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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Er grüßte noch vorher seine Mitgefangenen, die an den Fenstern lagen und hinter den eisernen Gittern ihm weinend nachschauten. Als das Hofthor aufging und die versammelte Menge den Verurtheilten erblickte, hörte man ein allgemeines Schluchzen. Langsam bewegte sich der Zug nach dem kaum 800 Schritte entfernten Richtplatz. Zur Seite des Wagens gingen zwei Zuchtmeister mit Trauerfloren. Sand saß, da die lange Krankheit ihn abgezehrt, zurückgelehnt im Arme des Oberzuchtmeisters, den er ersucht hatte, wenn er etwas Schwächliches an ihm bemerken sollte, ihm seinen Namen zuzurufen. Sein Gesicht war leidend, die Stirn aber offen frei; die Züge interessant, ohne schön zu sein. Alles Jugendliche war daraus geschwunden. Er trug nicht seine altdeutsche Kleidung, sondern einen schlichten, grünen Oberrock, weißleinene Beinkleider und Schnürstiefeln. Der Kopf war unbedeckt. Auf dem Schaffot erwartete ihn der Scharfrichter mit seinen Helfern, alle schwarz gekleidet. Das Gesicht des Nachrichters war noch bleicher, als das des Verurtheilten. Von zwei Begleitern unterstützt, betrat Sand das Blutgerüst; er blickte noch einmal nach Mannheim und auf das versammelte Volk zurück, dann schweifte sein Auge über die Natur im Frühlingskleide, ein Schauspiel, das er seit vierzehn Monaten schmerzlich entbehrt hatte. Es war im Monat Mai, der Sonnabend vor Pfingsten, wo Alles lebt, blüht und duftet.

Vielleicht war ihm der Abschied nicht so leicht, als er geglaubt; oder hoffte er im Geheimen, wie das Volk, noch immer auf Befreiung? zürnte er, daß diese sich nicht sehen ließ, daß seine Brüder sich nicht zeigten, um ihn dem Henker zu entreißen, ihn nach dem Kahne zu führen und an das rettende Ufer zu tragen?

Denn nachdem er sich so im Kreise umgeschaut, warf er sein Taschentuch kräftig zu Boden; dann hob er die rechte Hand in die Höhe, als ob er einen Eid schwöre, richtete seine Augen zum Himmel und öffnete seine Lippen, um das Volk noch einmal anzureden. Der anwesende Beamte mahnte ihn jedoch an sein Versprechen, daß er jede derartige Ansprache unterlassen wollte.

„Gott gibt mir,“ flüsterten nur noch leise seine Lippen, „viel Freudigkeit – es ist vollbracht – ich sterbe in der Gnade meines Gottes.“

Darauf ließ er sich ruhig, nachdem der Actuar nochmals mit lauter Stimme ihm das Todesurtheil vorgelesen, die Hände binden. Nur die Binde um die Augen bat er fortschieben zu dürfen, um noch einmal das goldene Licht des Tages zu schauen. Als er die kalte Scheere im Nacken fühlte, womit die langen Locken ihm abgeschnitten wurden, flehte er, ihm diesen Schmuck doch zu lassen.

„Sie sind für Ihre Mutter bestimmt,“ sagte der mildherzige Scharfrichter.

Sand nickte dazu und gab ihm leise den Auftrag, eine Locke für Emma Hagen aufzubewahren, was Widmann ihm versprach.

Seine Mutter und Emma waren sein letzter Gedanke.

Der Scharfrichter trat einige Schritte zurück, und schwang das blitzende Schwert mit einem unbeschreiblichen Gefühl von Schmerz und Trauer.

Feierlicher Ernst und tiefes Schweigen herrschte rings umher.

Ein kräftiger Hieb und der Unglückliche hatte geendet.

Ein Schauer durchzuckte die Versammlung bei dem Todesstreich. Die Umstehenden tauchten ihre Tücher in das strömende Blut. Nach und nach verlief sich die Menge, nur der Scharfrichter blieb wie vernichtet zurück und weinte, als hätte er sein eigenes Kind gerichtet.

Einige Monate nach seinem Tode starb Emma in Italien; auf ihrem Herzen ruhte die Locke Sand’s, welche Widmann ihr seinem Versprechen getreu nachgeschickt hatte. – Ihr Bruder durfte nicht nach Berlin zurückkehren; er wurde dort steckbrieflich verfolgt. Berthold Zeisig war sein Angeber und bewarb sich von Neuem um Juliens Hand, die ihm von ihrem Vater auch zugesagt wurde. Schon war der Verlobungstag festgesetzt, als das treue Mädchen heimlich Berlin verließ, um nach der Schweiz zu gehen, wo Hagen eine Zuflucht gefunden hatte. Mit Juliens Hülfe gründete er ein Erziehungsinstitut, das einen bedeutenden Aufschwung nahm und mehr als hinreichte, um ihn mit seiner Frau zu ernähren. Er wurde in contumaciam zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, die er natürlich nicht antrat; tief schmerzte es ihn, daß er deshalb das Vaterland nicht betreten durfte.

Erst im Jahre 1848 kehrte er nach mehr als zwanzigjähriger Abwesenheit nach Deutschland zurück, um an dem Frankfurter Vorparlamente Theil zu nehmen. Ueberall blickten ihm die alten Farben seiner Verbindung entgegen, an Fahnen, Hüten und Mützen begrüßte ihn das theure Schwarz-roth-gold. Die früheren Burschenschafter durften wieder offen ihre Gesinnungen zeigen, die der bessere Theil des deutschen Volkes jetzt laut bekannte und zu den seinigen gemacht hatte. Hagen fand in Frankfurt viele seiner Brüder wieder, unter diesen den alten Turnvater Jahn, der als Greis sich die Frische der Jugend bewahrt hatte.

Es waren schöne Tage, denen leider nur zu bald die Enttäuschung folgte.

Hagen konnte es sich nicht versagen, mit seiner Frau nach dem nahen Mannheim zu gehen. Dort ließ er sich auf den protestantischen Kirchhof führen. An der niedern Kirchhofsmauer hatte Sand ein Grab gefunden; keine Inschrift, nicht einmal ein gewöhnlicher Rasenhügel bezeichnete den Platz, wo der Unglückliche begraben war. Wein rankte sich an der Mauer auf; ewiger Klee und Vergißmeinnicht waren rings umher gesäet. Mit Wehmuth gedachte Hagen an dieser Stätte des Freundes, der das Opfer eines düstern Wahns geworden war, während Julie einen zu diesem Zwecke mitgebrachten Kranz auf das Grab niederlegte.

„Armer Sand,“ sagte sie weich. „So zu sterben! Wäre sein Fanatismus nicht gewesen, so hätte er mit uns die schöne Zeit der wiedergebornen Freiheit schauen dürfen.“

„Sein Tod,“ sagte der zum Manne gereifte Friedrich, „soll uns Allen eine Mahnung sein, in der Begeisterung selbst noch Maß zu halten. Nur zu sehr ist die Jugend geneigt, die Freiheit im Reiche der Träume zu suchen und darüber die Wirklichkeit in ihrer gesetzmäßigen Entwicklung zu vergessen. Nicht blinde Schwärmerei, sondern Klarheit und Besonnenheit führen uns zum Ziele. Die That unseres unglücklichen Freundes war der Blitzstrahl, welcher die in der Atmosphäre angesammelten ungesunden Dünste zertheilt und verscheucht hat. Wir sahen den Abgrund, der zu unsern Füßen lag. Ein Opfer mußte erst fallen, um die Götter der Unterwelt zu versöhnen. Wohl uns, wenn es nicht umsonst geblutet hat, wenn das deutsche Volk sich nicht von Neuem in phantastischer Schwärmerei um die Früchte seines Sieges selbst betrügt! Ich fürchte nur zu sehr, daß der augenblickliche Rausch ähnliche Ereignisse hervorrufen wird. Möge Sand’s blutiger Schatten uns dann eine Warnung sein, daß nicht das Verbrechen, sondern das Gesetz die wahre Freiheit begründet und befestigt.“

„Und mit dem Gesetz muß die Liebe sich verbinden; der Unglückliche hat sie nicht gekannt.“

„Sage lieber, daß sie ihm zu spät erschienen ist, um ihn mit dem Leben auszusöhnen.“

„Emma!“ flüsterte Julie mit Thränen in den Augen, die dem Andenken der dahingeschiedenen Schwester und Freundin flössen.

„Gott schenke Beiden seinen Frieden!“ rief Hagen tief bewegt.

Einen Strauß von Vergißmeinnicht pflückten noch die Gatten zur Erinnerung an den unglücklichen Sand; dann schieden sie in ernster Stimmung von dem Grabe, an dem Hagen Treue dem Vaterlande still gelobte, dem er von nun an wieder angehören durfte. –




Gäste auf offenem Meere.

Die alten Postkutschen, in denen man oft während einer Reise von zwanzig Meilen interessantere Bekanntschaften machte, als jetzt auf einer Eisenbahntour von fünfhundert Meilen, die alten Postkutschen und Passagiere sind bald ganz und gar in Vergessenheit gerathen. Das ist in vieler Beziehung jammerschade. Der Dampf als Locomotivkraft hat unendlich viel Gutes, aber er vermag nichts Preiswürdiges für die verloren gegangene Gemüthlichkeit und Geselligkeit der Postkutsche und des Segelschiffes zu bieten. Der Dampf saust gleichgültige Massen durch die Wunder und Schönheiten der Natur und der Geselligkeit. Man fährt erster, zweiter, dritter Classe abgeschlossen, hochnäsig und ist an Ort und Stelle ehe man Gelegenheit gefunden, einer interessanten Dame etwas Angenehmes und einem vernünftig aussehenden Mitreisenden etwas Gescheidtes zu sagen. An Ort und Stelle stieben die fremden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_123.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)