Seite:Die Gartenlaube (1859) 072.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Corso Francesco zurück, dann über den Domplatz und speisten beim Rebecchino, der bekannten Trattorie in der Nähe des Domes. Der Graf und ich tranken den Kaffee in dem Akaziengarten der Cova, neben der Scala. Wir trafen dort viel Gesellschaft, Mailänder Bürger mit ihren Frauen und Töchtern, welche ihren Café nero tranken, den der Italiener bekanntlich ein halbes Dutzend Mal des Tages trinkt, und setzten uns zu ihnen. Der Graf erzählte ihnen, daß er Italiener sei, und sagte, ich sei Franzose. Wir wurden auf das Freundlichste und Zuvorkommendste behandelt, das ganze kalte abstoßende Wesen, was ich Morgens in dem öffentlichen Garten bemerkt hatte, war verschwunden. Der Italiener ist immer freundlich und zuvorkommend. Ist man mit ihm bekannt oder ihm empfohlen, so ist man auf’s Beste aufgenommen. Man darf nur kein Tedesco sein. Dann hört alle Freundschaft und alle Herzlichkeit auf. Er ist dann eben so kalt, gleichgültig und zurückgezogen, wie er kurz vorher noch herzlich und freundlich war. Wir sahen hier im Garten der Cova davon ein eclatantes Schauspiel. Einer der Officiere kam, uns aufzusuchen. Verwundert sah er uns mitten unter einer Gesellschaft am Tische sitzen. Er trat heran, redete uns in deutscher Sprache an, setzte sich sogar zu uns, und nach wenigen Minuten saßen wir an unserem Tische allein. Die Menschen, mit denen wir so eben in der lebendigsten, fast herzlichen Unterhaltung waren, hatten unseren Tisch und den Akaziengarten verlassen.

Es war während dem Abend geworden. Wir gingen nochmals den Corso Francesco auf und ab. Die eingetretene Herbstkälte hatte die Spaziergänger von der Straße verscheucht; desto voller war’s in den Cafés und Conditoreien. Hunderte von Gaslaternen, Lampen und Reverberen strahlten ihr Licht über die Straße, und spiegelten ihre Flammen in den Spiegelscheiben und in den glänzenden Schaufenstern. Der Anblick war prächtig, wie in der Rue Richelieu oder auf dem Boulevard des Italiens. Auf einem an eine Mauer geklebten Theaterzettel war in der Scala die Norma und ein neues Ballet angezeigt. Wir beschlossen in die Scala zu gehen.

Das Theatro della Scala, ist das Theater in Mailand, auf dem die Opern und Ballets gegeben werden. Es ist ein prächtiges Theater, nach dem San Carlo-Theater in Neapel das größte in Italien, fast zu groß für die Stimme, wenn dieselbe nicht einen bedeutenden Fond hat. Signora Pasta und viele Sänger und Sängerinnen ersten Ranges in Italien haben sich ihren Namen in der Scala gemacht. Ich habe schon viele große und schöne Theater in Europa gesehen, in Paris, in London, wie in Berlin und Wien; dennoch war ich von der einfachen und doch großartigen Pracht dieser Räume überrascht. Der Grund der Wände ist weiß, alle Verzierungen, Figuren und Arabesken sind golden, die Seitenwände und Rückwände der Logen sind in bunten Farben gehalten und luxuriös ausgestattet, da jede Loge ihren Eigenthümer hat, und derselbe jeden möglichen Luxus an Spiegeln, Statuen und Bildern auf den kleinen Raum seiner Loge verwendet. Das Theater ist in Italien zugleich der Gesellschaftssaal der ganzen vornehmen Welt. Sehen und hören ist nur dann Hauptsache, wenn der Abend eine besondere Kunstleistung bietet; sonst macht man sich in seinen Logen Besuche, conversirt miteinander und lorgnettirt und begrüßt seine Bekannten, oder macht neue Bekanntschaften. Das Scalatheater braucht viel Licht; aber wenn die Hunderte von Flammen auf allen Armleuchtern, auf allen Kronleuchtern und in allen Logen brennen, wenn die Wände in einem Meer von Licht strahlen, dann bietet das Scalatheater einen zauberischen Anblick. Das Theater war heute gefüllt, alle Armleuchter und Lampen flammten, Madame Lafond sang die Norma, und Norma ist eine Lieblingsoper der Italiener. Die Italiener sind Patrioten, sie schwärmen für ihr Land, für ihre Kunst, für ihre Musik und ihre Componisten. Verdi ist kein Componist ersten Ranges, aber Verdi ist der einzige Componist von Bedeutung in Italien, der jetzt lebt, und die Italiener schwärmen für ihn, weil er Italiener ist. Es liegt unleugbar viel Großes in dieser nationalen Schwärmerei; die Deutschen könnten viel davon gebrauchen. Wäre der geniale Richard Wagner, unbedingt einer der größten Componisten, welche die Natur je geschaffen hat – wenn er nicht der größte ist –, ein Italiener, er würde vergöttert werden, statt daß wir in Deutschland seine Musik kritisiren. Wenn ich Verdi’s Musik nicht anerkennen wollte, erwiderte man mir:

„Die Deutschen können Verdi’sche Musik nur nicht singen; hören Sie Verdi’sche Musik in Italien, und Sie werden ihre Schönheit erkennen.“

Also Madame Lafond sang die Norma. Die Oper hatte noch nicht begonnen. Wir gingen in das Parquet und setzten uns auf eine der drei ersten Bänke. Die drei ersten Bänke im Parquet, gleich hinter dem Orchester, waren von den Officieren eingenommen; sie sind ein für allemal von ihnen belegt. Es sind hier dieselben Gründe vorhanden, wie bei den Kaffeehäusern, und die Officiere haben deshalb bescheidener Weise die drei ersten Bänke im Parquet genommen, für die Oper und das Ballet jedenfalls die ungünstigsten Plätze.

Wir hatten uns kaum gesetzt, als die Ouvertüre begann. Der Vorhang erhob sich. Die Introduction und das erste Recitativ gingen ziemlich unbeachtet vorüber. Dann trat Norma auf uns trat unter die heilige Eiche. Sie wurde rauschend empfangen. Diese langdauernden Bravo’s und diesen Applaus kennt man nur in Italien. Das kalte deutsche Publicum hat davon gar keinen Begriff. Madame Lafond war Französin von Geburt, sie war eine schöne Frau, hatte den Kopf einer Sphinx, eine prächtige Stimme, und ihr Gesang war voll hohen dramatischen Ausdrucks. Ihre Norma hatte die Auffassung der Malibran, großartig, leidenschaftlich und edel. Sie sang die casta diva mit unvergleichlichem Ausdruck und Reinheit. Zehnmal wurde sie nach dem ersten Acte gerufen. Alles schien heute im Theater nur ein musikalisches Interesse zu haben, obschon man mir gesagt hatte, daß man politische Demonstrationen befürchte. Nur einmal kam der nationale Haß der Italiener während des ersten Actes zum Vorschein. Die Adalgisa wurde, wie überall, von einem jungen Mädchen gesungen, welche neben dieser Norma nicht von Bedeutung war. Sie sang das Duett mit der Norma mit vielem Feuer und vielem dramatischen Ausdrucke. Ich und einige Officiere applaudirten ihr, da wurde im Parquet gezischt. Ich meinte, es sei eine Intrigue, applaudirte stärker und forderte die Herren, welche in meiner Nähe waren, auf, mir beizustehen. Es geschah; aber nun begann das Zischen mit erhöhter Heftigkeit nicht allein im Parquet, sondern auch in den Logen. Ich war immer noch der Meinung, es sei eine Demonstration gegen die Sängerin, wurde empört und suchte den Applaus durchzusetzen. Da trat ein älterer Officier heran und bat uns, mit dem Applaus aufzuhören.

„Sie wissen ja, meine Herren,“ sagte er, „man zischt dort ja nur, weil wir applaudiren. Hören wir auf, wir können der Signora nur schaden.“

Der zweite Act der Oper ging nicht so ruhig vorüber. Das Auftreten des Chores, der den Kampf gegen die römischen Legionen fordert, war von rauschendem Beifall und von fortwährendem Applaus begleitet, und als der Schlachtgesang begann, als die Worte „guerra, guerra“ ertönten, erreichte die Demonstration ihren Höhepunkt. Man konnte kaum die Worte des stark besetzten Chors unterscheiden, so heftig wurde der Applaus und das Bravorufen.

„Sangue, Sangue! Le galli che scuri
Fino al tronco bagnate me son.
Sovre i flutti del Ligeri impuri,
El gorgoglia con funebre suon!
Srage, strage, sterminio, vendetta,
Gia comincia, si compie, si affretta.“

zu deutsch (in freier Uebersetzung):

„Zu den Waffen! Die Rache, sie winkt,
Bald der Boden Römerblut trinkt.
Wie die Mistel der Sichel erlieget,
Sei der Römer durch Schwerter besieget!
Stürzt die Adler, beschneidet die Schwingen,
Tödtet Alles, was Waffen noch trägt.“

So sang der Chor auf der Bühne. Und das Beifallsrufen, die Bravo’s und der Applaus im Parquet und in den Logen wollte gar kein Ende nehmen.

Dann sang der Chor weiter:

„Come biade da falci mietute
Sian di Roma le schiere cadute.“

zu deutsch (in freier Uebersetzung):

„Laßt in das Lager der Römer uns dringen,
Wo das Herz unsers Todfeindes schlägt.“

Das Bravorufen tönte nun wie ein lange anhaltender Donner, und dazwischen hörte man die Rufe „viva l’Italia“ Die anwesenden Officiere benahmen sich sehr ruhig und gemessen. Es geschah vernünftigerweise nichts, um die Demonstration zu unterbrechen oder zu verhindern, die Aufregung ging vorüber, und, als Sever gefangen in Irminsuls Hain geführt wurde, war wieder eine lautlose Stille in dem großen Theater. Man horchte nur dem großartigen Gesange Norma’s, und der Applaus feierte nur die Sängerin.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_072.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2023)