Einrichtung besitzt. Die Wasserratte hat keine Schwimmhaare und steht deswegen auch in der Geschicklichkeit, zu schwimmen und zu tauchen, weit hinter der Wasserspitzmaus zurück. Sie bedarf dieser aber auch nicht so, wie unsere Spitzmaus, weil sie nicht, wie diese, von Thieren, sondern von Pflanzen lebt.

Die Wasserspitzmaus bewohnt vorzugsweise die Gewässer gebirgiger Gegenden, am liebsten solche, in denen es auch bei der größten Kälte des Winters noch offene Stellen gibt; denn diese sind ihnen im Winter ganz unentbehrlich, um ihre Nahrung während der kalten Jahreszeit zu erlangen. Den Tag bringen sie an den von Menschen besuchten Orten gewöhnlich in den von ihnen selbst gegrabenen Löchern zu. Allein da, wo sie keine Nachstellungen zu fürchten haben, sind sie auch am Tage recht munter; besonders im Frühjahre zur Paarungszeit. Ich wünschte dem geneigten Leser, einmal das Betragen dieser gewandten Thierchen im Frühlinge mit anzusehen. Ein Pärchen derselben befindet sich in einem nur an seinen Ufern mit Rohr, Schilf oder Riedgras bewachsenen, übrigens einen freien Wasserspiegel bildenden Teiche. Jetzt kommt das Weibchen aus dem Verstecke herausgeschwommen, hebt den Kopf und die Brust aus dem Wasser empor und sieht sich nach allen Seiten um. Das Männchen, welches sein Weibchen lange gesucht hat, zeigt sich ebenfalls auf dem freien Wasserspiegel und kaum hat es den Gegenstand seiner Sehnsucht entdeckt, so schwimmt es eilig auf sein Weibchen zu. Diesem ist es aber noch nicht gelegen, seine Liebkosungen anzunehmen. Es läßt zwar das Männchen ganz nahe an sich herankommen, allein ehe es erreicht ist, taucht es plötzlich unter und entweicht weit von diesem, indem es auf dem Grunde des Teiches eine Strecke fortläuft und an einer ganz anderen Stelle, als an der, wo es untergetaucht ist, wieder emporkommt. Das Männchen hat jedoch sein Auftauchen bemerkt und eilt dem Orte zu, an welchem es sich befindet. Schon glaubt es am Ziele zu sein, da verschwindet das schnell tauchende Weibchen abermals und kommt anderswo wieder zum Vorschein. Das Männchen verfolgt es von Neuem; das Weibchen taucht zum dritten Male unter und dieses Spiel geht Viertelstunden lang fort, bis sich endlich das Weibchen dem Willen des Männchens ergibt.

Am Tage verlassen unsere Spitzmäuse ihre Löcher und das Wasser selten, des Nachts aber laufen sie gewöhnlich auf dem Ufer herum und werden dann nicht selten eine Beute der Eulen und Katzen. Da diese letzteren sie, wie schon oben bemerkt wurde, nur tödten, aber nicht verzehren, so gelang es mir, von diesen schwer zu erhaltenden Mäusen eine bedeutende Menge zusammen zu bringen. Ich suchte nämlich jeden Morgen die Ufer unserer nahe gelegenen Teiche ab und fand nicht selten eine Wasserspitzmaus, welche eine gefällige Katze für mich gefangen hatte. Die Eulen ergreifen diese kleinen Wasserbewohner nicht nur, um sie selbst zu verschlingen,[2] sondern auch, um sie ihren Jungen zuzutragen. Man findet sie oft in größerer Anzahl, als die jungen Eulen einer Brut in einem Tage verzehren können, auf dem Horste liegen.

Wir haben schon oben bemerkt, daß die Wasserspitzmäuse, wie ihre Sippenverwandten, nicht aus dem Pflanzenreiche, sondern aus dem Thierreiche ihre Nahrung nehmen. Sie verzehren Wasser- und andere Insecten, Würmer, vielleicht auch Weichthiere, lieben jedoch die Fische ganz vorzüglich. Um diese in kleinen Bächen, welche sie sehr gern bewohnen, bequem fangen zu können, treiben sie dieselben – in der hiesigen Gegend die Schmerlen und Ellritzen – in eine kleine Bucht, deren Eingang sie besetzen. Jetzt trüben sie das Wasser und bewachen den Eingang der Bucht. Sobald nun einer der genannten kleinen Fische an ihnen vorüberschwimmen will, fahren sie auf denselben zu und fangen ihn gewöhnlich; „sie fischen im Trüben“, wie das Sprichwort sagt.

Allein diese kleinen Geschöpfe richten wegen ihrer Gefräßigkeit nicht nur unter den kleinen Fischen eine Niederlage an, sondern sie

  1. Es kreißen die Berge und gebären eine lächerliche Maus.
  2. Die Schleiereulen verschlucken sie ganz.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_052.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)