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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die hülfreichen Frauen des Frauenvereines spöttisch getauft hatte. Sie war eine jener resoluten und entschlossenen Naturen, die immer bereit sind, Jedem die Wahrheit und die eigene Meinung straff in’s Gesicht zu sagen, wobei sie selbst gelegentlich ihre Grobheit als eine Charakterstärke bewundern und sich etwas darauf zu Gute thun. Wer solchen Frauen näher steht und ihren inneren Werth von der äußeren bitteren Schale trennt, der liebt sie. Von allen anderen Menschen aber werden sie wegen ihrer offenherzigen und vorlauten Urtheile gefürchtet. Frau Amtmann Starlloff befand sich in diesem Falle. Da sie aber in der Stadt geboren und erzogen worden war, so fiel derjenige Kreis von Leuten, der sie ihrer wackeren Tüchtigkeit wegen liebte, überwiegend aus. Sie fußte darauf und maßte sich in weiterer Ausdehnung, als gut und nöthig war, die Rolle des Rathgebers an.

Voll Gift und Galle trat sie acht Tage nach dem Neujahrstage zu ihrer Nichte, die sie mit ganzer Hingebung liebte, in das Zimmer, in der rechten Hand einen Blumenwedel, in der linken einen nassen Schwamm, dem gelegentlich ein Tröpfchen entfiel, was sie jedoch in ihrem wilden Eifer gar nicht bemerkte.

„Weißt Du denn, Helene, wo Dein abtrünniger Anbeter, der Herr Cécil, eigentlich steckt?“ fragte sie, Hochroth im Gesichte und mit so starker Stimme, als solle das ganze Haus sie hören.

Helene richtete, unangenehm von der Ausdrucksweise ihrer Tante berührt, den Kopf von ihrer Stickerei auf und entgegnete mit möglichster Unbefangenheit:

„Laß ihn stecken, wo er will; was kümmert es mich, Tantchen?“

„Pfui, heuchele nicht, Helene; ich habe wohl gesehen, daß Du von seinem Betragen verletzt bist,“ eiferte die Amtmännin und schwang den Blumenwedel, als wolle sie ihr die Grillen wegscheuchen.

„Ach, wie gut, daß sie nicht Alles weiß!“ dachte Helene, sagte aber laut:

„Verletzt könnte ich mich doch nur fühlen, wenn ich Rechte hätte, sein Betragen zu tadeln, liebe Tante.“

„Bah, bah – Du heuchelst, Kind!“ schrie Frau Starkloff. „Denke Dir, er ist beim Oberförster Hanstein, der vier schöne Töchter hat und für’s Leben gern Alle vier verheirathen möchte.“

„Aber doch hoffentlich nicht Alle an den armen Herrn Cécil,“ scherzte Helene, obwohl es ihr wie schwarze Nebel vor den Augen flimmerte.

„Bah, bah, zwinge Dich nur nicht zum Spaß, Kind. Die Jüngste von den Fräulein Hanstein’s ist schon längst Cécil’s bestimmte Braut – aber er hat sie bis jetzt nicht gewollt.“

„Wer hat Dir denn diese speciellen Nachrichten überbracht?“ rief Helene mit erkünsteltem Lachen.

„Bah – bah – lache nur nicht, Kind. Der Regierungsrath ist eben bei mir vor dem Fenster gewesen und hat mir’s erzählt und hat sich gerühmt, daß er seinen Neffen fortgeschickt habe.“

„Das glaube ich,“ flüsterte Helene sehr leise und senkte ihr erbleichtes Gesicht wieder tief auf ihre Arbeit. „Seine spöttischen Mienen ließen dergleichen fürchten, als Cécil am Sylvesterabend so verrätherisch glühend wurde. O, mein Gott, wie schärft der Stolz meinen Kummer! Wenn doch nur erst das Gerede darüber ein Ende nähme! Mit mir selbst will ich schon fertig werden.“

Sie stickte sehr eifrig und erwiderte gar nichts mehr, als ihre Tante heftig drohenden Tones fortfuhr:

„Wenn ich wüßte, daß der Regierungsrath seine Hand hier im Spiele hätte, so würde ich ihm den Streich vergelten und ihm ein Capitel über seine „Undine“ vorlesen, das auf mehrere Nächte den Schlaf aus seinen Augen bannen sollte. Er mag mich nicht reizen – er mag sich hüten! Wenn ich ein Wort sage, bricht der ganze Bau zusammen, das weiß ich und darum habe ich immer um Schonung gebeten, wenn man sich Raths bei mir erholte. Nun, Helene, antworte doch – was meinst Du?“

„Ich meine gar nichts und wünsche gar nichts, mein Tantchen,“ sprach das Mädchen ganz kalt und stolz, „als daß man mich in Frieden lasse. Der junge Herr von Sieveringk hat sich keiner weiteren Sünde schuldig gemacht, als daß er mich einige Tage als Tänzerin auszeichnete. Wäre ich so thöricht gewesen, weitere Pläne auf diese Auszeichnung zu bauen, so verdiente ich Dein Bedauern, und zwar meiner Dummheit wegen. Sei so freundlich, und laß die Sache nun ruhen. Was den Regierungsrath betrifft, so werden ihm ohne Dein Zuthun eines Tages die Augen über seine unglückselige Frau aufgehen – eine Strafe für sein Vergehen gegen mich soll es aber keinen Falls abgeben. Mir thun nur die Kinder leid. Gott mag ihre jungen Seelen vor dem Erbgifte bewahren!“ Sie schwieg und stickte weiter.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Besteigung des Großglockner.[1]

Am 8. August 1857 bei guter Zeit kam ich in Heiligeblut an. Das Wetter war prächtig, auch auf Beständigkeit zu rechnen, da es bis dahin mehrere Tage hindurch heftig geregnet hatte und (hier ein gutes Zeichen) der Wind vom Glockner kam. Wohl wissend, wie selten schöne Tage in diesem Erdenwinkel, auch gewitzigt durch die Erfahrung des vorigen Jahres, beschloß ich, keine Zeit zu verlieren, und beauftragte sofort den Wirth, mir meinen alten Freund, den Fleißner, holen zu lassen.[2] Er ist einer der drei Haupt-Glocknerführer. Ich hatte ihn bereits als zuverlässig erkannt, als er mich im vorigen Jahre beim furchtbarsten Wetter, welches ich je erlebt, durch die Eis- und Felsenwüste der Zirknitzer Tauern, über das Goldbergwerk und den Verwaltersteig nach Gastein geführt.

Ich ließ diesem sagen: „derselbe Mann sei wieder da, mit dem er im vorigen Jahre bei dem furchtbaren Wetter über den Tauern nach der Gastein gegangen; er solle sogleich herunterkommen, wir wollten noch heute den Marsch zum Glockner antreten, den wir damals besprochen, alles Andere würde ich inzwischen besorgen.“ – Vor zehn Uhr Morgens wanderte der Bote ab. Durch die Wirthin ließ ich nun reichlich Wein und Essen für vier Mann auf zwei Tage herrichten und verpacken. Ein Alpstock für mich, eine Anzahl starker Waschleinen, die nöthigen Eiseisen wurden zusammengeborgt, und nun hieß es, die andern beiden Führer auftreiben, die denn auch nach einigen Bemühungen in den Personen eines Dorfdieners und eines Thürmergehülfen, beides rüstige Männer, gefunden wurden.

Zu meiner Freude kam gegen drei Uhr endlich der Fleißner. Nach unserer Begrüßung ging es nun an Besprechung der Reise. Der Fleißner war zwar zu Allem bereit, hatte aber viel Bedenken wegen der Ausführung. Bald war es der kürzlich gefallene neue Schnee, der die Spalten im Eise verdecken und den Marsch gefährlich machen sollte, bald waren es Stürme, die er fürchtete. Ich merkte wohl, er hatte aus mir damals unbekannten Gründen keine Lust zum Marsche, indessen kehrte ich mich an seine Bedenken um so weniger, als die andern beiden Führer dieselben nicht sonderlich zu theilen schienen. Es wurde daher gepackt und gerüstet.

Endlich war Alles zum Aufbruche bereit. Den Stock in der Hand, den Hut auf dem Kopfe, umgeben von drei mit Allem beladenen Führern und einem großen Theile der von der Neugierde herbeigeführten Ortsbewohner, saß ich und wartete auf ein Paar Schuhe, mit denen der eine Führer die seinen vertauschen wollte.

Wahrend dessen fielen unter denselben, wiederum angeregt von Fleißner, einige bedenkliche Aeußerungen wegen der endlichen Ausführung der Sache, die ich anfangs nicht beachtete, die aber nach und nach eine immer größere Unterstützung unter den Umstehenden fanden. Der Fleißner, der anfangs nur leise Bedenken gehabt, sodann immer größere Zweifel aufgestellt, erklärte endlich wegen des neuen Schnee’s und der drohenden Stürme es für sehr unwahrscheinlich, daß wir auch nur die kleinere Spitze erreichen würden. Da nun nach und nach alle Umstehenden dieser Erklärung beistimmten, so brach endlich mein Verdruß über den ganzen Verlauf, den die Sache genommen, um so mehr aus, als ich der festen Ueberzeugung war, daß es dem Fleißner nur am guten

  1. Unsern zahlreichen Lesern im Auslande diene die Mittheilung, daß der Großglockner, auf der Grenze zwischen Tyrol, Kärnten und Oberösterreich gelegen, nach den neuesten Messungen 12,158 Fuß hoch, mithin der höchste Berg in Deutschland ist. D. Redact.
  2. Die Leute werden stets nach dem Haus- und nicht nach dem Familiennamen genannt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_136.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)