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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

niedrigen, abgestumpften Kegels. Jeder wählte sich nun einen Gegner und Beide kürten einen „Kampfrichter“ und einen „Kriegswärtel“, welche dafür sorgten, daß die Lanzen zuerst gefüllt und gleichgemacht wurden, was mit dem größten Ernste und der strengsten Unparteilichkeit geschah. Sobald die Waffen vollkommen gleich gefunden waren, ertönte der Commandoruf des Wärtels:

„Ergreifet die Waffen!“

Dies geschah, wobei die Kämpfer sich mit stolzen Blicken maßen.

„Legt Euch aus!“

Die edlen Ritter setzten die Trinkgefäße an den Mund; rings umher herrschte lautlose Stille und die höchste Spannung.

„Stoßt aus!“

In einem Nu war das Bier, auch „Stoff“ geheißen, in den Schlund hinabgestürzt und augenblicklich die Lanze auf den Tisch gestampft, daß dieser dumpf erdröhnte. Wer nur eine Secunde zu spät kam, war „in den Sand gestreckt“, wer einen Tropfen verschüttete, hatte „geblutet“ und wurde für besiegt erklärt und zuweilen noch dafür gestraft, indem er auf Befehl des Herzogs mehrere Kannen leeren mußte. War der Ausgang zweifelhaft oder fügte sich der Betreffende nicht dem Richterspruche, so wurde ein „Biergericht“ zusammengerufen, der Verbrecher angeklagt und von einem ihm beigegebenen Vertheidiger vertheidigt. Es entwickelte sich dann ein oft höchst wichtiger und ernsthafter Streit über die Auslegung und Anwendung des „Biercomments“, wie das ehrwürdige Gesetzbuch dieses Bierstaates hieß. Von beiden Seiten wurden dann die scharfsinnigsten Gründe, die witzigsten Bedenken vorgebracht und so lange hin- und hergestritten, bis der Angeklagte entweder freigesprochen oder „verdonnert“ wurde; worauf er sich mit so und so vielen Maß Bier „herauspauken“ mußte, um wieder „bierhonorig“ zu werden. Mit diesem Biertournier wechselten heitere und ernste Lieder, Rundgesänge und Vorträge des Hofpoeten, der ein allseitig fertiger Gelegenheitsdichter sein mußte.

Der muntere und jüngere Hagen fand an diesem lustigen Treiben viel Gefallen und hatte schon manchen harten Strauß mit der Bierkanne so ehrenhaft bestanden, daß Herzog Tus VIII. auf seine Verdienste aufmerksam geworden war.

„Tritt näher!“ rief er ihm mit gnädiger Miene zu.

Friedrich gehorchte und verneigte sich vor dem zum Throne erhobenen Großvaterstuhle.

„Kniee nieder!“ befahl der erhabene Fürst, „und empfange aus unseren eigenen durchlauchtigen Händen den Bierorden erster Classe mit Eichenlaub am gelben Bande.“

Mit diesen Worten hing ihm der Herzog den besagten Orden um, der in einer kupfernen, mit komischen Emblemen verzierten Medaille bestand. – Nach beendeter Ceremonie drängte Sand, der weit weniger Antheil an dem fröhlichen Schauspiele nahm, den Freund zum Fortgehen.

„Ich fürchte,“ sagte er auf dem Rückwege, „daß Du ein zu großes Wohlgefallen an derartigen Spielereien findest. Es geht Dir, wie vielen unserer Brüder, welche die Schale für den Kern nehmen.“

Hagen vertheidigte sich nicht, da er bereits die düstere Lebensanschauung seines Begleiters kannte und diese seiner melancholischen Gemüthsart zuschrieb. Auch befand er sich in Folge des reichlich genossenen Bieres in einem rauschähnlichen Zustande, der sich jedoch bei ihm in der liebenswürdigsten Weise äußerte. Er gedachte seiner Angehörigen in Berlin und besonders seiner Schwester mit rührender Zärtlichkeit. Nach und nach wurde auch Sand wieder weicher und mittheilsamer; er erzählte viel von seinen Eltern und Geschwistern, die er überaus zu lieben schien. Plötzlich aber brach er dies Gespräch, das ihn schmerzhaft berühren mußte, in schroffer Weise ab und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als wollte er dem Freunde seine hervorbrechenden Thränen verbergen.

„Was fehlt Dir?“ fragte dieser teilnehmend.

„Nichts! Was geschehen muß, muß geschehen.“

Sie waren bereits bis in die Nähe der Stadt gekommen, als ihnen aus einer benachbarten Schenke einige Studenten begegneten. Bei dem hellen Mondscheine erkannten sie an den bunten Abzeichen, daß es einige angetrunkene Landsmannschafter waren. Auch sie wurden bemerkt und bei der bestehenden Feindschaft der Verbindungen sogleich verhöhnt und „angerannt“.

„Halt Kameel!“ rief ein großer, wüster Bursche Hagen zu, indem er ihn unsanft anstieß.

„Was soll das heißen?“ fragte dieser im gereizten Tone.

„Daß so ein lumpiger Burschenschafter einem anständigen Landsmannschafter, wo er ihm begegnet, ausweichen muß.“

„Das werde ich nicht thun. – Ich finde dies Benehmen „sonderbar“.“

„Sonderbar!“ entgegnete der Händelsucher. „Das ist „Tusch“ und Sie werden wissen, daß Sie mir Satisfaction schuldig sind.“

„Das weiß ich. Mein Name ist Hagen.“

„Und der meinige von Bärenfeld. Ich werde Ihnen, morgen meinen Secundanten schicken.“

Nach bestehender Studentensitte war ein Duell die natürliche Folge dieser nächtlichen Begegnung, da seltsamer Weise das unschuldige Wörtchen: sonderbar unter Burschen für eine der größten Beleidigungen gehalten wird. Pünktlich stellte sich auch am nächsten Morgen der Secundant seines Gegners ein, um Hagen in aller Form zum Zweikampfe auf die in Jena beliebten Stoßdegen zu fordern, welche unter dem Namen „Pariser“ eine dort bekannte Waffe sind. Sand hatte sich von freien Stücken dazu erboten, der Secundant seines Freundes zu sein. Nachdem die nöthigen Verabredungen getroffen, Zeit und Ort festgesetzt waren, erschienen die beiden Duellanten zur bestimmten Stunde in dem Wirthshause eines benachbarten Dorfes, wo dergleichen „Scandäle“ ausgefochten wurden, in Begleitung ihrer Zeugen und des dazu berufenen Paukarztes, der sich bereits eine bedeutende Praxis in seinem Fache erworben hatte. Hier wurden die beiden „Paukanten“ von ihren Freunden erst mit dem sogenannten „Paukwichs“ bekleidet, der in einem vollständigen Apparate zum Schutze der gefährlichsten, bloßliegenden Körpertheile bestand. Um den Leib mußten sie eine breite, dick gepolsterte Binde legen, welche zum Theil noch die Brust bedeckte. Der Hals wurde durch eine ähnliche Vorrichtung geschützt und die Arme aus Fürsorge an den Stellen, wo die Pulsadern an der Oberfläche liegen, mit seidenen Taschentüchern umwunden, über die noch undurchdringliche hirschlederne Handschuhe kamen, die fast bis zum Ellenbogengelenke reichten. Den Kopf bedeckte nur eine leichte Mütze ohne Schirm; das Gesicht und der obere Theil der Brust war somit den Stößen des Gegners freigegeben. So ausgerüstet, standen sich die „Paukanten“ mit den Waffen in der Hand gegenüber, sich mit feindlichen Blicken messend; ihnen zur Seite waren die Secundanten aufgestellt, um die falschen Hiebe mit ihren Rappieren aufzufangen und, wenn es nöthig sein sollte, sogleich einzuspringen und die Kämpfenden zu trennen. In einer Ecke des Saales machte sich der Arzt mit seinen Binden und Instrumenten zu thun, die er behaglich und, an derartige Scenen bereits gewöhnt, theilnahmlos untersuchte und auf dem Tische ausbreitete.

Es herrschte die tiefste Stille.

Da erschallte der Commandoruf des Unparteiischen und der Kampf begann. Im hellen Sonnenlichte funkelten die Waffen und kreuzten sich, wie zwei gleißende Schlangen, die aufeinander losschießen. Beide Gegner waren sich an Kraft und Gewandtheit gleich, nur hatte der Landsmannschafter den Vortheil für sich, daß er besser, als Hagen, mit der Stoßwaffe umzugehen wußte, da dieser bis jetzt meistentheils nur mit dem „Hieber“ gefochten hatte. Diesen Mangel ersetzte er jedoch hinlänglich durch seinen kalten Muth, während der Andere durch sein hitziges Vordringen sich manche Blöße gab. Stoß auf Stoß folgte mit blitzähnlicher Schnelligkeit und ein kleiner Blutfleck bezeichnete die getroffene Stelle. Die Umstehenden verfolgten das Schauspiel mit der größten Spannung, da hier zwei ebenbürtige Gegner einander gegenüberstanden und der Ausgang des Kampfes sich nicht so leicht absehen ließ. Mehrere „Gänge“ waren bereits abgemacht, ohne ein erhebliches Resultat herbeigeführt zu haben, als Hagen, dessen Kraft zu erlahmen anfing, seine ganze Stärke zu einem gewaltigen Stoße zusammennahm, um dem Streite ein Ende zu machen. Diesen Augenblick benutzte sein Gegner und fuhr mit der scharfen Spitze seiner Waffe zwischen Brust und Armgelenk mit solcher Gewalt, daß ein Blutstrom sogleich hervorsprang und der Getroffene ohnmächtig in die Arme seines Freundes sank. – Der herbeigerufene Arzt machte ein bedenkliches Gesicht und erklärte die Wunde für gefährlich. Vorsichtig wurde der Verwundete nach Jena zurückgebracht, wo sich bald ein heftiges Fieber entwickelte. – Sand ließ es nicht an der sorgfältigsten Pflege fehlen, Tag und Nacht brachte er an seinem Lager zu. Als die Gefahr auf das Höchste gestiegen war, hielt er es für seine Pflicht, die Eltern des unglücklichen Freundes von dem Vorfalle in Kenntniß zu setzen. Schon nach einigen Tagen traf die besorgte Mutter in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)