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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Begleitung Emma’s ein, um sich selbst von dem Zustande des Sohnes zu überzeugen und seine Pflege zu übernehmen.

Hier am Krankenbette des Bruders zeigte Emma all’ die herrlichen Eigenschaften ihrer reichen Seele. Wie ein Engel des Himmels erschien sie Sand in ihrer aufopfernden Hingebung, in ihrer liebevollen Selbstverleugnung. Ihre schwache Kraft schien sich zu verdoppeln; sie ertrug Alles mit einer sich stets gleich bleibenden Heiterkeit, mit einem rührenden Gottvertrauen. Wie lieblich war sie nicht, als sie ihm mit sanftem Erröthen für die Treue dankte, die er dem liebenden Bruder bisher erwiesen!

Nach und nach erholte sich Hagen unter dieser sorgfältigen Pflege so weit, daß ihn der Arzt außer Gefahr erklären konnte. Mit strahlenden Augen und holdem Lächeln theilte ihm Emma dieses Glück mit. Diese tagtäglichen Berührungen am Krankenbette, die innige Theilnahme für einen Beiden gleich theueren Gegenstand, die gemeinschaftliche Furcht und Hoffnung waren wohl geeignet, ein inniges Band zu knüpfen und die Brust des liebenswürdigen Mädchens von Neuem mit süßen Träumen zu erfüllen. Sie gab sich um so leichter einer solchen Täuschung hin, da auch Sand in manchen Augenblicken sein strenges Wesen schwinden ließ und, eine wehmüthige Weichheit zeigte, die mit seiner sonstigen Zurückhaltung wunderbar contrastirte und durch den überraschenden Gegensatz um so ergreifender war. Mit dieser Hingebung wechselte freilich oft genug jene düstere Stimmung; mitten im Gespräch verstummte er plötzlich, wie von einem tiefen Schmerz ergriffen; dann sprang er auf und eilte in das Freie, wo er oft bis nach Mitternacht auf einsamen Wegen seinen Plänen nachhing. Ein furchtbarer Entschluß hatte sich allmählich in seiner Seele gebildet und eine solche Gewalt erlangt, daß seine bessere Ueberzeugung vergebens dagegen ankämpfte. Nur in Emma’s milder und besänftigender Nähe verließen ihn jene finstern Mächte, die seinen Geist immer mehr verdunkelten; so lange er in ihr den Himmel wiederspiegelndes Auge blickte, ihre zu Herzen dringende Stimme hörte, wich der Dämon, dem er bereits verfallen war.

Es war auch jetzt nicht Liebe, was er für die Schwester seines Freundes empfand, aber ein nahe daran grenzendes Gefühl von Verehrung, die sich seiner schwärmerischen Natur gemäß zur Begeisterung steigerte. Zuweilen war es ihm, als müßte er ihr Alles sagen und das gefährliche Geheimniß anvertrauen, seine innersten Gedanken vor ihr erschließen, aber wenn er den Mund ihr gegenüber aufthun wollte, da überkam ihn jene wilde Hast, die ihn aus ihrer beruhigenden Nähe forttrieb.

Vielleicht fürchtete er, daß ihr Einfluß stark genug sein könnte, ihn von seinem Entschlusse abzubringen; vielleicht schwankte er noch und kämpfte mit sich selber, vor der ungeheueren That zurückschaudernd. – Gewaltsam riß er sich von der holden Erscheinung los. Eines Tages war Sand aus Jena verschwunden; er war gegangen, ohne von Emma und dem noch immer leidenden Freunde Abschied zu nehmen.


VI.
Der Mord.

An einem trüben Märztage kam ein Reisender nach Mannheim und kehrte daselbst in den Gasthof zum „Weinberg“ ein; sein ganzes Gepäck bestand in einem leichten Tornister, worin einige Leibwäsche und mehrere Bücher lagen, darunter das Neue Testament und Körner’s „Leyer und Schwert“. Weder in seinem Aeußeren, noch in seinem Benehmen zeigte sich irgend etwas Auffallendes. Er ließ sich einen Schoppen Wein geben, den er in aller Ruhe trank, wobei er sich mit dem Wirthe unterhielt. Nachdem er den vor ihm stehenden Schoppen ausgeleert, forderte er einen Lohnbedienten, der ihn nach der Wohnung des Herrn von Kotzebue führen sollte. Zuvor brachte er seine von der weiten Reise bestäubte Toilette noch in Ordnung; er ließ sich die Kleider abbürsten und band ein seidenes Tuch um den Hals, den er gewöhnlich offen trug.

Nachdem der Lohnbediente dem Fremden die verlangte Wohnung gezeigt, gab dieser ihm ein Trinkgeld, winkte ihm, sich zu entfernen, und klingelte an der Hausthür. An der Schwelle schien ihn ein leiser Schauder zu erfassen, seine von der rauhen Märzluft gerötheten Wangen verfärbten sich, unwillkürlich trat er einen Schritt zurück; bald hatte er dies unter seinen Verhältnissen natürliche Gefühl überwunden. Vorsichtig fühlte er nach seinem linken Rockärmel, als wollte sich von dem Vorhandensein eines darin verborgenen Gegenstandes überzeugen. Eine Magd öffnete die Thür und fragte nach seinem Namen und seinem Begehr. Er nannte sich Heinrichs aus Mitau und verlangte den Herrn Staatsrath Kotzebue zu sprechen. Dieser war nicht zu Hause und die Magd bestellte den Besuch zwischen fünf und sechs Uhr wieder.

Hierauf eilte der Fremde dem Lohnbedienten nach, von dem er sich nach der Jesuiterkirche führen ließ. Dieselbe war jedoch verschlossen; er betrachtete dieselbe von außen und blieb einige Augenblicke unter dem gewölbten Portale des schönen Gotteshauses wie in tiefer Betrachtung versunken stehen. Da auch das Naturaliencabinet, das er zu sehen begehrte, nicht geöffnet war, so ging er in Begleitung des Lohnbedienten nach dem herrlichen Schloßgarten, wo er einige Zeit unter den Bäumen auf- und abwandelte; dann ließ er sich den Rhein zeigen, auf dessen Wellen er träumerisch niederblickte. Um ein Uhr kehrte er von seinem Spaziergange in den Gasthof zurück, wo er table d’hôte speiste und sich mit zwei Geistlichen aus der Umgegend angelegentlich über Luther und die Reformation unterhielt. Alles, was er sagte, war besonnen und durchdacht; keine Spur von Zerstreuung und Mißstimmung ließ sich an ihm wahrnehmen.

„Haben Sie den Herrn von Kotzebue getroffen?“ fragte ihn bei Tische der Wirth.

„Nein!“ entgegnete der Fremde trocken.

Das Fremdenbuch wurde ihm nach dem Essen vorgelegt, er schrieb ohne Zögern den Namen Heinrichs ein und gab als seinen Wohnort Mitau an, wie er dies bereits bei seiner Ankunft gethan. Seine Zeche bezahlte er sogleich; gegen fünf Uhr entfernte er sich, ohne Abschied zu nehmen, und schlug den Weg nach der ihm jetzt bekannten Wohnung Kotzebue’s ein. In ruhig festem Schritte näherte er sich dem Hause, welches an der Ecke der Straße und in der Nähe des Platzes lag, wo das Mannheimer Theater steht. – Der bekannte Schauspieldichter lebte hier seit kurzer Zeit, nachdem er von Weimar fortgezogen war. Er genoß eine jährliche Pension von 15,000 Rubeln, welche ihm die russische Regierung für seine Berichte über deutsche Zustände und anderweitige Dienste zahlen ließ. Ein geborner Deutscher, war er nach Rußland gekommen und der Kaiserin Katharina empfohlen worden. Bald gelangte er daselbst zu Ansehen und Vermögen, demungeachtet forderte er seine Entlassung und kehrte nach Deutschland zurück. Wo er durch seine berüchtigte Schmähschrift „Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn“, die er noch dazu unter Knigge’s Namen erscheinen ließ, die Achtung verlor, welche er sich durch sein leichtes, gefälliges Talent nicht mit Unrecht erworben hatte. Da er zwei Söhne im Cadettenhause zu Petersburg gelassen hatte, so kehrte er nach Rußland zurück. Ohne bestimmten Grund wurde er hier an der Grenze verhaftet und auf Befehl des Kaisers Paul nach Sibirien gebracht. Ein glücklicher Zufall rettete ihn, indem dem Kaiser die russische Uebersetzung eines kleinen Drama’s, „Der Leibkutscher Peter des Großen“, in die Hände fiel, worin der Dichter den großen Herrscher verherrlichte. In Folge dieses günstigen Ereignisses wurde Kotzebue begnadigt, durch Schenkung eines Krongutes entschädigt und wieder in russischem Dienste als Collegienrath angestellt. Während der Regierung Alexanders zeichnete er sich durch seinen Haß gegen Napoleon aus, den er von der Bühne und in öffentlichen Blättern mit allen ihm zu Gebote stehenden Waffen bekämpfte.

Nach der Besiegung des Usurpators nach Deutschland geschickt, um die dortigen Zustände zu überwachen, trat er jetzt mit demselben Fanatismus als ein Gegner der auftauchenden liberalen Ideen und als offenkundiger Russenfreund auf, indem er mit seinem beißenden und oft frivolen Spotte das Verlangen der Völker nach ständischer Verfassung, Preßfreiheit und vor Allem den Gedanken an ein einiges Deutschland mit seiner satirischen Laune geißelte. Grund genug, daß er den Haß der Freisinnigen auf sich zog und besonders den Unwillen der feurigen Jugend erregte. Kotzebue war damals nicht der Einzige, der im russischen Sinne den Absolutismus vertheidigte und die sich immer mehr ausbreitende Reaction begünstigte. Zu allen Zeiten aber sucht der Fanatismus der Menge nach einem Opfer und ist nur zu geneigt, die Uebelstände, welche in der Zeit und in den Verhältnissen liegen, einer hervorragenden Persönlichkeit zuzuschreiben und auf diese ihren ganzen Haß zu übertragen. Zu dieser nicht beneidenswerthen Stellung war Kotzebue weniger durch seine Bedeutsamkeit und große Schädlichkeit, als vielmehr durch seine maßlose Eitelkeit und die Verachtung gelangt, die er sich durch seine fortwährenden literarischen Händel zugezogen hatte. Es bedurfte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)