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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Marienburg.

Die Nummer 30 des vorigen Jahrganges der „Gartenlaube“ brachte aus der Provinz Preußen die Abbildung und Beschreibung einer der kühnsten und sehenswerthesten Bauten der Gegenwart: der Gitterbrücke über die Weichsel bei Dirschau. Heute sei es uns vergönnt, die Leser zu einem Bauwerke zu führen, welches in seiner Art nicht minder kühn und sehenswerth, ja vielleicht ohne Gleichen ist und dabei eines so großartigen historischen Hintergrundes sich erfreut, wie nur wenig andere: zur Marienburg. In noch nicht voll drei Viertelstunden trägt von Dirschau das Dampfroß uns zur Stadt Marienburg, unmittelbar neben welcher die Burg gleichen Namens sich erhebt, welche anderthalb Jahrhunderte hindurch die Residenz jener Priesterfürsten war, welche unter dem Namen der „Hochmeister des Deutschherren-Ordens“ einen Staat beherrschten, welcher manches heutige Königreich an Größe übertraf und in den Zeiten seiner höchsten Blüthe vom Ostufer der Oder bis zum esthischen Strande des baltischen Meeres sich erstreckte.

Nordfaçade des Mittelschlosses Marienburg.

Im Jahre 1230 setzten die „Deutschen Herren“ – der dritte unter den drei geistlichen Ritterorden, welche zu den Zeiten der Kreuzzüge im gelobten Lande gestiftet wurden – zuerst den Fuß in das Land der heidnischen Preußen, das ihnen der Papst und der Herzog Conrad von Polen-Masowien (die es aber beide nicht besaßen) geschenkt hatten.

Um sich vor Ueberfällen zu schützen, ließ der Landmeister Conrad von Thierberg 1276 dicht neben dem Flecken Marienburg eine Burg erbauen, mehr fest, als wohnlich, die er die „Marienburg“ nannte und welche fortan die Residenz der Landmeister war und den Ort Marienburg somit zur Hauptstadt Preußens machte. Er nannte sie auch das „Hochschloß“ oder „hohe Schloß“, und dasselbe bildet den ältesten Theil der Marienburg. Die beiden andern Theile sind das „Mittelschloß“ und die „Vorburg“. Diese entstanden in folgender Weise.

Mit dem Aufhören abendländisch-christlicher Herrschaft im gelobten Lande und Syrien durch die Erstürmung von Akkon oder Ptolemais (heutzutage „St. Jean d’Acre“), im Jahre 1291, durch die Saracenen, hatten die Hochmeister ihre (ohnehin stets nur unbedeutenden) Besitzungen im Morgenlande verloren und nahmen nun ihren Wohnsitz in der alten Dogenstadt Venedig. Jedoch schon der dritte dort lebende Hochmeister, Ritter Siegfried von Feuchtwangen, der überdies vor seiner Wahl zum Hochmeister „Landmeister in Preußen“ gewesen war, fand es unpassend, fern von dem Lande, über welches er gebot, als einfacher Bürger, ja als Flüchtling, zu leben. Er beschloß deshalb, seinen Wohnsitz mitten in das Herz des Landes, das ihm und dem Orden gehorchte, nach der Marienburg, zu verlegen. Da aber die dort vorhandenen Räumlichkeiten nicht genügend und nicht geeignet waren, den Herrscher eines Staates aufzunehmen, der schon damals einen Umfang hatte, wie etwa heutzutage Hannover, Oldenburg und Braunschweig zusammengenommen, so ließ Hochmeister Siegfried dem Hochschlosse das „Mittelschloß“ Marienburg als fürstliche Residenz und die „Vorburg“ als Wohnung der niederen Hofbeamten, der Knechte und des Trosses erbauen. In diese neu geschaffenen Räume hielt er dann am 14. September des Jahres 1309 seinen prunkvollen Einzug. Nach ihm haben noch sechzehn Hochmeister hier gethront und sind zum größeren Theile auch hier begraben; unter ihnen Werner von Orselen, der durch Meuchelmord fiel; Luther, Herzog zu Braunschweig-Wolfenbüttel, ein Minnesänger; Ludolph von Weitzau, welcher den größten Dom des Preußenlandes, die „Marienkirche“ zu Danzig, zu erbauen begann; Winrich von Kniprode, unter welchem der Deutschherren-Orden seine höchste Blüthe erreichte, und Conrad von Rothenstein, unter dem er diese behauptete; Ulrich von Jungingen, welcher die Niederlage bei Tannenberg (am 15. Juli 1410) erlitt und damit das Sinken seines Ordens sah; Heinrich, Graf Reuß zu Plauen aus der Linie Greiz, der männliche Held, des Ordens Retter in bedrängter Zeit und dann dessen Gefangener; endlich Ludwig von Erlichshausen, welcher am 6. Juni 1457 bei Nacht und Nebel als Flüchtling die Marienburg verlassen mußte, in welcher seine Vorgänger anderthalb Jahrhunderte hindurch als Fürsten regiert hatten. Sic transit gloria mundi!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_084.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)