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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Mein theurer Baron, sollte der Graf Schimmel doch kein Graf sein?“

„Joachim,“ rief der Baron mit einer aufwachenden Ahnung, „wie bist Du hier zu uns in das Zimmer gekommen?“

„Der Herr Polizeihauptmann hat mich hereingelassen, Ew. Gnaden.“

„Der Polizeihauptmann? Gehörte der Mensch wirklich zur Polizei?“

„Das ganze Haus, Ew. Gnaden, ist voll von Gensd’armen und Polizeibeamten.“

Der Baron stand einen Augenblick sprachlos. Die Baronin aber fragte:

„Joachim, wo bleibt denn Justine?“

„Mamsell Justine, Ew. Gnaden, Frau Baronin? Ach, die arme Person!“

„Lebt sie nicht mehr, Joachim?“

„Sie lebt noch, Ew. Gnaden, aber wie!“

„Wie denn?“

„Splitternackt, Ew. Gnaden, im bloßen Hemde.“

„Allmächtiger Gott!“

„Die Diebe sind auch in ihrer Stube gewesen und haben ihr Alles mitgenommen.“

„Das ist entsetzlich!“

Die Thür des Wohnzimmers öffnete sich nochmals. Der Polizeihauptmann sah herein.

„Herr Baron, sind Sie angekleidet?“

„Ja.“

„Auch die gnädige Frau?“

„Ebenfalls.“

„Dürfte ich dann Sie Beide hierher bitten?“

„Ist wirkliche Polizei im Hause, Joachim?“ fragte der Baron leise seinen Bedienten.

„Gewiß, Ew. Gnaden.“

„Weißt Du es ganz sicher?“

„Das ganze Haus ist voll. Der Wirth und alle die Leute kennen sie.“

„Dann wäre dieser Mensch doch kein Dieb, sondern ein Polizeihauptmann?“

„Gewiß ist er das, Ew. Gnaden.“

„Ach, Verehrteste, wie man hier in Berlin sich in den Leuten irren kann! Und – was fällt mir da ein!“

„Was fällt Dir ein, lieber Freund?“

„Der Graf Schimmel war also doch vielleicht ein Dieb.“

„Nicht blos vielleicht.“

„Und die Polizei hat ihn gesucht, und wir haben ihn verleugnet! Und – der Herr Staatsanwalt von Stolpe hat es mir einmal gesagt, nach dem neuen Strafgesetzbuche wäre das Begünstigung des Diebstahls, und wir könnten als Diebeshelfer, als Hehler, zur Untersuchung gezogen werden. Ein Baron und eine Baronin von Goddentov! Ich überlebte es nicht.“

„Mein Gemahl, ich habe Dir zu bemerken, daß ich meinerseits den Menschen nicht verleugnet habe.“

„Ach, meine Theure, das ist eine entsetzliche Lage.“ Der Baron mußte mit seiner Gemahlin in das Wohnzimmer gehen, wo der Polizeihauptmann auf sie wartete. Er ging wie ein armer Sünder. In der Thür faßte er jedoch wieder bessern Muth.

„Es ist ein Glück dabei,“ flüsterte er seiner Gemahlin in das Ohr, „diese Berliner Polizei ist sehr dumm, noch dümmer, als die Diebe hier. Auf den rechten Gedanken wird man nicht kommen.“

Der Polizeihauptmann war sehr höflich. „Herr Baron, erlauben Sie mir einige Fragen.“

„Was wünschen Sie?“

Der Beamte zog eine feine goldene Uhr hervor. „Ist Ihnen diese Uhr bekannt?“

Der Baron fuhr auf. „Es ist die meinige.“ Aber auf einmal ergriffen ihn wieder die alten Gedanken. „Herr,“ rief er wüthend, „so haben Sie sie mir doch gestohlen!“

Der Polizeibeamte blieb ruhig. Er zog eine Börse hervor. „Und diese Börse, Herr Baron?“

„Sie haben mir auch sie gestohlen.“

„Sie ist also gleichfalls die Ihrige. Ich bedaure nur, daß wahrscheinlich der Inhalt zur Hälfte fehlen wird. Darf ich fragen, wie viel Geld sie enthielt, als sie Ihnen gestohlen wurde?“

„Es mußten noch an hundert Thaler darin sein.“

„Also die Hälfte fehlt. Es sind jetzt noch funfzig Thaler darin. – Aber, meine gnädige Frau, gestatten Sie mir jetzt ein paar Fragen. Diese Damenuhr mit Kette –?“

„Ist mein Eigenthum!“ rief die Baronin.

„Und dieses Collier, diese Brosche?“

„Alles, Alles war mir gestohlen.“

„Wann und wo? wenn ich fragen darf.“

„Heute Nacht, hier aus meinem Schlafzimmer, unmittelbar an meinem Bette.“

Der Polizeibeamte wandte sich an den Bedienten Joachim.

„Hier, Monsieur, das ist ja wohl Seine Uhr?“

„Wahrhaftig, das ist sie. Herr – Herr Hauptmann, sind Sie ein Hexenmeister?“

Auch der Baron hätte das fragen mögen. Aber seine Gedanken sollten sich noch mehr verwirren. Der Polizeihauptmann öffnete die Thür nach dem Flur und winkte hinaus. Gensd’armen und Schutzmänner trugen zwei große Koffer in das Zimmer.

„Unsere Koffer!“ riefen der Baron und die Baronin.

„Ja,“ sagte der Polizeihauptmann. „Aber mehr kann ich Ihnen nicht zurückerstatten. Namentlich sind die Sachen Ihrer Kammerjungfer, gnädige Frau, wenigstens bis jetzt noch, spurlos verschwunden. – Doch noch eins können Sie auf der Stelle wieder erhalten, die Livree Ihres Bedienten.“

Der Beamte winkte nochmals in den Flur hinaus. Ein Gensd’arm trat mit – dem Grafen Schimmel herein. Der Graf Schimmel trug die Livree Joachims.

„Sie kennen doch den Menschen, Herr Baron?“ fragte der Polizeihauptmann.

Der Baron konnte nur mit dem Kopfe „Ja“ nicken.

Der Beamte ließ den Dieb wieder hinausführen. Der Baron fand die Sprache wieder, aber er begriff noch nichts.

„Aber wie ist das Alles zugegangen?“

„Sehr einfach, Herr Baron. Den Herrn Grafen Schimmel – er heißt eigentlich Schwarz und ist ein berüchtigter Berliner Dieb – hatte ich gestern erkannt, als Sie auf dem Bahnhofe ausgestiegen. Es war mir keinen Augenblick zweifelhaft, daß er Ihnen Uhr und Börse gestohlen habe. Ich ließ ihn auf der Stelle verfolgen; aber er war schon fort, spurlos fort. Es kam darauf an, seiner habhaft zu werden, und zwar mit den gestohlenen Sachen. Es war schwierig. Daß er nicht nach Hause ging, war klar, denn er hatte auch mich gesehen. Berlin ist groß. Wo ihn finden? Der Zufall mußte zu Hülfe kommen, und es kam auch so. Heute früh wurde mir die Anzeige, daß hier in diesem Hause ein Einbruch verübt sei. Der zu Bestehlende hatte bei seiner unvermuthet früheren Rückkehr die Diebe in voller Arbeit gefunden. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Er war leise an ein Seitenfenster des Hauses getreten, unter dem er vorhin einen Schutzmann bemerkt hatte, und hatte diesem seine Entdeckung mitgetheilt. Der Schutzmann hatte auf der Stelle Hülfe herbeigeholt. Man war in das Haus gedrungen, hatte aber leider nur einen Dieb gefangen; der zweite war auf unbegreifliche Weise plötzlich verschwunden. Es blieb nur ein Verdacht, und zwar der, daß er hier, in diesem Zimmer, bei Ihnen eine Zuflucht gefunden habe. Sie leugneten das ab. Man glaubte Ihnen und begnügte sich damit, die Ein- und Ausgänge des Hauses zu besetzen.

„Der gefangene Dieb war zu keinerlei Geständniß zu bewegen gewesen. Er war verschwiegen und seinem Cameraden treu, wie alle Berliner Diebe, und hatte auch die gewöhnliche Ausrede derselben, ein Unbekannter habe ihn in Haus und Zimmer geführt, um ihm seine Commode öffnen zu helfen, zu der er den Schlüssel verloren und aus der er noch in der Nacht etwas holen müsse. Als bald darauf Leute herbeigekommen, sei der Mensch ohne Weiteres aus dem Fenster auf die Straße gesprungen und habe ihn im Stiche gelassen.

„Leider war mir die Anzeige des Vorfalles nicht sogleich in der Nacht, sondern erst heute Morgen gemacht worden. Ich erwog alle Umstände, auch den Verdacht, daß der entkommene Dieb in Ihrem Zimmer müsse Aufnahme gefunden haben. Ich erfuhr Ihren Namen. Auf einmal fiel mir der Dieb Schwarz ein, den Sie für einen Grafen Schimmel hielten. Wenn der Zufall gewollt hätte, daß er gerade in demselben Hause, in welchem Sie Ihre Wohnung genommen, ein neues Verbrechen versucht hatte! Wenn er Sie noch einmal getäuscht hätte! Es war das Alles auf einen

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