Seite:Die Gartenlaube (1859) 151.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ich fühle, daß ich sehr viel verlange,“ antwortete er sehr schnell, zu Helene sich wendend, „allein dennoch wiederhole ich meine Bitte und beanspruche Ihr Fürwort, mein Fräulein.“

Das junge Mädchen streckte willfährig ihre Hände den Kindern entgegen und diese schmiegten sich sogleich an die alte Bekannte an.

„Ich bin es gewohnt, dem Unverstande und der Uebereilung rächend zur Seite zu stehen,“ rief Frau Starkloff mit der ganzen Kraft ihrer gewöhnlichen Offenherzigkeit, „und da Sie so gut wie wir das kaum zur Ruhe gegangene Getratsch der Stadt kennen, welches den Namen Ihres Neffen mit dem Namen meiner Nichte verbunden hatte, so finde ich es einigermaßen gewagt, um nicht zu sagen unverschämt, daß Sie uns Ihre Kinder aufbürden wollen.“

„O, Tante!“ flüsterte Helene bittend, zog sich aber ohne weitere Kundgebungen ihrer Ansicht sogleich verlegen in den Hintergrund zurück, wobei sie die Hände der Kinder nicht losließ. Sie setzte sich hastig nieder, umschloß sie mit ihren Armen und zeigte in dieser Stellung, daß sie sehr willig war, der Bitte des Herrn von Sieveringk nachzukommen.

„Sie sehen, meine Gnädigste, daß Ihre Einwendungen machtlos an dem Willen Ihrer Nichte zerschellen,“ sprach er mit so entschieden wehmüthig freundlichem Ausdrucke, daß an Spott gar nicht zu denken war. „Sie sind ja sonst eine so milde Mutter aller verlassenen Waisen.“

„Ja, ja, eine weise Dame des Morgenlandes, wie Sie uns zu nennen belieben,“ fiel sie ein.

„Deshalb hege ich das Vertrauen, daß Sie mein kleines Zwillingspaar aufnehmen und ihm auf einige Tage eine Freistatt gewähren werden,“ schloß Sieveringk.

Sein Blick ruhte dabei mit wahrhafter Bewunderung auf Helene, die ihm nie so reizend erschienen war, als in der kleinen Handlung einer himmlischen Vergebung, welche zwar vielleicht auf neuerstandenen Hoffnungen beruhte, aber immerhin höchst liebenswürdig war. So wenig geneigt er zu Sentimentalitäten war, so bereute er doch in diesem Momente seine Eingriffe in ihr Lebensglück tief und bitter, zumal sie sich entschieden als ein Schutzgeist seiner Kinder bewiesen und den jungen Seelen auf eine Weise den Begriff des Mein und Dein eingeimpft hatte, die von seltener Selbstverleugnung sprach.

Er wünschte von Grund seines Herzens seine Unbill zu vergüten und die ungerechte Verunglimpfung des schönen Mädchens zu redressiren. Freilich des Schicksals ungeahnte Verkettung, die seinen Neffen Cécil in dem Hause des Oberförsters Hanstein, umgeben von reizenden Pflegerinnen, krank werden ließ, gestattete ihm wenig Aussicht, daß dieser junge, leicht entflammte Mann freien Herzens wieder in sein altes Quartier einrücken würde, wenn er genesen vom Schnupfenfieber zurückkehrte. Mit dem windschnellen Fluge der Erinnerung hafteten seine Gedanken an hundert ähnlichen Fällen, die ihm in seiner Jugend vorgekommen waren, wo er mit dem besten Willen nicht treu bleiben konnte.

Zum ersten Mal schlich ein brennendes Gefühl der Angst durch seine Seele, daß ihm jetzt vielleicht sein frivoler Lebenswandel vom Schicksal vergolten und daß ihm noch schweres Herzeleid widerfahren könnte, wenn einst seiner Tochter auch ein derartiger Herzenskampf bereitet würde.

Mit gutmüthigem Lächeln beschloß er den Wettlauf dieser peinlichen Gedanken und sagte, herzlich die Hand der Amtmännin zum Abschiede ergreifend:

„Es hilft Ihnen nichts, Gnädige, daß Sie bärbeißige Mienen ziehen, ich kenne Ihr Herz und weiß, daß Sie trotzdem meine lieben Kleinen weder hungern noch dürsten lassen, daß Sie dieselben wie Ihren eigenen Augapfel behüten und wie die zärtlichste Mutter für sie sorgen. Das haben Sie davon, daß Sie mit der Wahrheit Ihrer Empfindungen so wenig Haus halten und die Kraft Ihres Gemüthes so schleierlos zeigen. Man glaubt Ihnen nicht, wenn Sie mit pommerschen Kolbenschlägen Ihre feindseligen Absichten documentiren wollen.“

Frau Starkloff lachte herzhaft. Was sollte sie auch gegen diese gutgemeinten Worte einwenden? Mit ihrer großartig offenherzigen Ablehnung hatte sie die Munition verschossen, die ihr zu Gebote stand, und sie sah aus der ganzen Stellung ihrer Nichte, daß sie in ihr eine gefährliche Widersacherin finden würde.

Sie schloß Frieden mit Herrn von Sieveringk und begleitete ihn freundschaftlich bis zur Hausthür.

Als sie zurückkam, setzte sie sich in einiger Verdrießlichkeit, die stark mit Verlegenheit gemischt war, ihrer Nichte gegenüber und betrachtete sich moquant die Zärtlichkeit, welche zwischen ihr und den Kindern herrschte.

„Das ist eine ärgerliche und zugleich possierliche Geschichte,“ begann sie halblaut. „Die Reise des Regierungsrathes hängt doch ganz gewiß mit den verdrießlichen Erfahrungen zusammen, die er an seiner Frau gemacht hat und ich –“ Helene hob fast erschrocken den Kopf zu ihr auf – „und ich hänge wieder mit diesen Erfahrungen zusammen. Ja, Kind, sieh mich nur nicht so tadelnd an – es ist einmal geschehen und nicht mehr zu ändern!“

„Du hast Frau Olga angeklagt?“ fragte Helene tonlos. „Tante, hast Du wohl an die Folgen gedacht?“

„Bah – bah, Kind! Ich hatte nichts anzuklagen, aber ich gestehe frank und frei, daß ich dem Juwelier Schmidt, dem Bijouteriehändler Meier und noch einigen andern Kaufleuten auf ihr Befragen geradezu gerathen habe, dem Regierungsrath eine Rechnung über die „ausgeführten“ Gegenstände zu überschicken und sich des ominösen Wortes „entnommen“ zu bedienen. Schüttle nicht so tadelnd Dein Köpfchen, Kind – es ist geschehen und nun nicht zu ändern. Du hast gesehen, der Mann ist nicht vor Schreck des Todes verblichen, und die Frau wird auch nicht davon sterben. Was er nur beabsichtigen mag? Er hat insgeheim Nachforschungen an allen Orten anstellen lassen, hat bezahlt, was irgend zweifelhaft im Besitze der Frau war, und hat sie für krank erklärt!“

Helene holte tief Athem. Im Grunde hegte sie die Ueberzeugung, daß die Enthüllung dieser Vergehen eher zu spät, als zu zeitig gekommen sei, aber es regte sie peinlich auf, ihre Tante darin verflochten zu sehen. Lag es nicht wie ein schwerer Zauber von bösen Geistern auf den Schicksalen, die sie jetzt trafen? Was mußte Cécil denken, wenn er hörte, daß sie eine Rolle in den entehrenden und demüthigenden Aufklärungen über seines Onkels Gattin spielten?“

„Es thut mir nur leid,“ begann Frau Starkloff wieder, „daß ich nicht meiner gewohnten Wahrheitsliebe gefolgt bin und dem Regierungsrathe sogleich mitgetheilt habe, wem er die Eröffnung des Scandals zu verdanken hat. Es ist mir fatal, daß er das nicht weiß!“

„Habe nur Geduld, Tante, er wird es früh genug erfahren!“ tröstete die junge Dame sie mit einem Ausdrucke, der nahe an Unmuth streifte.

Mit welch gläubiger Zuversicht hatte sie dem Glücke einer ungetrübten Zukunft entgegen gesehen, und mit wie kindlichem Gemüthe dem Manne vertraut, dem sich ihre Seele erschlossen hatte! Warum mußte sich denn das Alles mit einem einzigen Schlage verändern? Warum trieb sie denn das Schicksal, auf Irrwegen und doch so sicher, einem Leben voller Verwirrung und Unannehmlichkeit zu? Würde ihre Tante zu den Maßregeln gerathen haben, wenn sich nicht Disharmonien in dem sonst so freundschaftlichen Verkehr zwischen Sieveringk’s und ihnen entsponnen hätten? War der Unmuth nicht gerechtfertigt, der sie bei den Geständnissen ihrer Tante überschlich, wenn sie bedachte, daß ihr Edelsinn bezweifelt werden könne? O, wie dankte sie Gott, daß sie in der Sorgfalt für die Kinder beweisen konnte, daß sie sich an nichts betheiligte, was dem Hause Sieveringk Nachtheil zu bringen im Stande war! Ihre Gedanken wanderten noch immer allzu gern zu der Zeit zurück, wo die Tagesstunden ihre Weihe durch einen Gruß Cécil’s erhalten hatten, wo er das Ideal ihrer Träume und doch zugleich der Gegenstand ihrer Sorge gewesen war, wenn sie sehen mußte, wie frisch und gluthvoll er sich dem Leben mit seinen Freuden hingab. Sie trauete ihm nie, weil er seinem Onkel Fabian so sehr ähnlich sah, und sie hatte ihm im Scherze oftmals die Antecedentien dieses gefährlichen Onkels in’s Gedächtniß zurückgerufen. Seine ernsten Blicke waren ihr dann heiligere Betheuerungen gewesen als Worte, und ungeachtet des tiefen Gefühles, das sie ausgesprochen hatten, scheiterte ihr Herzensglück doch so bald. Wie ein Blitz durchzuckte sie freilich manchmal der Gedanke: Es ist unmöglich, daß er, seines Willens frei und unbeschränkt Herr, so dich verlassen konnte - er muß durch Umstände gehindert sein oder durch eine fremde Macht gehemmt. Aber von welcher Macht, da er allein in der Welt stand, da sein Vater todt, seine Mutter längst, längst begraben war und ihm nur in dem Onkel Fabian eine Art Autorität zur Seite stand?

Helene widmete sich mit ganzer Seele der Pflicht, die ihr das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_151.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)