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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

daher nur der geringsten Veranlassung, um diesen Unwillen zum Ausbruch zu bringen und dem dumpfen Zorngefühle eine bestimmte Richtung zu geben. Auch daran fehlte es nicht, indem die Veröffentlichung seiner russenfreundlichen Berichte und seine Vertheidigung einer Schrift des russischen Staatsrathes Stourdza, worin dieser die deutschen Hochschulen auf das Schmählichste angriff, die allgemeine Gährung zur bedenklichsten Höhe steigerte, wovon das Autodafé auf der Wartburg bereits ein warnendes Vorzeichen war. – In einer ohnehin politisch aufgeregten Zeit, wo die Gemüther noch von Liebe zum Vaterlande und von Haß gegen seine Unterdrücker glühten, wo die gespannte Thatenlust noch nicht zur vollen Ruhe gekommen, die höchste Opferfreudigkeit noch nicht erloschen war, konnte leicht bei einem jener schwärmerischen Jünglinge dieser Haß zum wildesten Fanatismus werden und selbst vor einem Verbrechen nicht zurückschaudern, wo es sich um einen vermeintlichen oder wirklichen Verräther handelte.

Von ähnlichen Gedanken war der Fremde beseelt, der um fünf Uhr wieder vor Kotzebue’s Thür stand. Der Bediente, welcher ihm diesmal öffnete, führte ihn, ohne erst nochmals nach seinem Namen zu fragen, die Treppe hinauf und meldete ihn. Drei Damen, welche Frau von Kotzebue besuchen wollten, gingen an ihm vorüber; er grüßte sie höflich. Der Bediente lud ihn ein, in das Wohnzimmer der Familie zu treten. Kotzebue, ein hoher Fünfziger mit verschwommenen Zügen, die mehr auf einen schwachen, eiteln, als auf einen gefährlichen Charakter schließen ließen, trat ihm mit freundlichem Lächeln entgegen. Bei seinem Anblicke zuckte der Fremde zusammen, doch beherrschte er sich so weit, um ihn zu begrüßen und sich ihm als einen Reisenden vorzustellen, der die Bekanntschaft des berühmten Theaterdichters zu machen wünschte, worin durchaus nichts Auffälliges liegen konnte.

„Sie sind aus Mitau?“ fragte Kotzebue arglos.

„Ich rühme mich,“ entgegnete der Fremde, der ihm ganz nahe getreten war, „Ihrer gar nicht – Hier, Du Verräther des Vaterlandes!“

In demselben Augenblicke zog er den verborgenen Dolch rasch hervor und stürzte auf den Erschrockenen, der vor Entsetzen sprachlos stand. Ehe dieser noch um Hülfe schreien konnte, fiel er am Eingange des Zimmers von mehreren Stichen durchbohrt auf die Erde. Keine Reue schien den Mörder zu beschleichen, selbst da nicht, als er in das brechende Auge seines Opfers starrte.

Aus diesem dumpfen Brüten wurde der Fremde durch die Erscheinung eines Kindes geweckt, dessen Anwesenheit er bisher nicht bemerkt hatte.

„Du hast wohl mit Vater Krieg gespielt?“ fragte ihn der vierjährige Knabe Kotzebue’s, der den Ermordeten vergebens zu erwecken suchte. Als das Kind aber das Blut des Vaters aus der Wunde hervorströmen sah, stieß es einen lauten Schrei aus. Dieser Schrei klang dem Verbrecher wie die Stimme des Gerichts und mahnte ihn an seine furchtbare That; jetzt erst erfaßte ihn die Reue und er kehrte den noch blutigen Dolch gegen seine eigene Brust. Der Stoß ging jedoch nicht tief und hatte nur einen erschöpfenden Blutverlust zur Folge, so daß auch er zusammenbrach. Das laute Geräusch, welches sein Fall verursacht haben mochte, führte den Bedienten und Kotzebue’s Tochter Emmy herbei. Als Beide eintraten, fanden sie ihren Herrn und Vater als einen Sterbenden, sie hoben ihn vom Boden auf und führten ihn, da er noch so viel Kraft besaß, in das nächste Zimmer. Dort gab er noch einige unarticulirte Töne von sich, dann sank er einige Schritte von der Thür zusammen und starb in dem Schooße seiner Tochter, noch ehe ärztliche Hülfe herbeigerufen werden konnte.

Der Mörder war allein, da bei der allgemeinen Verwirrung Niemand an ihn gedacht hatte; er stürzte durch die geöffnete Thür an zwei Dienstmädchen vorüber, die, entsetzt vor seinem Aussehen und dem blutigen Dolche, den er noch immer in der Hand hielt, ihn nicht aufzuhalten wagten. Sie schrieen nach Hülfe; zugleich riefen die Damen aus dem geöffneten Fenster: „Haltet den Mörder fest!“

Schon sammelten sich Leute auf der Straße; der Fremde sah wohl ein, daß er nicht mehr entfliehen konnte; er zog aus seiner Brusttasche ein Papier, das er dem Bedienten, welcher nach der Wache eilte, mit den Worten überreichte: „Da nimm es!“

Das Papier trug die Aufschrift: „Todesstoß für August von Kotzebue“ und enthielt eine Rechtfertigung seiner That vom politischen Standpunkte aus. Die ursprüngliche Absicht des Thäters war es, diese Schrift wie ein Urtheil der geheimen Vehme an Kotzebue’s Thür zu befestigen. Durch die Umstände war er jedoch daran gehindert worden.

„Haltet den Mörder!“ tönte es wieder aus dem geöffneten Fenster des Trauerhauses.

„Ich bin kein Mörder,“ entgegnete stolz der junge Mann den hülferufenden Damen. „Hoch lebe mein deutsches Vaterland!“

Dann ließ er sich vor der versammelten Menge, die bestürzt in dumpfer Betäubung ihn umstand, auf ein Knie nieder, während sein bleiches Gesicht von fanatischer Begeisterung erglühte.

„Ich danke Dir, Gott,“ murmelte er, „daß Du mir die Kraft verliehen.“

Ehe ihn Jemand hinderte, setzte er den Dolch auf die eigene linke Brust und stieß ihn langsam und mit fester Hand hinein, bis er festsaß. – Jetzt erst schien die Menge zu erwachen; man sprang hinzu. Ein Schuhmachergeselle zog ihm den Dolch aus der Brust, eine Frau wusch den Ohnmächtigen mit schnell herbeigeholtem Essig, worauf er die Augen wieder öffnete und Zeichen gab, daß er noch am Leben sei. Jetzt kam auch die indeß herbeigeholte Wache, welche den Schwerverwundeten auf eine Tragbahre hob und ihn in das Hospital brachte.

Niemand kannte ihn, aber man ahnte, daß der Mörder kein gewöhnlicher Mensch sei und seine That nicht mit dem gewöhnlichen Maßstäbe gemessen werden könnte.

Bis zum Abend blieb er bewußtlos; sein Gesicht war todtenblaß, sein Puls kaum fühlbar. Erst nach einigen Stunden erholte er sich so weit, daß ein Verhör mit ihm angestellt werden konnte, nachdem er zu seiner Stärkung einige Tropfen Wein genossen hatte. Auf die Frage, ob er Kotzebue ermordet habe, richtete er den Kopf in die Höhe und nickte einige Mal kräftig und rasch. Da ihn seine Wunde am Sprechen hinderte, verlangte er Papier und schrieb seinen Namen, den man ihm abforderte.

Er hieß: Karl Ludwig Sand aus Wunsiedel, Student.

Darunter setzte er die Worte: „August von Kotzebue ist der Verführer unserer Jugend, der Schänder unserer Volksgeschichte und der russische Spion unseres Vaterlandes.“

Bei dieser Aussage verharrte er auch im ferneren Verlaufe der mit ihm angestellten Untersuchung; er behauptete, keinen Mitwisser seiner That gehabt zu haben, und wies alle derartigen Fragen mit Entschiedenheit zurück. Seine Angaben wurden durch die peinlichsten und genauesten Nachforschungen der Gerichte bestätigt.

Sand hatte keine Mitschuldigen, seine That gehörte ihm allein; keiner seiner Freunde wußte darum.

Ehe er von Jena abreiste, hatte er in einem Schreiben an die Burschenschaft dieser seinen Austritt aus der Verbindung angezeigt; einen ähnlichen Brief richtete er an seine Freunde und an seine Eltern, worin er diese um Verzeihung bat und seine That als den Ausfluß seines eigenen Entschlusses entschuldigte. Diese Briefe wurden in seinem Schreibtische vorgefunden und lieferten den Beweis, daß sein Vorhaben, Kotzebue zu tödten, nach schweren inneren Kämpfen nur in seiner Brust entstanden war. Nichts sprach für die Wissenschaft und Theilnahme seiner Freunde oder der damaligen Burschenschaft, der er zufällig angehörte. Am wenigsten war die Annahme gerechtfertigt, daß Sand den Mord im Auftrage einer politischen Partei begangen, obgleich es nicht an ähnlichen Beschuldigungen fehlte.

Ungeheuer war das Aufsehen, welches seine That erregte. Durch ganz Deutschland flog die Kunde wie ein Blitz und erfüllte die Gemüther mit Furcht und Entsetzen. Die Freunde der Freiheit trauerten, ihre Gegner ergriffen die willkommene Gelegenheit, ihrem langverhaltenen Hasse Luft zu machen. Die Schuld eines Einzelnen sollte dazu dienen, die ganze Jugend Deutschlands zu unterdrücken, die Freiheit der Universitäten zu beschränken, dem Geiste Fesseln anzulegen. Die Reaction triumphirte und beutete den Mord Kotzebue’s in ihrem eigenen Interesse aus. Eine an sich verwerfliche Handlung, welche zu allen Zeiten geschehen konnte, wurde zu einem Verbrechen gestempelt, dessen Strafe nicht nur den eigentlichen Urheber, sondern unzählige Unschuldige treffen sollte. Nicht Sand allein, die ganze deutsche Studentenwelt wurde dafür verantwortlich gemacht. Der Bundestag in Frankfurt am Main bot seine Hand zu einem Inquisitionsverfahren, das von den traurigsten Folgen begleitet war; an verschiedenen Ort wurden Untersuchungscommissionen eingesetzt, besondere Gerichtshöfe bestellt, Maßregeln getroffen, welche die Axt an die Universitäten, diese Bildungsstätten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_120.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)