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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Sehr, lieber Graf! – Aber welch’ ein entsetzlicher Tumult entsteht da im Hause!“

„Bekümmern wir uns nicht darum. Man wird mich suchen.“

„Aber, lieber Graf, wer schrie denn vorhin so entsetzlich da oben?“

„Ah, Baron, mein Tölpel von Bedienten. Ich halte den Menschen auf Wache gestellt, um nicht überrascht zu werden. Auf einmal läßt er sich fangen. Ich konnte kaum noch von oben entspringen. Unten fand ich die Hausthür besetzt. Denken Sie sich meine Verzweiflung. Da kamen Sie, mein rettender Genius. Sie werden mich doch nicht ausliefern, verrathen?“

„Aber, Graf, was denken Sie denn von mir? Ich bin Cavalier!“

„Man wird Ihnen von Dieben sprechen.“

„O, ich kenne das, Graf!“

„Mein Gemahl, Du kennst das?“ rief entrüstet die Baronin. „Ich hoffe nicht –“

„Meine Verehrteste, nur aus Romanen und aus dem Theater zu Stolpe.“ Es wurde von außen mehrmals heftig an die Thür des Zimmers geklopft.

„Ah, ah, Graf, da sind sie schon. Aber seien Sie unbesorgt. Eilen Sie in das Schlafcabinet meiner Gemahlin dort. Ich werde Ihre Ehre und die der jungen Dame zu vertheidigen wissen. Die Herren werde ich abfertigen; sie sollen an mich denken.“

Der Graf Schimmel eilte in das Cabinet. Der Baron öffnete die Thür des Zimmers. Ein alter Herr und ein paar Gensd’armen standen vor der Thür. „Meine Herren, was wäre Ihnen gefällig?“ fragte der Baron sie stolz.

„Mein Herr, hier ist –“

„Ich bin der Baron von Goddentov auf Goddentov in Hinterpommern.“

„Herr Baron, hier im Hause ist ein frecher Einbruch verübt worden.“

„Ah, ah, ein Einbruch!“ lächelte der Baron listig. „Bei mir nicht, meine Herren.“

„Aber da oben –“

„Sie halten mich doch nicht für den Dieb?“

„Keineswegs. Aber es waren zwei Diebe –“

„Ah, Zwei?“

„Und wir haben erst einen.“

„Und suchen den zweiten?“

„Er muß noch im Hause sein.“

„Ah, da suchen Sie ihn bei mir?“

„In der That.“

„Sehen Sie sich gefälligst in dem Zimmer um.“

„Sie haben also nichts gehört?“

„Einen Schrei da oben.“

„Sonst nichts?“

„Sonst nichts.“

„Auch nichts gesehen?“

„Gar nichts.“

Die Gensd’armen sahen sich einander an. Bei dem Baron sah Alles so unverdächtig aus, und er hatte seine Rolle so natürlich gespielt. „Entschuldigen Sie, Herr Baron.“

„Ich bitte, meine Herren, Sie haben Ihre Pflicht gethan.“

Der alte Herr und die Gensd’armen gingen. Der Baron verschloß die Thür wieder.

„Die habe ich angeführt!“ triumphirte er.

Der Graf Schimmel war aus dem Cabinete zurückgekommen.

„Ah, lieber Graf,“ triumphirte der Baron weiter, „jetzt begreife ich, wie die Berliner Diebe dumm sein können. Die Berliner Polizei ist noch dümmer. – Nun, Sie bleiben die Nacht hier bei uns. Das Sopha ist bequem. Morgen sehen wir, was weiter zu thun ist.“




Blätter und Blüthen.

England und Deutschland. Man hat unserm Londoner Mitarbeiter Dr. Beta oft den Vorwurf gemacht, er sähe England und englische Zustände mit dem griesgrämigen Auge eines Flüchtlings und deshalb nicht vorurtheilsfrei an. Wir können uns allerdings die Logik eines solchen Vorwurfes nicht ganz erklären, denn ein Flüchtling dürfte sich als solcher doch wohl eher zum Gegentheil veranlaßt fühlen, indeß lassen wir das dahingestellt sein und bemerken nur beiläufig, daß Beta nie vergessen hat, die vielen guten Seiten Englands mit Ausdruck hervorzuheben. Was sagen die Gegner Beta’s aber zu nachfolgenden Zeilen eines bereits seit zwölf Jahren in England lebenden reichen Deutschen, der nicht Flüchtling, sondern einer der geachtetsten deutschen Geschäftsleute in London ist? Er schreibt wörtlich: „Ich möchte, ich könnte den Engländern rückschtlich der socialen und humanistischen Zustände Deutschlands ein richtiges, sichtbares und verständliches Bild unseres lieben deutschen Vaterlandes geben, das hier gerade von denjenigen Leuten mit Geringschätzung behandelt wird, welche ihrer geistigen Stellung nach eigentlich verpflichtet wären, von dem großen humanistischen Berufe Deutschlands Notiz zu nehmen. Ich habe eben jetzt gegen meine Gewohnheit in einem englischen Blatte für deutsches Wissen und deutsche Kraft eine Lanze brechen müssen. Lassen Sie mich doch in Ihrem nächsten Schreiben wissen, ob ein scharfer, aber gemäßigter Artikel über englische Anmaßung und Unwissenheit Deutschland gegenüber der Tendenz der „Gartenlaube“ nicht widersprechen würde. Ich meines Theils halte es für meine Pflicht, bei aller Anerkennung für das wirklich Gute in England denn doch mein deutsches Vaterland nicht mit Füßen treten zu lassen, und ich glaube, daß es gar nicht schaden könnte, wenn die Deutschen hie und da erführen, wie man in England von ihnen denkt und spricht. Sie würden vielleicht von jener übertriebenen und unbedingten Verehrung englischer Zustände zurückkommen, die sie zu Schmeicheleien verleitet, über welche die Engländer selbst lächelnd die Achseln zucken.“




Der Proceß Arbenz. Den Lesern der Gartenlaube außerhalb der Schweiz ist der „Proceß Arbenz“ wahrscheinlich zum bei weitem größten Theile unbekannt geblieben. In der Schweiz hat dieser Proceß desto mehr Aufsehen gemacht. Monate lang konnte man kein schweizerisches Blatt in die Hand nehmen, ohne darin Mittheilungen und Urtheile über ihn zu finden, und dann war noch eine ihn darstellende Brochüre in einer Auflage von 2000 Exemplaren in Zeit von kaum vierzehn Tagen vergriffen.

In der That liefert auch dieser Proceß einen der betrübendsten Justizmorde der neueren Zeit, wenn man nach einem einmal allgemein gestatteten Gebrauche das Wort Justizmord auf solche richterliche Entscheidungen in Criminalsachen beziehen darf, durch welche ein völlig Unschuldiger für schuldig erklärt und zu einer Strafe verurtheilt wird, durch welche somit das Recht geradezu getödtet worden ist.

Der Proceß Arbenz hat stattgefunden in den Jahren 1857 und 1858, also in der allerneuesten Zeit. Er ist geführt in dem Canton Zürich, in dem Cantone der Schweiz, der überall als an der Spitze der Intelligenz in der ganzen Schweiz stehend anerkannt wird, in dem auch von politischen Parteileidenschaften keine Rede ist. Er ist verhandelt nach einem Proceßgesetze, das erst aus dem Jahre 1852 datirt und auf die neuesten Rechtsanschauungen und Rechtsgrundsätze, denen die meisten neuesten Strafprozeßgesetze auch in Deutschland huldigen, gegründet ist. Er ist geleitet von Beamten, die vom Volke gewählt werden, und die als die „Wägsten und Besten,“ wie man in der Schweiz sagt, allgemein in der größten Achtung der Rechtlichkeit stehen und diese allgemeine Achtung verdienen.

Sein Thatbestand endlich ist folgender:

Im Canton Zürich, im Dorfe „Dorf“, einige Stunden von der Stadt Zürich gelegen, lebte ein wohlhabender Bauer, der zugleich einen Wein- und Holzhandel trieb, mit Namen Conrad Arbenz. Er stand in gutem Rufe. Nicht weit von ihm, im Dorfe Neftenbach, wohnte der Zimmermann Jakob Heidelberger, ein gewandter Mensch, der gleichwohl keines guten Rufes genoß, in seinen Vermögensverhältnissen ruinirt, vielfach ausgeklagt und gepfändet, dennoch in einem Scheine von Wohlhabenheit lebte und stets zu neuen Unternehmungen bereit war.

Dieser Jakob Heidelberger hatte im Jahre 1856 mit der Direction der Glattthalbahn (Eisenbahn durch eine sehr belebte, fabrikreiche Gegend des Cantons Zürich) einen Vertrag über Schwellenlieferungen geschlossen. Er mußte der Direction eine Caution von 3000 Franken bestellen. Er hatte – im August 1856 – den Conrad Arbenz vermocht, daß dieser die Caution für ihn leistete. Er hatte den Arbenz ferner zu bestimmen gewußt, die Schwellenlieferungen gemeinschaftlich mit ihm zu übernehmen. Er hatte ihn endlich zu bereden gewußt, ihm, dem Heidelberger, ein bedeutendes Darlehn zu geben. Aus dem Allen war er Schuldner des Arbenz zu einem Betrage von noch etwa 3400 Franken geblieben.

Am 3. März 1857 waren Arbenz und Heidelberger in dem Dorfe Uster, wo die Direction der Glattthalbahn ihren Sitz hat und wo Heidelberger aus deren Casse auf die bisher geleisteten Schwellenlieferungen eine bedeutende Zahlung erhalten sollte, von welcher er den Arbenz zu befriedigen versprochen hatte.

Heidelberger erhielt von der genannten Casse die volle Zahlung. Er berechnete sich auch vollständig mit Arbenz, verschwieg diesem aber einen erheblichen Betrag der aus der Casse erhaltenen Summe und leistete demnach auch dem Arbenz nur eine Theilzahlung, blieb ihm namentlich die Summe von 1700 Franken, die er hätte bezahlen müssen, schuldig. Beide gingen in Streit auseinander. Arbenz klagte darauf seine Forderung an Heidelberger gegen diesen ein.

Heidelberger erhob nun dagegen eine gerichtliche Denunciation gegen Arbenz, worin er behauptete, daß er am 3. März den Arbenz vollständig befriedigt habe, dieser also, indem er dennoch bereits bezahlt erhaltene 1700 Franken nochmals von ihm fordere, sich eines Betruges schuldig mache. Er stützte diese Behauptung einzig und allein auf jene Berechnung, die er dem Arbenz heimlich entwendet hatte.

Arbenz wurde auf Grund dieser Denunciation zur Criminaluntersuchung gezogen und am 13. Mai 1857 von den Geschworenen schuldig erklärt und von dem Gerichte zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe und zu 208 Franken Entschädigung an Heidelberger verurtheilt; zugleich wurde ein nicht bezahlter Wechsel Heidelberger’s an Arbenz über 1000 Franken für nichtig erklärt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_147.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)