Seite:Die Gartenlaube (1859) 089.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 7.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.       Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sand.

Historische Novelle von Max Ring.
(Fortsetzung.)

Erst in der letzteren Zeit war eine gewisse Erkaltung zwischen Berthold Zeisig und Friedrich Hagen eingetreten, weil mit den zunehmenden Jahren die Verschiedenheit ihres Wesens und ihrer Gesinnungen immer schroffer hervortrat. Dieser Zwiespalt wurde noch dadurch verstärkt, daß Beide sich um die Gunst einer jungen Dame bewarben, die sich jedoch, wie zu erwarten stand, für Hagen erklärt hatte und so gut wie seine Verlobte war, obgleich er vor Beendigung seiner Studien noch nicht daran denken durfte, öffentlich um ihre Hand anzuhalten. Die Liebenden hatten sich vorläufig heimlich Treue geschworen und sahen mit Vertrauen der Zukunft entgegen, da es Friedrich bei seinem anerkannten Talent und der Stellung seines Vaters nicht fehlen konnte, bald ein passendes Amt zu erlangen.

Bei dieser Gelegenheit hatte Berthold seinen wahren Charakter mehrmals verrathen und den Freund, der ihm das größte Vertrauen schenkte, mit seiner Geliebten durch geschickt angebrachte Verleumdungen zu entzweien gesucht. Deshalb erwiderte Hagen auch jetzt den Gruß desselben mit ablehnender Kälte, aber Berthold ließ sich dadurch keineswegs zurückschrecken; er rechnete dabei, eben so sehr auf den offenen, leicht versöhnlichen Charakter seines Jugendgenossen, wie auf die gehobene Stimmung des Augenblickes. In der That täuschte er sich nicht in seinen Voraussetzungen.

„Wo aber bist Du hergekommen?“ fragte Hagen im Laufe des Gespräches. „Ich wußte nicht, daß Du Dich für die Bestrebungen der Burschenschaft so lebhaft interessirst. Offen gestanden glaubte ich, daß Du Dich weit eher zu den entgegengesetzten Ansichten hinneigst und nur Deine baldige Versorgung im Staatsdienste mit allen Kräften verfolgst.“

„Du siehst daraus, wie Unrecht Du mir thust. Von jeher habe ich für die Freiheit und das Vaterland geglüht; aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die mit ihren Empfindungen Staat machen. Mein Bestes gebe ich der Welt nicht Preis; deshalb werde ich leider selbst von meinen Freunden verkannt. Als ich von der erhabenen Feier auf der Wartburg hörte, ließ es mir keine Ruhe in Berlin, und obgleich ich, wie Du am besten weißt, nur ein armer Kerl bin, der nicht einen Groschen übrig hat, machte ich mich doch auf den Weg, um bei dieser schönen Gelegenheit nicht zu fehlen. Dafür bin ich jetzt belohnt genug, da ich Dich hier gefunden und Deine Verzeihung erlangt habe. Deine Hand her! Alles, was auch zwischen uns früher vorgefallen sein mag, ist heute vergeben und vergessen?“

„Ich habe Dir schon einmal gesagt, daß ich an die abgethane Geschichte nicht mehr denken will.“

„Ich danke Dir. Hoffentlich wird die Gelegenheit nicht ausbleiben, wo ich zeigen kann, wie sehr ich Dich von ganzem Herzen liebe.“

„Reden wir nicht mehr davon!“

„Gut! Wir wollen lieber trinken. Auf das Wohl Deiner Braut!“

Die Bierstube hatte sich allmählich bis auf den letzten Platz gefüllt; die langen Tafeln waren mit Studenten aus allen Ländern besetzt, denen nach Burschenart das Herz beim Glase aufging. Der edle „Stoff“, wie in der Studentensprache das Bier genannt wurde, floß in Strömen, und der Wirth hatte alle Hände voll zu thun, um die durstigen Kehlen zu befriedigen. Es wurde aber nicht blos getrunken; überhaupt war dafür gesorgt, daß sich kein gewöhnlicher „Commers“ heute entwickelte, da die meisten Anwesenden für das leere Formelwesen nicht den nöthigen Sinn oder vielmehr Unsinn mitbrachten, weil ihre Seele von ernsteren und heiligeren Gedanken erfüllt war. Dafür wurde bald von einem oder dem Anderen ein feierliches Lied angestimmt, in das der Chor mit brausender Begeisterung einfiel. Ab und zu ergriff wohl auch einer der Anwesenden das Wort und sprach in sinniger Weise von der Bedeutung des morgen stattfindenden Festes. Dann wurde wieder die Unterhaltung eine allgemeinere, aber stets drehte sie sich um die höchsten Güter der Menschheit, um das Vaterland, um die Freiheit, um die Aufgabe der deutschen Jugend und ihre Stellung zum Staate. Hier mahnte ein jugendlicher Redner zur Einigkeit und beschwor die Zunächstsitzenden, alle kleinlichen Zwistigkeiten und Eifersüchteleien fahren zu lassen, dort kämpften zwei ebenbürtige Gegner um den Vorzug des Fichte’schen Systems vor der Naturphilosophie Schelling’s und übertrafen sich in tiefen Gedanken und scharfsinnigen Bemerkungen, die allerdings in einer Sprache vorgebracht wurden, die aus dem „Philosophischen“ erst in’s „Deutsche“ übersetzt werden mußte, wenn sie der Uneingeweihte verstehen sollte. An jenem Tischende wurde die hohe Bedeutung Luther’s für das deutsche Volk von einem Theologen auseinandergesetzt, während an der entgegengesetzten Ecke ein Jurist, der mit dem eisernen Kreuze geschmückt war, die Nothwendigkeit einer neuen Gesetzgebung nachwies und die Schwurgerichte als eine urdeutsche Einrichtung dringend anempfahl.

So rauschte und brauste der Redestrom beim Glase Bier und spärlicher Beleuchtung; an einfachen Holztischen und in dem mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_089.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2019)