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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wird, dann stehe ich dafür, daß kein leichtfüßiger Franzmann mehr die deutsche Grenze überschreiten wird.“

Mit solchen fast komischen Vorschlägen wechselten wieder die klarsten Gedanken und herrlichsten Lehren. Besonders zeigten seine Ansichten über das „Turnen“ von einem reiflichen Nachdenken und seinem gesunden Sinn, womit er diese von ihm hauptsächlich angeregten Leibesübungen betrachtete; obgleich er auch hier das Wahre mit dem Falschen, das Lächerliche mit dem Heiligen und Ernsten in seiner wunderlichen Weise vermischte. Trotzdem war seine durchaus wahre, treue und kernhafte Natur ganz geeignet, ihm die Herzen seiner Hörer zu gewinnen, und selbst die Frauen mochten den ehrlichen Turnvater, ungeachtet seiner derben Scherze, leiden und liebten ihn von ganzem Herzen.

Nachdem sich Jahn mit den Freunden eine kurze Zeit unterhalten, gab er das Zeichen zum Beginn des Turnens, welches eine Menge von Zuschauern nach der Hasenhaide gelockt hatte. Es war in Berlin Mode geworden, den Kampfspielen der rüstigen Jugend vor dem Halleschen Thore beizuwohnen, und besonders schwärmte die Damenwelt der Residenz für diese körperlichen Uebungen. Ueberall herrschte ein heiteres Leben und Treiben; es war ein herrliches und zugleich fröhliches Schauspiel, diese Menge jugendlicher Turner in ihren kleidsam knappen Trachten zu sehen, wie sie im Spiele ihre Kräfte übten, ihre Muskeln stählten und sich zum Kampfe, wenn ein Feind von Neuem dem Vaterlande drohte, vorbereiteten. Das Bewußtsein dessen, was die Turner in den Befreiungskriegen bereits geleistet, und der Gedanke, daß unter dem Spiele ein tieferer Ernst schlummerte, gab ihnen aber ein stolzes Gefühl, das sich zuweilen bis zu einem gewissen rücksichtslosen Trotze steigerte. Auch war nach und nach ein politisches Streben, ein erhöhtes Freiheitsgefühl und die lebendigste Theilnahme an den Tagesfragen unwillkürlich in den Turnern erwacht, welches sich in mannichfacher Weise äußerte und den furchtsamen oder zum Rückschritt geneigten Staatsmännern bereits bedenklich erschien.

Vorläufig aber blühte noch die edle Turnkunst in Berlin und Jahn selbst stand bei dem Staatskanzler Hardenberg in hohem Ansehen, obgleich er durch manche unvorsichtige Aeußerung sich schon viele und einflußreiche Feinde gemacht hatte. Sein kindliches Vertrauen verführte ihn oft dazu, selbst vor unreifen Gymnasiasten sich gehen zu lassen, oder gar Unwürdigen seine geheimsten Gedanken preiszugeben und dadurch sich selbst, so wie seiner guten Sache wesentlich zu schaden. – In diesem Augenblicke aber war Jahn noch an der Spitze seiner Turner, von denen er wie ein Vater verehrt wurde. In seiner Jugendlichkeit, die er sich bis in das späteste Alter bewahrte, stand er der Jugend um so näher, die er zu allen Spielen und Uebungen anführte. Er selbst wetteiferte mit ihnen im Springen, Laufen und Ringen; es war eine Freude, den wackeren Mann mitten in dem Kreise der blühenden Gestalten zu sehen, die er durch Wort und Beispiel anfeuerte. Bald munterte er die Ungeschickteren auf und zeigte ihnen, wie sie es besser machen sollten; bald zügelte er die Uebermüthigen und hielt die Ordnung aufrecht, ohne die wahre Fröhlichkeit zu verscheuchen. Brach ein Streit aus, so wurde er zum Schiedsrichter aufgerufen und seinem Ausspruche fügte sich Jeder willig. War auch die Hasenhaide kein olympisches Gefilde und die Berliner Jugend keine griechische, so erinnerte doch unwillkürlich das ganze Schauspiel an jene schöne Vergangenheit, wo im muthigen Ringen nur in Kampfspielen um den höchsten Preis gestritten wurde.

Auch Sand wurde von dem Anblicke tief ergriffen und er konnte es sich nicht versagen, in das fröhliche Gewühl zu stürzen und selbst daran Theil zu nehmen. Er war ein muthiger und gewandter Turner; jetzt zeigte er seine Geschicklichkeit in gewagten Sprüngen und Sätzen. Mit der großen Stange in der Hand schwang er sich im behenden Lauf über Gräben und Hecken; dann ergriff er das Seil und kletterte bis zur höchsten Spitze des Mastbaumes, der in der Mitte des Platzes stand; auch am Barren und Reck zeigte er seine Gewandtheit und Körperkraft, worin er es Allen und selbst den Vorturnern zuvorthat.

„Das nenn’ ich,“ rief Jahn, „einen echten deutschen Turner, frisch, fromm, frei und fröhlich, wie unser schöner Denkspruch lautet.“

In der That erregte auch Sand durch seinen Muth und seine Geschicklichkeit die Bewunderung aller Zuschauer, welche mehr als einmal ihn, ihren lauten Beifall zujauchzten. Besonders aber gefiel sein männliches und bescheidenes Wesen den Frauen; sie rühmten seine Gestalt, die sich bei solchen Leibesübungen auch am vortheilhaftesten darstellte. – Nur Emma konnte sich eines leisen Aufschrei’s nicht erwehren, als er allzukühn von der schwindelnden Höhe herab die Freunde mit geschwungener Mütze grüßte. Unwillkürlich mußte sie die Augen schließen, weil sie fürchtete, daß er herabstürzen konnte; ihre Phantasie sah ihn bereits mit zerschmetterten Gliedern zu ihren Füßen liegen. Das laute Schlagen ihres Herzens, die Bangigkeit ihres ganzen Wesens verrieth ihr selbst zum ersten Male, daß sie für Sand lebhafter fühlte, als sie sich eingestehen wollte. Julien war ihre Bewegung und der leise Schrei nicht entgangen; weshalb diese auch die Freundin neckte, welche lieblich bis zu dem weißen Hals erröthete. Auch Jahn, dessen Pathenkind sie war, und der sie von Jugend auf kannte, scherzte in seiner derben Weise über die Besorgnisse des Mädchens.

„Töchterchen,“ sagte er lächelnd, „Du brauchst um den schmucken Turner keine Angst zu haben; er wird den Hals nicht brechen. Wenn er fällt, so fällt er höchstens noch einmal in Deine Arme und ich wette darauf, daß Du ihn recht festhalten und nicht mehr loslassen wirst.“

Mit schallendem Gelächter weidete er sich an ihrer Verlegenheit, während Emma abwechselnd bald roth wie eine zart angehauchte Frühlingsrose, bald wieder bleich wie die weiße Lilie wurde, der sie in jeder Hinsicht glich. Nur ein Mensch hatte keine Ahnung von dieser aufblühenden Liebe in dem Herzen der Jungfrau, und dies war Sand selbst. Ein einziger Gedanke erfüllte seine Seele so vollständig und ausschließlich, daß kein zweiter darin Raum finden konnte. Das Wesen der Liebe sollte ihm für immer fremd bleiben. Es war dies eine eigenthümliche Erscheinung seiner Natur, die ihm diese zarte Empfindung für das weibliche Geschlecht versagt zu haben schien; nie hatte Sand ein Mädchen geliebt, so sehr er auch für Freundschaft empfänglich war. In dieser wie in mancher andern Beziehung zeigte sein Charakter einen antiken Anstrich, und erinnerte an die Heldengestalten des Alterthums, denen auch der Sinn für die Liebe abzugehen scheint, je stärker das Gefühl für Freundschaft in ihrem Busen lebt.

In Emma sah Sand nur einzig und allein die Schwester des Freundes, der er sich deshalb mehr näherte, als irgend einem anderen Weibe. Auch fühlte er sich zu ihr hingezogen, da sie mit ihm in seiner Begeisterung für das Vaterland und in seiner Liebe zur Freiheit übereinstimmte. Wie so häufig die Schwestern von Studenten, nahm auch sie den lebendigsten Antheil an dem akademischen Treiben und den jugendlichen Schwärmereien der Burschenwelt. Sie war die Vertraute ihres Bruders; er hatte sie in alle seine Geheimnisse eingeweiht, so daß Sand oft über ihre genaue Kenntniß aller dieser Verhältnisse erstaunte, und deshalb seine gewehrte Zurückhaltung vergaß. Trotz ihrer zarten Weiblichkeit, welche sie in keinem Augenblicke verleugnete, gab es Stunden, wo Sand in ihr nur einen liebenswürdigen Studenten, einen jüngeren Bruder zu erblicken glaubte und demgemäß mit ihr verkehrte.

Diese keimende Neigung erhielt fortwährende Nahrung durch die Lobsprüche, welche ihr Bruder und der von ihr verehrte Jahn ihrem jungen Freunde ertheilten. Sand war bald Jahn’s erklärter Liebling geworden, und der wackere Mann zeichnete ihn bei jeder Gelegenheit aus. Bei der nahen Beziehung, in welcher der Turnvater zu der Familie Hagen und besonders zu Emma stand, mochte ihm vielleicht der Eindruck nicht entgangen sein, den Sand auf das Herz des lieblichen Mädchens hervorgebracht. Die Begeisterung, mit der sie von ihm sprach, ihr Erröthen, wenn Jahn seine scherzhaften Anspielungen und Neckereien vorbrachte, bestärkten ihn nur noch in seiner vorgefaßten Meinung; obgleich Emma mit jungfräulicher Scheu sorgsam ihr Geheimniß vor aller Welt verbarg. Das jugendliche Paar, für das er die lebhafteste Neigung empfand, schien ihm für einander geschaffen, und er beschloß im Stillen, diese Liebe in seinen Schutz zu nehmen.

Zu diesem Behufe hatte er sich schon längst vorgenommen, mit Sand, zu dem er nach und nach in ein vertrautes und inniges Verhältniß getreten war, einmal Rücksprache zunehmen. Bei einem Spaziergange mit dem Freunde wußte er geschickt das Gespräch auf die Liebe und die Frauen im Allgemeinen zu lenken.

„Ein treues Weib,“ äußerte er im Laufe der Unterhaltung, „und eigener Heerd sind Goldes werth; das weiß ich aus eigner Erfahrung. Nur die tüchtige Hausfrau wird eine wackere Gattin werden, des Mannes vertrauteste Freundin, und die immer neugeliebte Geheimnißbewahrerin seiner Leiden und Freuden. Die Brave wird des Hauses Allseele sein, jedes Geschäftes Triebfeder. Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_107.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)