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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

bestehend, bildete einen angenehmen Abschluß zu dem eben Erlebten. Bei dieser Gelegenheit besprach der hohe Jäger manches früher erlebte Ereigniß in seiner ihm eigenthümlichen lebendig frischen Weise. Nachdem ich nach eingenommenem Mahle den Hirsch mehrmals gezeichnet hatte, wobei der Herzog in der Beurtheilung von Auffassung und Stellung mehr den Kenner, als den bloßen Liebhaber bekundete, verabschiedete ich mich von meinem hohen Wirth und wurde mit dem Versprechen, an bevorstehenden Gemsjagden Theil nehmen zu dürfen, huldvoll entlassen.

Der Herzog blieb, während ich in das Thal hinabstieg, auf dem Pürschhause, um am Abend oder am andern Morgen nochmals pürschen zu gehen. Und wirklich schoß der unermüdliche Waidmann an demselben Abend noch einen Hirsch von zwölf und Tags darauf einen von vierzehn Enden. An demselben Morgen, als dies geschah, stieg ich auf Befehl des Herzogs abermals nach Steileck und kam eben noch zur rechten Zeit an, um ihn auf einem Pürschpfad dahin klettern zu sehen, wie er drei Gemsen, die drüben an einem Hange standen, zu beschleichen im Begriff war. Das Resultat war diesmal kein günstiges, da die Gemsen vorzeitig flüchtig wurden. Der Herzog schoß zwar nach, jedoch ohne Wirkung; wenigstens kam Moosrainer, der mit dem Schweißhunde sofort nachspürte, erfolglos zurück. Da der Pürschpfad nach der Riß hinunterführte, die Zeit aber bereits vorgerückt war, und an diesem Tage die Frau Herzogin nebst Gefolge erwartet wurde, so stieg der Herzog vollends hinab. Hiermit waren die Pürschgänge nach dem Hirsch beendigt; der fürstliche Jäger hatte während seiner Anwesenheit sieben jagdbare Hirsche geschossen. Außerdem waren vom Grafen Erbach, einem Gaste, der noch einen andern Theil des weiten Jagdgebietes des Herzogs durchstreift hatte, zwei Hirsche und ein Gemsbock geschossen worden.

Natürlich benutzte ich meine Anwesenheit auf einem an Naturschönheiten so überaus reichen Punkte, mein Skizzenbuch zu füllen, obgleich das Wetter sehr bedenklich wurde. Die Wolken fingen an sich zu ballen und wogten schon um die Felsenkuppen herum, so daß sie selten einmal die dunkelstarrenden Gebirgshäupter sehen ließen. Noch verhielt ich mich oben, endlich aber mußte ich mich doch auf den Weg machen, da sich das Wetter immer drohender gestaltete. Mehr und mehr verdüsterte sich der Himmel. Dazu fing der Sturm an, brausend durch die alten Tannen zu jagen, daß es knarrte und krachte, und die tiefgehenden Wolken vor sich herzutreiben, bis sie sich in heftigem Regen entluden, der peitschend zur Erde niederstürzte. Wald und Gebirge, soweit man letzteres erkennen konnte, lagen im tiefsten, finstersten Tone da – ein Bild der schwersten Melancholie. Während dieses düstergrauen Nachmittags, an dem der Regen in Strömen niederrauschte, donnerten aus dem Thale herauf die Freudenschüsse, welche die Fürstin bei ihrer Ankunft willkommen hießen. Als ich unten ankam, prangten die Spitzen der Fichten am Wege mit Sträußen von „Edelweiß“, die man zu Ehren des hohen Paares dahin gesteckt hatte. Im Schloßhofe lagen vier Hirsche, welche der Herzog geschossen, auf der Strecke und gaben dem festlichen Empfang im Jagdgebiete die sinnbildliche Weihe.

Ich suchte meinen, wenn auch nicht trauten, doch wenigstens warmen Heerd im Hinterrißer Hotel auf, und hing meine triefende Jupe in den Rauchfang, um sie am andern Tage wieder verwenden zu können. Eine etwas verdächtig angealterte Jupe meines Wirthssohnes wurde einstweilen Stellvertreterin der meinen, bis mich mein Bett über die Kürze alles menschlichen Thuns nachzudenken veranlaßte. Noch im Schlafe setzten die geschäftigen Träume meine philosophischen Betrachtungen fort, die sich freilich, nach ihrer Art, so sehr in ein Spiel der Phantasie verwandelten, daß sie mir das Deckbett als einen quer über den Bauch gelegten Fidibus gaukelten.




Schlittenfahrer.
Von Berthold Sigismund.
Russen. – Deutsche. – Lappländischer Pulk. – Sibirische Narten. – Hundeschlitten der Eskimos. – Die drei Schlittenfahrer: Wrangell – Kane – Taylor.


Wie viel schöner ist doch eine Schlittenfahrt, als eine Reise zu Wagen! Sanft und lautlos, wie ein Kahn, ohne das lästige Rumpeln und Stoßen der Räderfahrzeuge, gleiten die Eichenholzkufen über die Schneebahn dahin. Die Schneestraße wird, verschieden von den Erdstraßen, durch häufiges Befahren stets verbessert, denn der Stahlbeleg der Schlittenkufen wirkt wie Polirstahl. Gegen die Sommerhitze ist man im Wagen wenig oder nicht geschützt; dagegen bieten sich für den Schlitten allerlei treffliche Mittel, sich vor den Einflüssen der Temperatur zu schützen. Selbst bei der strengsten Kälte und dem wildesten Stöberwetter befindet man sich, durch Pelzwerk und Schneemaske verwahrt, ganz behaglich. Der rasche Wechsel der Landschaften, die man durchfliegt, erinnert an eine Fahrt auf einem Flußdampfer. Selbst die Pferde scheinen sich der leichten und raschen Bewegung zu erfreuen; so sehr auch der Dust sie bepudert, sie traben „des Rennens begierig“ dahin und schütteln lustig ihre mit Schellen begangenen Schärpen, So sanft und rasch, ebenso gefahrlos ist auch die Fahrt, Niemandem ist auf dem Schlitten, wie auf Dampfwagen und Schiffen, bange. Man weiß ja, daß das Umgeworfenwerden kaum mehr ist als ein Spaß; man wühlt sich behend aus dem Schneebette hervor und steigt ohne Groll und Angst lachend wieder ein. Endlich ermüdet keine Art des Reisens weniger, als eine Schlittenfahrt. Sobald man die etwas steif und kühl gewordenen Unterthanen wieder in die rechte Verfassung gestampft hat, fühlt man sich wohl und munter, für Ceres- und Bacchusgabe empfänglich und zur geselligen Freude trefflich gestimmt.

Mit Recht ist darum der Schlitten das beliebteste Fahrzeug fröhlicher Leute und heiteren Kreisen vom starken und schönen Geschlechte so werth, wie nur im Sommer der von den Dichtern so oft besungene Kahn. Die meisten geselligen Lustreisen, die muntersten Aufzüge werden zu Schlitten veranstaltet und wenn der deutsche Carneval in gar vielen Stücken dem italienischen nachsteht, so hat er sicher den Vortheil, daß sich ein Maskenzug viel bequemer und anmuthiger auf Schlitten halten läßt. Der Sitz hinter dem Schlittenkasten („die Pritsche“) ist schon durch seinen Namen dem Harlekin geweiht, und gleich den Helden der Fastnacht tragen die Schlittenpferde Schellen.

Seltsam, daß man von keinem Schlittenmaskenzuge liest, welcher die verschiedenen schlittenfahrenden Völker der nördlichen Halbkugel darstellt.[1] Lassen wir einmal einen solchen Zug vor unserer Phantasie vorübergehen, indem wir uns ausbedingen, daß einzelne Schlitten, die uns am meisten interessiren, einen kleinen Halt vor uns machen!

Den Zug eröffnet, wie billig, dasjenige Volk, welches im Schlittenfahren obenan steht, die Russen. Die Engländer, welche sich so gern als die geschicktesten Rosselenker rühmen, entbehren wunderlicher Weise der Schlitten; selbst bei den Kindern sah ich keine, obgleich, wenigstens im nördlichen England, der Schnee nicht selten eine dauernde, treffliche Bahn bietet. Der Russe jagt mit drei nebeneinander gespannten Pferden, über welche sich ein mit Glocken behangener Reif wie ein Triumphbogen spannt, außerordentlich schnell daher; er hat vielleicht auf einer Schlittenwettfahrt, wie sie in seiner Heimath gebräuchlich sind, den Sieg davon getragen. Die russischen Pferde werden nicht geschont; schon öfter ist man in vierzig Stunden von Petersburg nach Moskau gefahren.

Der mit einer trefflichen Wildschur umhüllte, an den Winter gewöhnte Slave sitzt mit ganz anderer Behaglichkeit in seinem Schlitten, als der nach dem Brande von Moskau im Schlitten heimwärts jagende Napoleon, den Vernet gar grämlich dreinblicken läßt.

An den russischen Schlitten reihen sich eine Anzahl deutscher Schneefahrzeuge, von dem einfachsten aus Holz und Strohgeflecht bestehenden Bauerschlitten an bis zu dem prächtigen Staatsschlitten welcher eine Muschel oder einen Schwan darstellt und mit einem Tigerfelle bedeckt ist. Der hintenaufsitzende Rosselenker zeigt seine Kunst mit der langen Peitsche, die er zum gewaltigen Knalleffecte schwingt.

  1. Auf der südlichen Halbkugel, selbst in dem rauhen, schneereichen Feuerlande, gibt es keine Schlitten, wahrscheinlich blos deshalb, weil es an Zugthieren fehlt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_062.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)