Seite:Die Gartenlaube (1859) 117.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 9.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.       Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sand.

Historische Novelle von Max Ring.
(Schluß.)

„Es sollte doch Einer muthig über sich nehmen, dem Kotzebue oder sonst einem solchen Landesverräther das Schwert in’s Gekröse zu stoßen,“ fuhr Sand auf.

„Wo denkst Du hin?“ entgegnete Hagen erschrocken. „Du vertheidigst einen Mord.“

„Unter gewissen Verhältnissen läßt sich selbst der Mord rechtfertigen. Haben nicht Harmodius und Aristogeiton ihr mit Rosen umwundenes Schwert dem Tyrannen und Unterdrücker ihres Vaterlandes in die Brust gestoßen und wird nicht ihre That als eine unsterbliche in den Liedern der Sänger gepriesen?“

„Das war zu einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen. Das Christenthum mit seiner milden Lehre verdammt den Mord und will nicht, daß der Sünder sterbe, sondern Buße thue.“

Sand antwortete nicht; er war wieder in Gedanken versunken. Vor seiner Seele stand ein Bild, das er sich mit immer lebhafteren Farben ausmalte. Vor einem gothischen Thorgewölbe kniete ein Jüngling, der seine eigenen Züge trug, mit einem Dolche in der Brust, mit einem andern ein Papier an das Thor heftend. Das Alles sah er deutlich vor seinen Augen stehen; er erkannte die Jesuiterkirche in Mannheim, die er einmal bei einem Besuche der Stadt flüchtig gesehen hatte.

Was wollte jetzt diese Erinnerung von ihm, die ihn nicht mehr verließ und ihn in seinen Träumen verfolgte? Eine unerklärliche Ahnung erfüllte seine Brust; sie gewann immer festere Gestalt, bis sie mit dämonischer Gewalt als eine ungeheuere That hervorbrach.

Hagen hatte die ihm peinliche Unterredung bald wieder vergessen, auch gab ihm das fernere Betragen des Freundes keine Veranlassung, darauf zurückzukommen. Dieser lebte zurückgezogen und anscheinend eifriger, als je, mit seinen Studien beschäftigt; seine Stimmung war heiterer, als gewöhnlich, obgleich er zuweilen sich den plötzlichen Ausbrüchen einer wunderlichen Laune überließ, die ihm von seinen Bekannten den Studentennamen „Spukmeier“ zuzog.

Trotz des ernsten Strebens, welches in der Burschenschaft vorherrschte, fehlte es doch der heiteren Jugend nicht an frischer Lebenslust und dem lustigen Studentengeist, der sich mit dem Ringen nach dem Höchsten wohl verträgt. So hatte die Verbindung zum Ergötzen ihrer Mitglieder ein eigenes „Bierreich“ in dem weitbekannten Dorfe Lichtenhain gegründet. Dort versammelte zu bestimmten Zeiten der erwählte Herzog, welcher den Namen „Tus“ führte, seinen ganzen Hofstaat in der sogenannten Hofburg, einer dortigen Bierwirthschaft. Einen solchen „Hoftag“ hatte der damals regierende Herzog Tus VIII. ausgeschrieben, und alle Unterthanen seines Reiches leisteten willig seinem Aufgebote Folge. Unter den Getreuen befanden sich auch Hagen und Sand, der sich von dem Freunde zu dieser Wanderung nach dem nahe gelegenen Dorfe bereden ließ. Bei ihrem Eintritte fanden sie bereits den Bierstaat in seinem vollsten Glanze. Auf einem alten Großvaterstuhle, der ihm zum Throne diente und zum Schmucke mit weiß und brauner Leinwand behängen war, saß der regierende Fürst, ein alter Bursche mit stattlichem Barte und vollen rothen Wangen, in einem mit Goldpapier besetzten Flauschrock. Statt des Scepters hielt er einen gewichtigen Ziegenhainer in der Hand, und die Stelle der Krone vertrat ein alter Hut mit einer langen Hahnenfeder. Um die halb zerbrochene Tafel, in welcher über tausend Namen eingeschnitten waren, hatten sich die apanagirten Prinzen und die Würdenträger niedergelassen. Da gab es einen Reichsverweser, einen Erzkanzler, Truchseß, Schatzmeister, Ritter und Mannen, darunter der Hofpoet und der Zeitungsschreiber bis herab zu dem Scharfrichter, welcher bezeichnend der „Bluthund von Galgenbach“ genannt wurde. Sämmtliche Chargen waren in der ihrem Charakter angemessenen Kleidung erschienen, der sie natürlich einen komischen Anstrich zu geben suchten. So trug der Hofpoet einen zerrissenen Rock und einen Lorbeerkranz in den langen Locken, in seiner Hand hielt er die siebensaitige Leyer von vergoldeter Pappe; der Scharfrichter zeigte sich in blutrothem Mantel, wozu eine alte Fenstergardine von dieser Farbe dienen mußte; ein schartiges Vorlegemesser galt als Richtschwert und sein grauenvoll gefärbtes und mit einem falschen Barte ausstaffirtes Gesicht gab ihm ein zugleich schreckliches und lächerliches Aussehen.

Auf einen Wink des Herrschers gab ein Herold mit einer verborgenen Trompete ein lautes Zeichen, und alsbald herrschte die tiefste Stille. Hierauf erhob sich der Herzog Tus VIII. und trank feierlich auf das Wohl seines durstigen Landes eine volle Kanne, „Stübchen“ genannt, kredenzt von der alten, runzligen Hofdame, der Mutter des Bierwirthes, der zum Burgvogt erhoben worden war.

„Es beginne das Kampfspiel!“ rief darauf der würdige Fürst mit gnädigem Lächeln.

„Die Schranken sind geöffnet!“ verkündigte der Herold laut und Allen vernehmlich.

Vor jedem Ritter stand eine „Lanze“, ein kleines ausgepichtes, mit Reifen umlegtes Trinkgefäß von Lindenholz in Form eines

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_117.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)