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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

fängt bald an, allmählich zu steigen. Unterwegs besahen wir den Jeßnitz-Fall, der sehr versteckt aus einer wilden Kluft hervorbraust, übrigens an Größe dem weiter nach der Pasterze zu gelegenen Leiterfall bedeutend nachsteht. Lange bevor man den Fall selbst sieht, scheinen große Staubsäulen in der Gegend, wo er liegt, aufzusteigen. Nach etwa zwei und einer halben Stunde scharfen Steigens erreichten wir die Alm des Fleißner, erquickten uns mit Milch und Brod und setzten unsern Weg fort. Bis dahin hatten wir bei bedecktem Himmel doch noch schönes Wetter gehabt, plötzlich aber wurde es, wie es im Hochgebirge vorkommt, dunkel und ein heftiger Regen stürzte herab. Zu unserm Glücke sahen wir einen mit Heu halb angefüllten Stadel am Wege liegen, den wir, gleich nachdem das Wetter begonnen, erreichten und hier, im Heu vergraben, dessen Vorüberzug abwarteten. Bald nachher kamen wir an den sogenannten Katzensteig, dessen Passage Bädecker für sehr gefährlich erklärt; ich fand ihn nicht so. Es ist allerdings ein sehr schmaler Pfad, der, bald fallend und steigend, sich an einzelnen Stellen bis zu einer Höhe von mehreren hundert Fuß über den unten brüllenden Leiterbach erhebt und ziemlich steil nach demselben abfällt, indessen hat man auf der rechten Seite fortwährend steil ansteigende Felswände, an denen man sich halten und denen man beim Schwindel das Gesicht zuwenden kann. Der Leiterbach selbst ist an vielen Stellen mit Schneebrücken, Resten alter Lawinen, bedeckt.

Nach einer Stunde, als die Dunkelheit schon einbrach, überstiegen wir auf schmalem Stege den Bach und standen im engen, von hohen Wänden eingeschlossenen Thale vor zwei Sennhütten, deren eine unser Nachtquartier sein sollte. Die Sennerin, ausnahmsweise ziemlich hübsch, machte uns zuvörderst einen Kaffee, oder vielmehr eine Milchsuppe mit Kaffee und den bekannten Schmarrn. Der Aufenthalt war ziemlich behaglich. Die Hütte gehörte zu den besten im Lande. Sie sind verschieden, die Hütten im Gebirge. Die unsrige hatte (und mir war leider hinlängliche Zeit, dies festzustellen) 12 Fuß in der Breite und 8 Fuß in der Tiefe. Den dritten Teil derselben nahm der ungeheuere Heerd in der einen Ecke ein, eingefaßt mit einem breiten Holzrande. An beiden Seiten, wo der Heerd an die Wand stieß, befanden sich bequeme Bänke, auf denen man die Zeit gar behaglich verbrachte. An dies Gemach stieß die Milchkammer, in der die Sennerin schlief, über derselben war ein Heuboden, zu dem man mit der Leiter gelangte. An der Seite grenzte an das Gemach der Kuhstall, in dem sich etwa ein Dutzend Kühe befanden, während eben so viele die regnerische Nacht hindurch in der Nähe der Hütte im Freien lagerten. Auch über einem Theile des Kuhstalles befand sich ein Heuboden.

Es regnete draußen leise fort; indessen auf besseres Wetter hoffend und für den Augenblick wohl aufgehoben, lagen wir Beide behaglich am Feuer, rauchten guten Orinoco von Justus und erzählten uns ganz gemüthlich Jagd- und andere Geschichten. Der Regen hatte inzwischen aufgehört und es war dunkel geworden, als ich aus der Hütte trat, weshalb ich das Herannahen der beiden andern Führer, die plötzlich vor mir standen, nicht wahrnahm. Nun wurde Kriegsrath gehalten. Gegen zwölf Uhr sollte der Mond aufgehen. Der Aufbruch wurde auf Mitternacht angesetzt, um noch vor dem Wirken der Sonne über das tiefer gelegene Eis zu kommen, bevor die Schneebrücken erweicht, welche die Spalten der Gletscher decken.

Den Eder, diesen König der Führer, sah ich jetzt zuerst; eine magere Gestalt mittler Größe, mit sehr markirten Gesichtszügen und, wie sich bald zeigte, mit Sehnen von Stahl. Er berieth nicht mit den Andern, sondern er entschied mit kurzen Worten, was geschehen sollte. Er sprach seine große Abneigung aus, die Besteigung zu unternehmen, falls das Wetter nicht klar würde. Unter allen Umständen wollte er nicht gehen, wenn es stürmisch sei, wodurch die Besteigung unmöglich werde. Gegen neun Uhr begaben wir uns zur Ruhe, die drei Führer die Leiter hinauf zu dem Heuboden über der Milchkammer, ich auf den Heuboden über dem Kuhstalle, wohin ich von der Krippe mittelst starken Voltigirens gelangte, während der Meißner getreulich nachhalf.

Meine Aufregung war nicht gering, und es dauerte wohl eine Stunde, ehe ich einschlief. Als ich erwachte, schien mir Mitternacht längst vorüber. Mittelst eines Streichholzes sah ich nach der Uhr; es war in der zweiten Stunde. Leider überzeugte ich mich nun, daß das verdächtige Geräusch dicht über mir, dessen Ursache klar zu machen ich mich so lange als möglich gesträubt, von dem auf das Dach schlagenden Regen herrührte. Ich rief nach dem Fleißner, fragte, wie es mit der Reise stände, und erhielt die Antwort, daß er bereits draußen gewesen und wir, abgesehen von dem Regen, wegen der Dunkelheit nicht gehen könnten. Ich mußte einverstanden sein und versuchte, wieder zu schlafen.

Die Dämmerung war angebrochen, wir erwachten, aber die Winde, die uns den Regen in’s Gesicht peitschten, jagten uns bald in die Hütte zurück. Gegen sechs Uhr war der Tag, so wie er bei dieser Witterung sein konnte, völlig heraufgekommen. Der feine Sprühregen hielt an. Nebel durchjagten das Thal und die Stürme, wie es in diesen Höhen bei 6000 Fuß zu sein pflegt, hielten ihren Kampf. Bald siegten die, welche in’s Thal herein, bald die, welche hinaus wollten. Eder erklärte, daß das Wetter gut würde, wenn, was bis jetzt nicht der Fall, der obere Wind vom Glockner käme und den Sieg behalte. Er hielt andern Falles die Besteigung nicht für ausführbar und redete nur die Rückkehr nach Heiligeblut vor, um dort anderes Wetter abzuwarten. – Schon im vorigen Jahre hatte ich den Versuch wegen des Wetters aufgeben und Heiligeblut verlassen müssen, weil der Urlaub dem Ende nahte. Dieses Mal konnte ich noch elf Tage auf die Unternehmung verwenden, wenn ich alles Andere unterließ, was ich mir noch vorgenommen. Ich erklärte daher dem Fleißner, daß ich nicht nach Heiligeblut zurückkehren werde, indem ich noch elf Tage auf die Sache verwenden könne und jeden Tag zu einem Versuche, den Berg zu besteigen, benutzen wolle und, wenn die Andern nicht bei mir ausharren möchten, ich dies doch von meinem alten Gefährten, dem Fleißner, erwarte, der mir bei besserem Wetter andere Führer suchen sollte. Das wirkte. Sie verstanden sich zum Weitergehen, bis ich selbst die Umkehr vorschlagen würde, es sei denn, daß wir oben Sturm fänden, welchen Falles, wie ich selbst sehen würde, vom Weitergehen keine Rede sei, der würde uns wie Strohhalme in die Tiefe werfen, kein Anklammern könne da helfen. Auf meine Vorstellung an den Fleißner, daß wir ja auch im vorigen Jahre bei starkem Regen, Schnee und Sturme über das Eis der Zirknitzer Tauern und der Goldberge glücklich nach der Gastein gekommen, entgegnete dieser mir mit leiser und ehrfurchtsvoller Stimme, mit der Hand in der Richtung nach dem Glockner zeigend:

„Ach, Herr, da oben ist es ganz anders.“

Das Wetter änderte sich nicht, aber um sieben Uhr rückten wir auf mein Verlangen aus, den Katzensteig weiter verfolgend, bis das Thal sich in einen öden Kessel erweitert, immer ziemlich bergan steigend. Der, Boden, schon mit vielen kleinen Bächen versehen und mit kurzem Rasen bedeckt, hatte sich in einen Sumpf verwandelt, aus dem eine Unmasse grauer Felsblöcke hervorragten. Nach etwa zweistündiger Wanderung ließ der Regen nach und das Wetter klärte sich auf. Die durch die Wolken brechende Sonne erwärmte uns bald ganz angenehm, und ich konnte nun die Gegend überschauen. Hinter uns, nach Südosten bis Südwesten sah das Thal, von grauen Felswänden oder grünen Bergen, natürlich ohne jeden Baum, begrenzt, mit seiner grünen Rasendecke im Sonnenscheine jetzt ziemlich freundlich aus. Vor uns, von Nordwest nach Nordosten, zog sich eine weiße Schnee- und Eiswelt, durchzogen in ziemlicher Höhe von einer dunklen Felswand der s. g. hohen Warte, um welche und über welcher sich schwarze Nebel jagten. Unmittelbar vor uns lag ein Eisfeld, der Salms- oder Leiterbach-Gletscher. Vor diesem hatte früher eine Hütte gestanden, angelegt vom Fürstbischof Salm, auf dessen Veranlassung zuerst der Glockner im Jahre 1800 bestiegen ward. Man hatte jedoch bei dem Bau das regelmäßige Wachsen und Schwinden der Gletscher nicht beachtet, und so hatte denn die Moräne die Hütte leider längst spurlos vernichtet. Sonst könnte man am ersten Tage bis hierher gelangen und die Besteigung viel bequemer machen. Wie prächtig müßte es sein, durch diese Eiswüste im klaren Mondschein zu wandern, der dort so hell ist, wie das Tageslicht! Indessen mußte ich zufrieden sein, daß der Regen aufgehört, und wir die Wanderung im warmen Sonnenschein machen konnten. Sobald wir den Gletscher erreicht, warfen sich die völlig erhitzten Führer auf einen Felsblock, und tranken in langen Zügen von dem kältesten aller Wasser, dem Gletscherwasser. Ich kannte wohl den köstlichen Genuß, hatte aber viel von seiner Gefährlichkeit, wenn man erhitzt ist, gehört, wagte daher weder davon zu trinken, noch mich in dem trotz des Sonnenscheins eisigen Winde niederzusetzen, und beschäftigte mich mit den Moosen und Steinen, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_138.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)