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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Berliner Polizei.

(Fortsetzung.)
V.

Es war auch in den Zimmern, die der Baron von Goddentov am Gensd’armenmarkte zu Berlin gemiethet hatte, beinahe Mitternacht. Der Baron und die Baronin saßen, ein trauerndes edles Paar, unter den Trümmern ihrer Reiseeffecten.

„Ach, Theure, kein Schlaf will in meine Augen kommen!“

„Auch nicht in die meinigen, theurer Freund!“

„So ohne Schlafrock hier sitzen zu müssen!“

„Und mein sämmtliches Nachtzeug ist fort, Verehrtester!“

„Und fast unser sämmtliches Geld!“

„Und alle meine Pretiosen!“

„Ach, Theure, diese Berliner Diebe!“

„Sie sind doch nicht so dumm, wie wir sie glaubten.“

„O doch, Verehrte, sie haben ja nicht uns, sondern nur unsere Domestiken betrogen. Siehe, das ist mein großer Trost. Ich sage Dir, die Berliner Diebe sind dumm.“

„Aber jener Graf Schimmel, theurer Freund, ich fürchte doch beinahe –“

„Er war nicht der Dieb, meine Gemahlin, Du wirst es erfahren. Morgen werden wir uns nach ihm erkundigen, und ich bin überzeugt, daß wir ihn nächstens bei Hofe wiedersehen werden. Aber jener Polizeihauptmann! Oder vielmehr jener Mensch, der sich dafür ausgeben wollte! Ihn halte ich am Ende noch immer für den Dieb. Du selbst sprachst von seinen Spitzbubenaugen –“

„Aber er gehörte zur Polizei, Verehrtester, da müssen sie solche Augen haben.“

„Aber ich bleibe bei meinem Verdachte.“

„Woher hätten alle die Polizeibeamten um ihn her kommen sollen?“

„Meine Verehrteste, von solchen Spitzbubenverkleidungen, auch in Masse, hat man viele Beispiele. – Aber horch, welch’ ein seltsames Geräusch läßt sich da vernehmen!“

„Wo, mein theurer Baron?“

„Es war mir schon einige Male, als wenn ich flüstern und hin- und hergehen gehört hätte.“

„Aber wo, Theuerster?“

„Und jetzt höre ich es wieder.“

„Aber wo, mein Gemahl?“

Die Dame war ungeduldig geworden.

„Auf der Treppe, über uns, unten an der Hausthür, überall, Verehrteste.“

„Es werden Hausbewohner sein, die zurückkehren.“

„Es ist möglich, auch daß sie aus Achtung vor uns so leise gehen und sprechen. Aber sollten die Berliner so rücksichtsvoll sein? Ich habe andere Gedanken, Theure.“

„Und welche?“

„Wenn es da ein Liebesabenteuer gäbe?“

„Wie kommst Du auf den Gedanken, theurer Freund?“

„Dieses Gehen ist so zart, dieses Flüstern lautet so süß.“

„Aber wie kommst Du zu dieser lebhaften Einbildungskraft, lieber Baron?“

„Ach, meine Verehrteste, als wir heute durch die Straßen fuhren und ich überall die feinen hübschen Gesichter und die schlanken Taillen sah –“

„Wie? Ich hoffe nicht, daß die Deine Phantasie in solchem Grade entzündet haben –“

„Ich muß Dir nur gestehen, Theure –“

„Was, Du gestehst es ein?“

„Aber gib es selbst zu, meine Gemahlin, Hinterpommern, und besonders Kassuben, ist ein schönes Land und es gibt nirgends in der Welt fettere Gänsebrüste. Aber solche anmuthige Gesichter, solche reizende Taillen –“

„Himmel, mein theurer Freund! Anmuthige Gesichter, reizende Taillen, Liebesabenteuer! Und das Alles soll es nicht in Hinterpommern geben?“

„Daß es dort keine Liebesabenteuer gebe, habe ich nicht gesagt, meine Liebe.“

„Du hast wohl selbst schon welche gehabt?“

„Ei, ei, Du wirst doch nicht eifersüchtig? Aber ich leugne nicht, daß ich hier wohl so ein kleines Liebesabenteuerchen haben möchte.“

„Mit den anmuthigen Gesichtern und reizenden Taillen?“

„Hm, hm! Aber ich muß wahrhaftig das Licht nehmen und nachsehen, was da draußen auf der Treppe schleicht.“

„Du unterstehst Dich nicht.“

„Aber, meine Gemahlin –!“

„Du stellst im Augenblick das Licht wieder hin.“

Plötzlich vernahm man oben im zweiten Stock des Hauses einen lauten Schrei.

„Meine Verehrte, was ist denn das?“ Dann hörte man ein augenblickliches Balgen. „Was mag das sein?“ Dann rief es oben laut: „Ah, Bursch, haben wir Dich!“

„Meine Gemahlin, jetzt habe ich es.“

„Was hast Du, lieber Baron?“

„Ich hatte Recht; es ist ein Liebesabenteuer. Sie haben den Seladon gefangen. Gewiß ein alter Brummbär von Ehemann oder Vormund oder Onkel! Ah, ich muß den armen Menschen doch sehen.“

„Mein Freund, wohin willst Du? Begib Dich in keine Gefahr.“

„Ich werde mich doch nicht fürchten!“

Der Baron hielt das Licht, das er schon vor einer Weile genommen hatte, noch immer in der Hand. Er ging damit an die Thür und öffnete diese, freilich leise und vorsichtig genug. Auf einmal prallte er zurück; das Licht wäre ihm beinahe aus der Hand gefallen. Ein junger Mensch in einem alten, abgetragenen Rocke stand in dem Flur, unmittelbar vor ihm. Auch der junge Mensch flog zurück, als so unerwartet und leise neben ihm die Thür sich öffnete und ein helles Licht ihn beschien. Und als er gar den Baron von Goddentov aus Hinterpommern erkannte, mußte er unwillkürlich zwischen den Zähnen murmeln: „Jetzt bin ich vollends verloren!“ Aber auch der Baron hatte den jungen Mann erkannt, und er hatte ihn erkannt mitten in seinen Gedanken an freundliche Gesichter, schlanke Taillen, Liebesabenteuer, süßes Flüstern, und der Baron sammelte sich wieder.

„Ah, ah, Graf! Ein kleines Liebesabenteuer? Ei, ei!“

Hätte der Baron gehört, wie der Graf Schimmel sich jetzt innerlich für einen Dummkopf erklärte, daß er auf den Einfall eines solchen klugen hinterpommerschen Edelmannes nicht von selbst gekommen sei, wie würde er über die Dummheit der Berliner Diebe – freilich wohl nicht triumphirt haben!

„Ja, mein lieber Baron,“ sagte der Graf Schimmel von Hengst auf Füllendorf, „aber ein verunglücktes Abenteuer. Und wenn der Himmel mir nicht Sie als einen rettenden Engel gesendet hat, so bin ich verloren.“

„Ah, Graf, der Vater!“ sagte der Baron listig.

„Ein Barbar von Vater! Er macht mich unglücklich! Meine Ehre! Die Ehre der Dame!“

„Treten Sie ein, lieber Graf. Schnell, schnell, damit Niemand Sie sieht.“

Der Graf Schimmel sprang in das Zimmer. Der Baron schloß rasch und leise die Thür hinter ihm zu.

„Ah, Baron, wie danke ich Ihnen! – Gnädige Frau, Sie zürnen mir doch nicht? Sie kennen ja auch die Macht der Liebe!“

„Ja, ja,“ lachte der Baron. „Schlanke Taillen! Reizende Gesichter!“

„Mein Gemahl!“ rief die Baronin zornig.

„Ah, meine Frau wird eifersüchtig! Ich gestehe, hier in Berlin – Aber, lieber Graf, wie sehen Sie aus! In welchem Anzuge sind Sie!“

„Ah, lieber Baron, zu welchen Verkleidungen nimmt die Liebe nicht ihre Zuflucht!“

„Ah, ah! Liebe und Diebe. – Apropos, lieber Graf, hatten Sie mich nicht schon beim Aussteigen auf dem Bahnhofe vor einem lauernden Spitzbubengesichte gewarnt?“

„Allerdings.“

„Denken Sie sich, der Mensch wollte sich mir gegenüber für einen Polizeihauptmann ausgeben!“

„Aber Sie erriethen ihn, Baron?“

„Leider zu spät. Der Spitzbube hat mir meine Uhr und meine Börse gestohlen.“

„Dieses Berliner Diebsgesindel ist sehr frech, Baron.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_146.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)